Empathie kann man lernen

Miteinander reden, sich miteinander freuen: die alltägliche Seite der Empathie ¹⁾
Inspirationsthema über Empathie und Mitfühlen mit der Psychologin Prof. Dr. Isabel Dziobek
Empathie macht alles leichter. Die Fähigkeit, sich in andere hineinversetzen zu können, ist die Grundlage für gegenseitiges Verständnis und Unterstützung. Vorausgesetzt, wir wissen um die Möglichkeiten und die Stärkungsmittel von Empathie. Aber auch genauso um ihre Tücken.
Wir tun es täglich so selbstverständlich, dass es uns kaum noch auffällt: Wir erkennen, dass die Freundin nach einer Trennung immer noch traurig ist und Trost braucht. Wir sehen den Ärger der Kollegin wegen der Überstunden und sprechen sie besser nicht an, ob sie uns einen Kaffee aus der Kantine mitbringt. Erfahren wir aus den Nachrichten von einem schweren Erdbeben, können wir uns vorstellen, wie schlimm das für die Menschen vor Ort ist, und spenden vielleicht, um ihre Not ein wenig zu lindern. Kurz: Wir sind empathisch. Wir verstehen, was im anderen vorgeht. Können ihn „lesen“.
Mitschwingen
Und zwar gleich auf zwei Ebenen, so die Neurowissenschaftlerin und Psychologieprofessorin Isabel Dziobek. Das eine sei die emotionale Komponente, „also das Mitschwingen mit den Gefühlen anderer. Wenn sich jemand freut, freue ich mich mit. Wenn jemand traurig ist, bin ich auch traurig. Wenn jemand Schmerzen empfindet, leide ich mit.“ Das andere sei der denkende Aspekt. Die Fähigkeit, zu erkennen, was sich im Kopf eines anderen abspielt. Die innere Verfassung anderer lesen und verstehen zu können, ohne selbst gefühlsmäßig involviert zu sein. Beides sei in uns allen angelegt. Aber unterschiedlich verteilt: Frauen hätten laut Studien mehr von der emotionalen Involviertheit und auch tendenziell eine höhere kognitive Empathie (vor allem, wenn es um das Lesen anderer Frauen geht).
Und dann gibt es noch Sonderfälle: Psychopathen etwa könnten zwar sehr gut die Gefühle anderer lesen, wären aber nicht in der Lage, emotional mitzuschwingen. „Wenn man sie fragt: Wie sehr leiden Sie mit? Dann sagen sie oft: Absolut gar nicht!“
Zuviel des Guten
Umgekehrt gibt es aber auch ein Zuviel gerade beim Mitschwingen. Wenn man all das Leid überall auf dem Planeten, aber auch im Umfeld zu nah an sich heranlässt und sich davon wie erschlagen fühlt, dann spricht man von einem „Empathie-Burn-out“. „Das passiert oft Menschen, die in Hilfeberufen arbeiten. Ärzten, Psychotherapeuten, Ersthelfern, Pflegenden“, so Isabel Dziobek. Die Gefahr dieses Burn-outs: abzustumpfen, unempfindlich zu werden und dabei die gerade für diesen Beruf so wichtige Empathie zu verlieren, aus der heraus man erkennt, was andere brauchen. Was ihnen guttut. Wo man sie unterstützen kann. Um das zu verhindern, sei es wichtig, immer auch Grenzen zu setzen. „Zu sagen: Jetzt ist für mich Pause. Jetzt mache ich etwas anderes, weil ich mich sonst selbst handlungsunfähig mache.“ Gerade, wenn man helfen will, sei es wichtig, sich das Unglück anderer nicht zu nahe kommen zu lassen.
Nähe schafft Empathie
Das fällt uns umso leichter, je weiter entfernt Not und Krise von unserem eigenen Leben stattfinden. Man könnte es die selektive Seite der Empathie nennen. Weil sie manche ein-, aber auch viele ausschließt. Meint: Wir fühlen eher mit den Flutopfern aus dem Ahrtal als mit Menschen, die etwa in einem afrikanischen Staat das Gleiche oder gar Schlimmeres erleiden. Wir sind nämlich umso empathischer mit anderen, je ähnlicher sie uns kulturell, sprachlich, sozial und vom Alter her sind. „Einfach, weil man sich in diese Menschen am besten hineinversetzen kann!“ Frauen sind deshalb am besten darin, Frauen zu verstehen. Und noch besser, wenn diese Frauen etwa das gleiche Alter haben. Je mehr Lebens-Koordinaten man also teilt, umso leichter fällt das Mit-Denken und -Fühlen. Isabel Dziobek, die eine eineiige Zwillingsschwester hat, weiß das aus Erfahrung. „Meine Schwester und ich sehen uns selten und wir arbeiten in ganz verschiedenen Bereichen, aber ich weiß immer sofort, was sie in bestimmten Situationen fühlt.“
Einfühlung als Trainingssache
