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Berührende Nähe

Zwei Personen umarmen sich herzlich, eine trägt ein gestreiftes Hemd, die andere eine gelbe Jacke. Rechts im Bild steht der Text „Hauthunger verstehen“ in einem lila Bereich. Oben rechts ist ein kleines Logo mit der Aufschrift „dmLIVE“

Einfach mal umarmen: Hautkontakt, Berührung und körperliche Nähe sind für uns wichtig. ¹⁾

Inspirationstalk mit 
Prof. Dr. Ilona Croy

Berührungen sind ein Grundbedürfnis – längst nicht nur zwischen nahen Menschen. Es liegt an den erstaunlichen Effekten, die der Hautkontakt auf unseren Körper, unseren Geist und unsere Gefühle hat. Wie lässt sich unser „Hauthunger“ stillen? Psychologin Dr. Ilona Croy erklärt es.

Wir tun es täglich: schütteln Hände, umarmen, legen der älteren Frau, die aufgeregt vor dem Ticketautomaten hantiert und offenbar Hilfe braucht, kurz tröstend die Hand auf die Schulter – bevor wir für sie übernehmen, geben der Mitspielerin auf dem Tennisplatz ein High Five für den gelungenen Return. Ja, das fühlt sich gut an. Aber es ist noch so viel mehr als ein schöner Moment. 

In jeder dieser kleinen Alltagsgesten läuft nämlich eine „geheime Superkraft“ zur Hochform auf, so Prof. Dr. Ilona Croy. Die Psychologin und Neurowissenschaftlerin ist Deutschlands führende Berührungsforscherin und hat gerade ein Buch zum Thema veröffentlicht: „Touch me!“. Sie sagt, dass besonders für Berührungen das Prinzip „kleine Ursache, enorme Wirkung“ gilt. Weil „Berührungen beruhigen, heilen, Beziehungen stärken und sogar den Erfolg steigern können.“ 

Klar, weiß man, dass gerade für Kinder Berührung so wichtig wie Nahrung ist, dass sie möglichst viel Körperkontakt brauchen, um sich gesund zu entwickeln. Und auch für Liebende sind Berührungen, Streicheln, Kuscheln, Sex so etwas wie das Lebenselixier von Beziehung. Was aber gerade die sogenannten „sozialen Berührungen“ bedeuten, ist ein relativ neues Forschungsfeld. Erst seit gut 20 Jahren beschäftigt sich die Forschung mit einem speziellen Aspekt des Berührungssinns, den C-taktilen Fasern in unserer Haut. 

Ilona Croy: „Werden diese Nervenzellen etwa durch leichtes Streicheln aktiviert, landen die Reize direkt im Belohnungszentrum des Gehirns.“ Botenstoffe wie Dopamin oder das als Bindungs- und Kuschelhormon bekannte Oxytocin werden ausgeschüttet. Ein Hinweis, dass die Evolution uns als soziale Wesen gedacht hat. Deshalb wird Bindung durch Berührung mit ähnlich guten Gefühlen bestärkt, als würde man Schokolade essen und dazu einen Blumenstrauß geschenkt bekommen.

„Berührungen können beruhigen, heilen, Beziehungen stärken und sogar den Erfolg steigern.“

Umarmen für das Immunsystem

Gleichzeitig aktivieren diese C-taktilen Fasern auch den Parasympathikus, was zur Beruhigung führt. Nicht nur Ängste werden so reduziert. Es stärkt auch das Abwehrsystem. „Belegt ist zum Beispiel, dass Operationen besser verlaufen, wenn die Patienten vorher gestreichelt wurden.“ Eine Studie aus den USA kommt zu dem Ergebnis, dass sogar das Immunsystem von umarmten Menschen widerstandsfähiger ist als das von nicht oder ganz selten umarmten.²⁾ Dabei wurden zwei Gruppen – eine, die viel umarmt wurde, und eine, die gar nicht umarmt wurde – mit denselben Viren infiziert; die Umarmten bekamen seltener einen Schnupfen. 

