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Zugewandtes Miteinander in der Familie

Ein Kind mit braunen Haaren liegt auf einem Bett und stützt sich auf die Schultern einer erwachsenen Person, die tätowierte Arme hat, während im Hintergrund ein lila Banner mit der Aufschrift Familie: Bindung ohne Burnout

Familie ist wunderbar und anstrengend © gettyimages/Emely

Inspirationsthema mit Nora Imlau

Wo Glück und Erschöpfung sich die Hand reichen … Familie ist wunderbar und anstrengend. Wir sprechen mit Vierfachmama und Fachautorin Nora Imlau über ein zugewandtes Miteinander im aufreibenden Familienalltag. 

Das Kopfschütteln und die Kommentare anderer, wenn sich das eigene Kind wieder einmal im Supermarkt oder auf dem Spielplatz schreiend zu Boden wirft, kennen Eltern. Genauso den damit verbundenen Stress. An manchen Tagen haben sie nur noch Kraft, für den Fahrradhelm einzustehen, nicht aber fürs Zähneputzen, die Hand voll Obst und Gemüse oder eine Jacke. Es gibt Tage, an denen sie ihr Kind bereits für den nächsten Tag angezogen schlafen legen, ihm Gummibärchen im Kindergarten versprechen, nur, um nicht zu spät zur Arbeit zu kommen. Tage, an denen man sich allein fühlt. Schuldig. Obwohl es Ratschläge nur so hagelt. Unaufgefordert und widersprüchlich, weshalb man erst über viele Umwege den für sich richtigen Weg findet. 

Ein Zuhause, das weich ist 

„Wir brauchen niemanden, der uns sagt: ‚Das darfst Du.‘ Ob das die Tasse Tee nach der Arbeit ist, die Tatsache, dass die Zwölfjährige noch im Familienbett schläft. Oder wir wegen der Suche nach Teddy heute den Tanzkurs absagen“, sagt Nora Imlau, die gerade ihr 14. Buch über Erziehung oder – besser gesagt – Beziehung herausgebracht hat.

„Dabei ist es ganz normal, Fehler zu machen. Viele sind zu streng mit sich selbst und vergessen darüber das Wichtigste: Unser Zuhause sollte ein Schutzraum sein, ein Ort, der weich ist und nicht leistungsorientiert. Dann herrscht eben mal Chaos und man klopft sich ‚nur‘ dafür auf die Schulter, dass alle noch am Leben sind.“ Den Druck rausnehmen, damit trifft Nora Imlau in ihrem aktuellen Buch Bindung ohne Burnout einen Nerv. 

Viele Familien heute wollen es anders machen als die Generationen vor ihnen – mit Perfektionismus und ganz viel Unsicherheit im Gepäck. Und der eigenen Kindheit, die uns gerade in Wutausbrüchen und Momenten vollkommener Ohnmacht einholt. Das ist schmerzhaft. Und anstrengend. Für alle.

„Ich glaube, dass es den meisten Eltern nicht möglich ist, ihren Kindern eine gewaltfreie Kindheit zu schenken mit den Prägungen, die wir haben. Ich spreche hier auch von psychischer Gewalt, wie Strafen durch Handy wegnehmen, Hausarrest, erpressen, schimpfen oder beschämen. Aber ich glaube, dass wir ihnen eine gewaltfreiere Kindheit schenken können, sagt Nora Imlau, für die radikale Selbstfürsorge dabei entscheidend ist.

Die Vierfachmama fragt sich täglich, was ihre Ampel gerade zeigt, und entscheidet dann, was geht und was nicht. An manchen Tagen sind das Spinatstäbchen aus der Tiefkühltruhe und Fernsehen im Schlafanzug, während draußen die Sonne scheint. 

Tipp: 
Fragen Sie sich mehrmals am Tag, was Ihre Ampel gerade zeigt. Das Ampelsystem hilft, rechtzeitig die Reserven aufzufüllen und nicht erst zu reagieren, wenn man bereits mit dem Rücken an der Wand steht. Steht sie auf Grün? Wunderbar, dann geht es vielleicht ins Schwimmbad, in die Bibliothek oder auf den Spielplatz. Zeigt sie Gelb, ist Zeit für Selbstfürsorge und die Lieblingsserie Ihres Kindes. 