Was aber, wenn diese Fähigkeit fehlt. Etwa bei Autisten. Oder Menschen mit sozialen Problemen. Dann kann sie immer noch aufgebaut werden. Isabel Dziobek, die seit Jahren zu diesem Thema forscht, experimentiert da mit verschiedenen Ansätzen – zu denen etwa auch Meditation oder Tanzen zählen. Mit ihrem Team hat sie außerdem ein Empathie-Training entwickelt, das vor allem den „denkenden“ Empathie-Muskel stärkt. Um darüber vielleicht auch den fühlenden zu erreichen. Man lernt mit Unterstützung von Schauspielern, an ihrer Mimik und Stimmlage, ihren Bewegungen in bestimmten Situationen dieses besondere Emotions-Alphabet zu lesen. „Wenn das dann nachgespielt wird, erfährt man ja auch, wie sich das anfühlt. Wie es zum Beispiel im Bauch grummelt, wenn man wütend ist.“
Strategischer Vorteil
Könnte man nicht einfach auf Empathie verzichten? Zumal sie einen angesichts des Zustands der Welt ja ganz schön plagen kann? Theoretisch ja. Praktisch würde man in so ziemlich allen Lebensbereichen den Kürzeren ziehen. Man würde stets das Falsche schenken, weil man nicht erkennt, was der andere brauchen kann. Würde nicht sehen, ob jemand aggressiv oder wütend ist und sich möglicherweise nicht schützen können. Man würde Gefahren zu spät bemerken, weil man die Angst bei den anderen nicht lesen kann. Und dann würden einem auch beruflich manche Vorteile durch die Lappen gehen. Denn entgegen der weit verbreiteten Annahme, dass Einfühlen stets zu Gutem, zu Fürsorge, Unterstützung, Rücksichtnahme führt, „ist Empathie ja erst mal etwas Neutrales“, so Isabel Dziobek. Ich kann mein Verstehen etwa der Schwächen anderer auch für mich nutzen. Etwa beim Fußball, wenn ein Spieler erkennt, dass der Gegner abgelenkt ist, und an ihm vorbei ein Tor schießt.
Weltverbesserungsinstrument
Vor allem wäre Empathielosigkeit auch so etwas wie die Steilvorlage für Einsamkeit und damit lebensverkürzend. „Zig Studien belegen, dass Beziehungen der wichtigste Schutz für unsere mentale und körperliche Gesundheit sind. Menschen, die ein gutes Sozialleben haben, werden älter.“ Und ein gutes Sozialleben, so Isabel Dziobek, setze eben voraus, dass man auch empathisch ist. Denn natürlich, so die Wissenschaftlerin, verbringen wir unsere Zeit viel lieber mit Leuten, die uns gut verstehen. Die spüren, wann wir Trost brauchen, Ermunterung, aber auch Zeit für uns. Die mit uns lachen, sich mit uns freuen, die ahnen, was wir uns zum Geburtstag wünschen, ohne dass wir es ihnen aufschreiben müssen, und die mit ihrer Empathie die Welt für uns alle etwas menschlicher machen.
Ein Herz für Tiere
Es scheint, als hätten wir vor allem auch Empathie für Tiere. Schließlich spenden viele Menschen noch lieber für sie als etwa für Kinder. Mit rund 29 Prozent wurde Tierschutz in einer Umfrage als häufigster Spendenzweck genannt. Darin zeigt sich zum einen eine „Vermenschlichung“ von bestimmten Tierarten. Beispielsweise von Hunden und Katzen, die sich dafür anbieten, weil wir mit ihnen leben und also jene Nähe empfinden, die die Empathie braucht. Aber auch Mitleid – ein Bedauern der Umstände, unter denen Tiere etwa in der Massentierhaltung leben. Ein Gefühl, so der US-Psychologe Paul Bloom, der viel zum Thema forscht, das „weniger auf eigenen Erfahrungen“ basiert. „So hegen wir etwa Mitleid für misshandelte Tiere – auch ohne ihren Schmerz wirklich nachempfinden zu können.“
Empathische Erziehung
Kinder, die im Teenageralter empathisch von ihren Eltern begleitet werden, gehen als Erwachsene einfühlsamer mit Freunden und später mit eigenen Kindern um. Quelle
Empathische Führungskräfte
Empathische Führungskräfte können nach einer Krise das Beziehungsgefüge im Unternehmen besser heilen. Es fällt ihnen aber schwerer, den operativen Schaden der Krise zu beseitigen.*
Isabel Dziobek, Psychologin, Neurowissenschaftlerin und Psychotherapeutin
© Peter Rigaud c/o Shotview Artists
Die Professorin an der Humboldt-Universität zu Berlin und am Deutschen Zentrum für Psychische Gesundheit (DZPG) forscht seit Jahren zum Thema Empathie. Sie hat 2005 selbst erlebt, dass es nicht nur ein Zuwenig, sondern auch ein Zuviel an Empathie geben kann. Damals leistete sie nach dem großen Tsunami in Südostasien vier Monate Freiwilligenarbeit in einem Flüchtlingscamp in Sri Lanka. „Nachdem ich zwei Wochen lang acht Stunden am Tag mit Menschen zu tun hatte, die ihre Familie, ihre Kinder verloren hatten, konnte ich irgendwann nicht mehr. Ich musste auch erst Strategien entwickeln, lernen, mich abzugrenzen, um nicht mehr von all dem Leid weggeschwemmt zu werden und wieder handlungsfähig zu sein.“
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*digital.uni-passau.de/beitraege/2018/studie-zu-empathie-im-krisenmanagement
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