Effekte, die eine „Berührungsmedizin“ ins Leben gerufen hat. Sie beschäftigt sich mit der Wirkung von professioneller Berührung, etwa von Massagen, und konnte dabei auch bei Depressionen oder bei der Linderung von Nebenwirkungen einer Chemotherapie durchaus Wirksamkeit nachweisen.³⁾

Man weiß mittlerweile außerdem, dass Berührungen Sympathie, Kooperation und letztlich auch den Erfolg fördern. „Sportteams, die sich etwa in Gruppenumarmungen oder High Five vor einer Saison häufig anfassen, sind siegreicher als solche, die das nicht tun“, sagt Ilona Croy. Und auch in Verhandlungen, etwa um ein höheres Gehalt, kann es von Vorteil sein, mal kurz Körperkontakt zum Entscheider zu haben. „Studien haben gezeigt, dass man eher geneigt ist, jemandem einen Gefallen zu tun, wenn man vorher von dieser Person kurz berührt wurde“, so die Expertin. 

Midas-Effekt nennt sich das Phänomen. Benannt nach König Midas aus der griechischen Mythologie, von dem man sagt, dass sich alles, was er anfasste, in Gold verwandelte. 

Heikel: Berührungen strategisch einsetzen

Also kann man im Gespräch einfach mal über den Schreibtisch langen, um dem Chef bei „Ich hätte gern 1.000 brutto mehr im Monat“ vertrauensvoll über den Arm zu streichen? Oder der Nachbarin, nachdem man sie gefragt hat, ob sie mal eben für einen Monat die Katze versorgt, freundlich auf die Schultern tätscheln? 

So einfach ist es dann auch nicht. Gerade bei Berührungen kommt es auf den richtigen Zeitpunkt, die richtige Stärke, das richtige Körperteil und die richtige Person an. Berührt uns jemand im falschen Moment oder werden wir von einem Menschen angefasst, den wir nicht mögen, der uns suspekt ist, entsteht schnell Abwehr oder Irritation. 

Auch das Geschlecht spielt eine Rolle. Die meisten sozialen Berührungen gibt es zwischen Frauen. Zwischen Männern und Frauen gibt es dann immerhin noch mehr als zwischen Männern und Männern. Am unverfänglichsten wird von Frauen wohl immer noch der Körperkontakt untereinander empfunden. Und dann sind Berührungen zwischen ihnen auch gesellschaftlich akzeptierter Teil des Umgangs. 

Männer dagegen brauchen offenbar immer noch den Sport, um sich das Anfassen zu erlauben – jedenfalls hierzulande. Im arabischen Raum etwa herzen sich auch Männer in der Öffentlichkeit – es gilt als Zeichen von Nähe und Vertrauen. Dafür stehen Berührungen zwischen Männern und Frauen noch einmal stärker unter dem Verdacht sexueller Absichten. 

Und dann kommen außerdem auch noch individuelle Vorlieben hinzu. Es gibt Menschen, die sehr gern berühren und berührt werden, und andere, die eher weniger Körperkontakt brauchen. Das sei weder besser noch schlechter, sagt Ilona Croy. Das sei vor allem oft ein Grund für Missverständnisse. Dann nämlich, wenn man davon ausgeht, dass das eigene Maß das richtige sei. 

Wenn die Gesellschaft Social Distancing macht

Was aber, wenn dieses so wichtige Kommunikationsmittel für uns alle auf stumm geschaltet wird? Weil wir eine Pandemie haben? Weil sich die zwischenmenschlichen Kontakte zunehmend ins Virtuelle verlegen? Weil wir immer älter werden und also mehr Gefahr laufen, sehr lange allein zu sein? Wenn also „Hudsult“, der Hauthunger, wie die Dänen die Sehnsucht nach Berührungen nennen, nicht mehr gestillt wird? 

Laut einer Studie im Auftrag von Beiersdorf/Nivea⁴⁾ hat die Hälfte der Befragten das Gefühl, dass das Berührungsniveau in den letzten Jahren allgemein gesunken sei. Und: Je älter ein Mensch war, desto seltener wurde er berührt. 

