Alltag einer Konferenzdolmetscherin

Konzentriertes Arbeiten - nur Zahlen schreibt die Dolmetscherin immer auf, alles andere übersetzt sie aus dem Gedächtnis.
© Elke A. Jung-Wolff
Zuhören, denken, sprechen: Bei Konferenzdolmetschern passiert das alles gleichzeitig. alverde hat sich zu einer in die Kabine gezwängt und verfolgt, wie auf engstem Raum hoch konzentriert gearbeitet wird.
Zu lange Beine wären ungünstig und das Deo sollte auch nicht versagen. Der Arbeitsplatz, den sich Nadiya Kyrylenko in den nächsten eineinhalb Stunden mit ihrer Kollegin Ludmila Shnyr teilt, ist winzig. In der knapp eineinhalb Quadratmeter großen Kabine stoßen die Armlehnen fast aneinander, auf dem schmalen Tisch lässt die Technik nur noch Platz für das Allernötigste: kleine Schreibblöcke, Smartphones, Wassergläser – und auf Nadiya Kyrylenkos Seite eine Tüte Halsbonbons. Noch ist die Tür der kleinen Kabine offen und die beiden Ukrainerinnen plaudern miteinander. Für Nadiya Kyrylenko, die tagsüber bereits acht Stunden gedolmetscht hat, ist der Abendtermin in Berlin-Grunewald eine entspannte „familiäre“ Veranstaltung. Auf die Diskussionsrunde, in der es um Flüchtlinge in der Ukraine geht, musste sie sich nicht extra vorbereiten – „Ich lese ja täglich Zeitung“. Bei Fachkonferenzen, besonders, wenn es wissenschaftlich zugeht, ist sehr viel Vorarbeit notwendig. Die Konferenzdolmetscherin liest sich beispielsweise in das Thema ein, recherchiert die Positionen, die die Teilnehmer vertreten, und stimmt mit den Kollegen vorher die Übersetzung von Fachbegriffen ab.

Die Dolmetscherin spricht flüssig, gleichmäßig und in einer angenehmen Tonlage – dafür ist sie lange zur Logopädin gegangen.
© Elke A. Jung-Wolff
Die Teilnehmer haben auf dem Podium Platz genommen, und die Zuschauerstühle sind mit rund 70 Besuchern um kurz vor 19 Uhr gut gefüllt. Die Dolmetscherinnen schließen die Kabinentür. Mit der Vorstellung der Diskussionsteilnehmer beginnt Nadiya Kyrylenkos Einsatz. Sie übersetzt die einführenden Worte des Moderators und die ersten Redebeiträge der Experten für die Ukrainer im Publikum, die sie über Kopfhörer hört. Flüssig, doch ohne Hast, klingt ihr Ukrainisch, die Stimmmodulation ist trotz des hohen Sprechtempos gleichmäßig. Wie machen Konferenzdolmetscher das, was die meisten Menschen schon in einer Sprache überfordert: zu sprechen und gleichzeitig zuzuhören?

Noch aufmerksamer als das Publikum verfolgen die Dolmetscherinnen die Diskussion auf dem Podium.
© Elke A. Jung-Wolff
Einen Trick gibt es nicht. Hinter der Leistung des Simultandolmetschens steckt jahrelanges Training, erst im Sprachlabor, dann durch das Dolmetschen selbst. „Inzwischen weiß ich oft am Anfang des Satzes, wie er enden wird“, sagt Nadiya Kyrylenko. Und sie ist im Ukrainischen, Russischen und Deutschen so zu Hause, dass die Übertragung von einer Sprache in die andere mühelos gelingt. Den Klang ihrer eigenen Stimme kann sie praktisch ausblenden und sich so weiter auf die Äußerungen des Redners konzentrieren. Schwierig wird es immer, wenn ein Redner nicht klar formuliert. Vor Kurzem hatte Nadiya Kyrylenko einen Wissenschaftler, der in Fachchinesisch durch sein Gedankenlabyrinth führte. „Niemand hat ihn verstanden. Es war eine große Erleichterung, dass der Moderator nachgefragt hat und der Wissenschaftler sich dann einfacher ausdrücken musste“, erzählt sie.
Eine der Herausforderungen heute ist eine ukrainische Rednerin, die ihre Beiträge auf Deutsch formuliert, obwohl das alles andere als perfekt ist. „Warum spricht sie deutsch?!“ schreibt Ludmila Shnyr schnell auf den Block und schiebt ihn in Richtung von Nadiya Kyrylenko. Nach rund 25 Minuten haben die beiden ihre Aufgaben getauscht – Ludmila Shnyr spricht jetzt. Nadiya Kyrylenko hört aufmerksam zu und schreibt Abkürzungen und Zahlen immer mit – als Hilfe, sollte die Kollegin einmal nicht mitkommen. Teamarbeit ist wichtig beim Simultandolmetschen. Nadiya Kyrylenko versteht sich mit allen Kollegen gut. Hinter ihrer eleganten Erscheinung – dezentes Make-up, filigrane Brille und Bleistiftrock – steht eine offene und fröhliche Art.