Weil gut genug ausreicht 

„Wenn wir uns mal wieder als Eltern von unserem Alltag überwältigt fühlen, nur noch reagieren statt agieren, machen Sie sich klar: Sie können nicht alles schaffen“, sagt Nora Imlau. „Das Gefühl von Selbstwirksamkeit beginnt damit, wie wir mit uns selbst sprechen.

Auch sie hat vor Jahren eine psychologische Beratungsstelle aufgesucht, weil sie nicht die Mutter war, die sie sein wollte, und ständig die Stimme ihres inneren Antreibers abends im Bett hörte, der ihr all ihre Verfehlungen des Tages aufsagte: „Heute warst Du wieder spät dran“, „Du hast geschimpft, warst genervt“.

Damals sagte man mir: ‚Wenn Sie authentisch statt autoritär sein wollen, müssen Sie anfangen, liebevoll mit sich selbst zu sprechen – am besten laut.‘“ Ist sie heute mal wieder spät dran, sagt sie sich: „Du bist seit drei Stunden auf den Beinen, hast Frühstück gemacht, Kuscheltiere gesucht, Nasen geputzt, eine Hose genäht und daran gedacht, der Großen Glück für ihre Mathearbeit zu wünschen.“ Es ist ein Weg, der aus der Opferrolle herausführt, stark macht und mutig.

Um darüber zu sprechen, warum das Hemd heute ungebügelt, die Augenringe tief und die Emotionen locker sitzen. Weil Familie passiert ist. Lief das Leben davor vielleicht geordnet, mit jedem Menschen mehr und seinen Bedürfnissen wird es aufwendiger und komplizierter. Das führt zu Reibereien. Darin liegt jedoch auch die Chance, den Erziehungsautomaten neu zu programmieren. Ja, das ist verdammt schwer. Und ja, oft muss man erst erleben, wie falsch sich etwas anfühlt.

„Aber Bindung kann immer wachsen und heilen, wenn sie mal gelitten hat“, so Nora Imlau. „Und die Basis dafür ist ein liebevoller, wertschätzender Umgang miteinander.“ 

Ein liebevoller Umgang erfordert Authentizität 

Familie – das ist im besten Fall ein Ort, an dem jeder er selbst sein kann. An dem sich das Kind schreiend auf den Boden wirft. Nicht weil es unerzogen ist, sondern sich bedingungslos geliebt fühlt.

„Es ist nicht meine Aufgabe, dass meine Kinder immer glücklich sind“, sagt Nora Imlau. „Es ist meine Aufgabe, mit ihnen alle Gefühle auszuhalten, die sie haben.“

Nicht immer gelingt uns das gleichermaßen gut. Nicht immer können wir einen Schritt zurücktreten, uns einfühlen und manchmal holt uns die Vergangenheit ein. Aber auch dafür können wir Worte finden. Alle sind wir verletzlich, unzulänglich und begrenzt. Je offener wir damit umgehen, desto leichter fällt uns ein liebevoller Umgang mit uns und unseren Kindern. Desto leichter können wir nett „Nein“ sagen.

Der verstorbene Erziehungsexperte Jesper Juul nannte es „Nein aus Liebe“, Nora Imlau „Meine Grenze ist Dein Halt“, dem sie ein ganzes Buch widmete.

„Während beim klassischen Erziehen kindliche Bedürfnisse oft ignoriert werden und deswegen langfristig unerfüllt bleiben, passiert beim neuen, sanften, liebevollen Elternsein oft dasselbe mit den elterlichen Bedürfnissen“, schreibt sie darin. „Wir müssen Grenzen nicht setzen. Wir müssen sie nur wieder spüren – und zeigen.“

Und je authentischer, respektvoller und empathischer uns das gelingt, desto leichter fällt es unseren Kindern später mit ihren auch. 

