Redet miteinander!

© gettyimages-Klaus Vedfelt
Kompromisse? Gelten schnell als faul. Dialog? Gerne, wenn ich reden darf und die anderen zuhören. Alleingänge und Abschottungen scheinen oft die einfache Lösung zu sein. Prof. Dr. Maria Böhmer weiß als Präsidentin der Deutschen UNESCO-Kommission, wie mühsam, aber auch wie lohnend Kompromisse sind. Sie plädiert für Multilateralismus in der Politik – und offene Gespräche zwischen den Menschen.
In der Welt, in der ich leben möchte, fällt uns das Miteinander-Reden leicht. Wir sprechen viel, mit Freunden, Nachbarn und auch mit Unbekannten. Über Wichtiges und Unbedeutendes. Wir verlassen uns nicht darauf, schon zu wissen, was der andere fühlt oder denkt. Wir hören nach und sind neugierig aufeinander. Wir teilen uns mit und hören hin, wenn andere sprechen.
Als Europa nach dem Zweiten Weltkrieg erneut in Trümmern lag, haben sich viele Regierungen für die Gründung der Vereinten Nationen eingesetzt und damit die richtige Schlussfolgerung gezogen. Die Vereinten Nationen sind ein Ort des Austauschs, der Konsenssuche und der Verständigung über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg. Ein Ort des „Miteinander-Redens“.
Für echten Frieden reicht es freilich nicht aus, wenn Diplomaten und Wirtschaftsvertreter Vereinbarungen aushandeln. Die Menschen müssen insgesamt motiviert werden, Verantwortung füreinander zu übernehmen. Dies war die Gründungsidee der UNESCO (Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur). In der ersten Zeile ihrer Verfassung steht der viel zitierte und entscheidende Satz: „Da Kriege im Geist der Menschen entstehen, muss auch der Frieden im Geist der Menschen verankert werden.“
„Die vereinten Nationen sind ein Ort des Austauschs, der Konsenssuche und der Verständigung über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg.“
Diese Idee hat für mich nach über 70 Jahren nichts an Kraft verloren. Im Gegenteil: In immer mehr Ländern gibt es Stimmen, die nationale Alleingänge und Abschottung propagieren. Sie sperren sich, wenn es um Dialog, Zusammenarbeit und das Eingehen von Kompromissen geht. Zugegeben: Miteinander reden und verhandeln auf internationaler Ebene ist alles andere als einfach. Verschiedene Interessen und Positionen scheinen oft unversöhnlich einander gegenüberzustehen. Und doch gelingt es letztendlich, einen Konsens zu finden.
„Sie eigene Haltung zu hinterfragen und sich in das gegenüber hineinversetzen zu können ist für Gespräche eine Grundvoraussetzung – in der Welt Politik wie im Alltag.“
2015 durfte ich in einer besonders schwierigen Verhandlung einen solchen Konsens aushandeln. Als Vertreterin Deutschlands war ich Präsidentin des in Bonn tagenden UNESCO-Welterbekomitees. Die japanische Regierung hatte Fabrikanlagen aus der ersten japanischen Industriezeit Anfang des 20. Jahrhunderts zur Aufnahme in die Welterbeliste vorgeschlagen. Südkorea hatte Einspruch erhoben, da koreanische Arbeiter zwangsweise in diesen Fabriken eingesetzt worden waren. Wäre hier eine Lösung erreichbar, die für beide Seiten akzeptabel ist? Das war die Frage, um die auf höchster politischer Ebene und mit großer Anspannung gerungen wurde. Am Ende gelang eine Lösung im Konsens, da Japan sich verpflichtete, diesen Konflikt in der Welterbestätte zu thematisieren.
Ich habe auch an den schwierigen Verhandlungen der Globalen Nachhaltigkeitsagenda 2030 der Vereinten Nationen mitgewirkt. Für die Entwicklungsländer stand die Armutsbekämpfung im Vordergrund, während andere Staaten Umwelt- und Naturschutz als vordringlich betrachteten. Nach langen Gesprächen haben sich alle Staaten auf 17 wichtige Nachhaltigkeitsziele geeinigt. Das zeigt: Wenn wir wirklich den Willen haben, uns in andere hineinzuversetzen und mit Kompromissbereitschaft eine Lösung zu finden, dann kann das selbst bei 195 Staaten mit den unterschiedlichsten Interessen gelingen.
Die eigene Haltung zu hinterfragen und sich in das Gegenüber hineinversetzen zu können ist für Gespräche eine Grundvoraussetzung, in der Weltpolitik wie im Alltag. Diese Fähigkeit wird immer wichtiger für jeden von uns. Daher steht sie auch im Zentrum der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE). Diese Form der Bildung zielt darauf, dass wir unsere Zukunft gestalten können. Seit zehn Jahren setzen sich die Deutsche UNESCO-Kommission und dm gemeinsam dafür ein. Nachhaltigkeit und ehrenamtliches Engagement sind Schwerpunkte der Kooperation. Insgesamt haben sich mehr als 30.000 Initiativen und Einzelpersonen beteiligt. Nun laden wir mit der Aktion „Herz zeigen!“ zum Mitmachen ein. Kommen Sie darüber oder über andere Themen mit Ihrer Familie, mit Freunden und Freundinnen, Ihrer Nachbarschaft und Kollegen und Kolleginnen ins Gespräch! Lassen Sie uns miteinander reden und so nachhaltig die Welt verändern.