Hände reichen – besonders über Gräben

Das kann durchaus auch gesellschaftliche Folgen haben, so Ilona Croy. „Der unpersönlichere Umgang führt zu einer Reduktion von Vertrauen und einer Erhöhung von Stress in zwischenmenschlichen Beziehungen.“ Meint: Zwei Menschen, die sich gegenüber sitzen und sich vielleicht zur Begrüßung sogar die Hand gegeben haben, werden sich – anders als im Netz – vermutlich nicht mit Hasskommentaren überziehen. Selbst dann nicht, wenn sie grundverschiedener Meinung sind. 

Andererseits, so Ilona Croy, seien Berührungen „ein so robustes Kommunikationsmittel, dass sich das Bedürfnis offenbar immer durchsetzt, und zwar überall auf der Welt.“ Genau das bestätigt auch die Nivea-Studie. So gaben drei von vier Befragten an, dass ihnen die Isolation durch den Lockdown erst bewusst gemacht hat, wie bedeutend Berührung für ein glückliches und gesundes Leben ist. 

Ein Ansatz, der Hoffnung macht. Denn am Ende ist das vielleicht Beste an der „Superkraft“ – dass wir alle über sie verfügen. Und je häufiger wir sie anwenden, je mehr Menschen wir damit stärker machen – umso stärker lässt sie auch uns werden.

Regelmäßige Berührungen tun Körper und Seele gut. Singles und/oder alte Menschen müssen häufig auf diese Wohltat verzichten. Um diese Lücke zu füllen, ein paar Empfehlungen: 

  • Physiotherapie – besonders Massagen 

  • Friseurbesuche – schon wegen der Kopfmassage 

  • Ein Haustier – das streichelt zwar nicht, aber eine Studie hat ergeben, dass die Berührungen des Tieres durchaus das Wohlbefinden erhöhen.⁵⁾ 

  • Kuschelpartys – es fühlt sich sicher erst mal befremdlich an. Aber diese Veranstaltungen erfüllen durchaus ihren Zweck. Noch ein Benefit: Hier wird in einem geschützten Raum auch zwischen Männern und Frauen eine Berührungsform strikt jenseits sexueller Anmutungen möglich

Prof. Dr. Ilona Croy, Psychologin und Autorin in Jena

Portrait von Prof. Dr. Ilona Croy

© Antonie Bierling

Sie hat nach dem Psychologiestudium in Dresden promoviert, in Göteborg die Post-Doc-Zeit verbracht und in Linköping als Associate Senior Lecturer gearbeitet. In Schweden stieß Ilona Croy auf das Thema, das einen Mittelpunkt ihres Berufslebens bilden sollte: C-taktile Nervenzellen, der „Streichelsinn“. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena erforscht sie die neuronalen Grundlagen, mit denen wir schnüffelnd und tastend unseren Mitmenschen begegnen. Sie hat Spaß daran, Wissenschaft verständlich zu erklären. Den vermittelt sie auch in ihrem Buch, das gerade erschienen ist. 

Sei live dabei

Um Berührungen, die guttun, verbinden und sogar heilsam sind, geht es im alverde-Inspirationstalk. Alltäglich und doch besonders ist die Art, wie Menschen Hautkontakt suchen. In dem etwa 45-minütigen Talk in der dm-App berichtet Expertin Dr. Ilona Croy Spannendes aus ihrer sehr lebensnahen Forschung und geht auch auf Zuschauerfragen ein. 

18. Dezember 2025, 19 Uhr 

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Ende der Auflistung

1)

Bild: gettyimages/Hinterhaus Productions

2)

Cohen, S., Janicki-Deverts, D., Turner, R. B., & Doyle, W. J. (2015): Does hugging provide stress-buffering social support? Psychological Science 

3)

Cassileth, B. R., & Vickers, A. J. (2004): Massage therapy for symptom control: outcome study at a major cancer center. Journal of Pain and Symptom Management, 28 (3), 244–249 

4)

The Status of Human Touch, Nivea, 2020

5)

Schirmer, A., Kaufmann, V., & Cham, C. (2025): Feeling „Pawsitively“ Good: Human-Pet Touch Predicts Subjective Wellbeing, Anthrozoös, 1–22 

6)

Für die Teilnahme ist die dm-App sowie ein dm-Konto erforderlich.

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