Tipp: Sehenswert 
Der Dokumentarfilm „Liebe, Wut & Milchzähne“ über goodenoughparents.de 

Nora Imlau

Portrait von Nora Imlau

Sie ist Journalistin und Fachautorin für bindungsorientierte Erziehung © Nessi Gassmann

Wenn Nora Imlaus Mann nach Hause kommt und sich zwischen Legosteinen und Kuscheltieren mit dem Smartphone auf die Couch fläzt, wirft sie ihm nicht vor, nichts zu tun. Räumt er stattdessen die Spülmaschine aus, nimmt sie das nicht als selbstverständlich. „Danke“ ist ein Wort, das bei den Imlaus zu Hause oft fällt. Auch, wenn daheim Chaos herrscht, der Kühlschrank leer und der Wäscheeimer voll ist. Ein Wort, das zeigt: „Ich weiß, was Du jeden Tag leistest.“ „Uns tut es gut, unsere Empathie und Wertschätzung in Worte zu fassen“, so die Fachautorin für Familienthemen, deren Leitstern in Beziehungsfragen die Frage ist: „Was brauche ich und was brauchst Du?“

Mehr zur Expertin unter: nora-imlau.de 

Nora Imlau: Bindung ohne Burnout – Kinder zugewandt begleiten ohne auszubrennen. Beltz, 205 Seiten, 20 Euro

10 Ideen für mehr Leichtigkeit im Hier und Jetzt 

Aus Nora Imlaus Buch „Bindung ohne Burnout“: 

  1. Mehr Betreuungsstunden buchen und lieber öfter mal einen Kaffee trinken oder in Ruhe zu Mittag essen. 

  2. Hilfe holen. Großeltern einspannen, Freunde bitten, einem etwas beim Einkaufen mitzubringen. 

  3. Sich mit anderen zusammenschließen und vielleicht einen Abend in der Woche abwechselnd mit Freunden kochen oder die Kinder abwechselnd vom Kindergarten abholen. 

  4. Sich gegenseitig ausschlafen lassen. An den Wochenenden ist das für viele Paare möglich, so kommt jeder zumindest einen Tag in der Woche in den Genuss, länger liegen zu bleiben. 

  5. Sich etwas wert sein. Ja, man kann selbst kochen, putzen, den Teig kneten oder Essen bestellen, eine Haushaltshilfe einstellen und in eine Küchenmaschine investieren. Viele legen für ihre Kinder jeden Monat etwas zur Seite. Eine Anschubfinanzierung ist toll, aber wichtiger ist, dass Eltern bis dahin nicht ausbrennen. 

  6. Auf Pragmatismus setzen. Oft werden 80 Prozent des Ziels mit 20 Prozent Aufwand erreicht. Für die letzten 20 Prozent werden häufig 80 Prozent fällig. Nennt sich Pareto-Prinzip und will uns sagen: 80 Prozent Leistung reichen meist vollkommen aus, wie etwa Wäsche waschen, aber nicht bügeln. 

  7. Aus dem Hausaufgabenkampf aussteigen. Die Schule sollte nicht zwischen einem und dem Kind stehen oder die Beziehung zueinander gefährden. Alles, was zählt: trösten und da sein, wenn das Kind Hilfe braucht und annimmt. 

  8. Das Nichtstun zelebrieren. Sich treiben lassen, im Moment sein, sich auf das einlassen, was da ist. Es ist okay, 24 Stunden im Schlafanzug zu bleiben und einfach nur zu Hause abzuhängen. 

  9. Work hard, party hard. Gerade in der Lebensphase mit kleinen Kindern, in der man viel zurücksteckt, ist ein Abend im Monat für sich wichtig. Oder auch ein Paarabend oder Wochenende. 

  10. Keine Angst haben vor der Zukunft. Wir können nur hoffen und darauf vertrauen, dass alles gut bleibt. Und mit unseren Kindern in Beziehung bleiben. 

Ende der Auflistung