Traumjob: Auch wenn der Dolmetscherberuf als besonders stressig gilt, Nadiya Kyrylenko möchte nichts anderes tun. Immer wieder hat sie mit anderen Menschen zu tun und denkt sich mittels der Sprache in viele Themen ein.
© Elke A. Jung-Wolff
Man begegnet sich immer mehrmals in der ukrainisch- deutschen Gemeinschaft. Der Bedarf an Dolmetschern für Ukrainisch ist sprunghaft gestiegen, seitdem sich das Land 2014 im Konflikt mit Russland befindet. Die Aufträge für Russisch – vor wenigen Jahren Nadiya Kyrylenkos wichtigste Einnahmequelle – sind wegen der Wirtschaftssanktionen deutlich zurückgegangen. Die Ukrainerin ist von dem Konflikt auch persönlich betroffen, denn ihre Familie lebt im Ostteil der Ukraine, wo immer wieder kriegerische Auseinandersetzungen stattfinden. Ihre Meinung zu politischen Fragen lässt Nadiya Kyrylenko trotzdem nie in die Arbeit einfließen. Eine Aussage, beispielsweise in ihrer Übersetzung verschärft wiederzugeben oder diplomatisch abzumildern, das geht entschieden gegen ihre Berufsethik. Wenn sie ein Beitrag richtig ärgert, drückt sie kurz auf den Stummschalt-Knopf der Tonanlage und sagt so etwas wie „So ein Unsinn“ zu ihrer Kollegin und dann geht es weiter – in freundlicher Tonlage und korrekter Übersetzung. In dieser Veranstaltung macht Nadiya Kyrylenko nur einmal kurz ihrem Herzen Luft – aber nicht wegen der Inhalte, sondern wegen des Tempos eines Beitrages. „Sie spricht zu schnell“, empört sie sich im Stumm-Modus, als eine Rednerin ihren vorbereiteten Beitrag nur so herunterrattert.
„Wenn die Worte nichtstimmen, dann ist das Gesagte nicht das Gemeinte.“
Konfuzius (551–479 v. Chr.) Chinesischer Philosoph
Nadiya Kyrylenko weiß um die große Bedeutung der richtigen Worte. „Wenn die Worte nicht stimmen, dann ist das Gesagte nicht das Gemeinte“, zitiert sie den chinesischen Philosophen Konfuzius auf ihrer Homepage (ars-inter.de). Für eine noch bessere Leistung als Dolmetscherin arbeitet sie auch als Übersetzerin: „Wenn man sich beim Übersetzen intensiv mit einem Text beschäftigt, profitiert davon auch das spontane Dolmetschen“, ist sie überzeugt. Dass ihr Beruf etwas mit Sprache zu tun haben sollte, wusste Nadiya Kyrylenko schon als Elfjährige – auch weil ihr der Deutschunterricht in der Grundschule Freude machte. Sie studierte in der Ukraine Deutsch und Englisch auf Lehramt. 1998 vertiefte sie ihre Deutschkenntnisse an der Ruhr-Universität in Bochum. Über Unterricht für Migranten kam sie später zum Dolmetschen, denn sie musste die Schüler bei Behördengängen und Gerichtsverfahren unterstützen.

Teamarbeit in der Kabine: Wenn eine Dolmetscherin spricht, ...
© Elke A. Jung-Wolff

.. hört die andere weiter zu und notiert Zahlen.
© Elke A. Jung-Wolff
Mit Ende Dreißig ist Nadiya Kyrylenko heute im besten Dolmetscher-Alter: Schon erfahren und noch sehr reaktionsschnell. Das Simultandolmetschen erfordert ständige Konzentration und jede Menge Multitasking. Nadiya Kyrylenko empfindet ihren Beruf höchstens an Zwölf-Stunden-Tagen als „etwas anstrengend“. Fast immer jedoch findet sie ihn „spannend“. Ob sie geschäftliche Verhandlungen, einen medizinischen Kongress oder eine politische Pressekonferenz im Fernsehen dolmetscht – jedes Mal taucht sie in eine andere Welt ein. Und nach Dienstschluss in die Welt ihrer Familie. Bei zwei kleinen Kindern bleiben die Ohren auf Empfang und die Stimme im Einsatz. Dass beides nicht gleichzeitig geschehen muss, ist für Nadiya Kyrylenko Entspannung genug.

Sabine Seubert
Diplom-Dolmetscherin aus Karlsruhe
© Elke A. Jung-Wolff
Hoher Anspruch
Welche Fächer sollte man studieren, um Dolmetscher zu werden?
Dolmetscher ist kein geschützter Beruf, zum Konferenzdolmetscher kann man sich jedoch über Masterstudiengänge der Universitäten oder an Fachakademien ausbilden. Auch eine Qualifizierung über eine staatliche Prüfung ist möglich. Dies sind meist auch die Voraussetzungen, um in einen Berufsverband wie den Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer aufgenommen zu werden. Um das Lernen der Fremdsprache geht es im Studium weniger – man muss in der Regel zwei Fremdsprachen schon auf sehr hohem Niveau beherrschen, um dafür zugelassen zu werden.
Wie erreicht man diese Kompetenzen?
Reines Schulwissen genügt nicht. Die meisten Studierenden lieben ihre Fremdsprache und beschäftigen sich intensiv mit ihr, indem sie viel lesen, sich fortbilden und sich oft in den jeweiligen Ländern aufhalten. Damit sind sie auch Experten für die entsprechenden Kulturen.
Ist es sinnvoll eine Sprache zu lernen, die als selten gilt?
Der Master in Konferenzdolmetschen wird an den Universitäten für viele weltweit verbreitete Sprachen angeboten. Aber derzeit herrscht auch eine große Nachfrage nach eher seltenen Sprachen. Qualifizierungsangebote dazu gibt es entweder in den betreffenden Ländern oder zum Teil auch hier in Deutschland.