Ein Gefühl für sich selbst
Höre in Dich hinein: Bist Du eins mit deinen Gefühlen? Kannst Du sie einordnen? Mit ihnen umgehen? ¹⁾
Inspirationstalk mit Psychologie-Podcaster Lukas Klaschinski
Wer seinen Gefühlen Raum gibt, stärkt die Verbindung zu sich selbst. Psychologe Lukas Klaschinski zeigt, wie wir durch den Kontakt mit unseren Emotionen mehr Klarheit gewinnen.
Der Wind, der ihn trägt. Die Kraft, die ihn hebt. Für den Psychologen Lukas Klaschinski war das Kitesurfen in Südafrika der Inbegriff von Freiheit. Doch der Moment, als er in ungewohnter Höhe durch die Luft gezogen wurde und hart aufprallte, wurde für ihn zum Wendepunkt. „Ich stellte mir immer wieder die Frage: Was, wenn mein Leben jetzt vorbei gewesen wäre? Habe ich alles getan, was ich tun wollte?“ Die Antwort darauf überraschte ihn: „Getan ja, aber nicht gefühlt.“ So begann seine Reise zu sich selbst und einem neuen Verständnis von emotionaler Stärke.
Was passiert, wenn wir nicht fühlen?
Wir alle kommen mit der Fähigkeit zu fühlen auf die Welt. Trotzdem haben heute nicht alle Menschen einen guten Kontakt zu ihren Gefühlen. Das gesellschaftliche Interesse an psychologischen Themen wächst – es gibt zahlreiche Bücher oder Podcasts als Ratgeber. Aber wissen heißt nicht gleich verinnerlichen. Muster aus der Vergangenheit wirken weiterhin nach. Alte soziale Prägungen werden über Generationen weitergegeben und beeinflussen die Art und Weise, wie wir heute mit Emotionen umgehen.
„Das liegt an unserer kollektiven Prägung: In der Geschichte hatten Gefühle keinen Platz“, erklärt Lukas Klaschinski. „Während und nach dem Zweiten Weltkrieg mussten viele Menschen nicht nur körperlich, sondern auch emotional überleben – durch Verdrängung, Anpassung und Schweigen. Diese Muster wurden oft unbewusst weitergegeben.“
Das führt zu einer inneren Verhärtung. „Es ist wie ein Tanz, dessen Schritte man als Kind kannte, aber längst verlernt hat“, so der Psychologe. Deshalb fällt es vielen Menschen auch heute noch schwer, unangenehme Gefühle wie Angst, Trauer oder Wut wirklich zuzulassen und zu fühlen. Sätze wie „Stell dich nicht so an“ haben sich tief in das Gefühlsleben eingegraben und prägen die Art und Weise, wie wir mit solchen Gefühlen umgehen.
Mit Emotionen wachsen
Wer sich selbst besser versteht, kann auch empathischer auf andere eingehen. Das zeigt sich besonders in der Elternschaft. Wenn Eltern ihre eigenen Emotionen wahrnehmen und zulassen, legen sie damit auch für ihre Kinder einen Grundbaustein für einen gesunden Umgang mit ihnen.
Lukas Klaschinski macht das mit seiner Tochter ganz praktisch: mithilfe sogenannter Emotionskarten. Darauf stehen die Emotionen Wut, Freude, Angst oder Traurigkeit. Gemeinsam sprechen sie darüber, wann sie ein Gefühl zuletzt erlebt hat und ob es ihr in dem Moment geholfen hat. So entsteht ein spielerischer Zugang zur eigenen Gefühlswelt und die Gewissheit: Alles, was ich fühle, ist wichtig. „Keine Emotion ist falsch oder überflüssig. Die Kunst liegt nicht darin, sie loszuwerden, sondern mit ihr in Beziehung zu treten“, erklärt der Psychologe.
Der Körper spricht mit
Gefühle, die keinen Ausdruck finden dürfen, verschwinden nicht. Sie ziehen sich zurück – in die Muskulatur oder in das Nervensystem. Dort können sie zu Verspannung, Reizbarkeit, Erschöpfung, Bluthochdruck oder depressiven Verstimmungen führen.
Jeder fühlt anders
Gefühle äußern sich über den Körper – doch diese Signale wahrzunehmen fällt vielen schwer. Lukas Klaschinski beschreibt das so: „Viele Menschen haben über den Körper gar keinen Zugang mehr zu ihren Gefühlen – da ist wenig Repräsentanz, also wenig Rückmeldung.“ Doch das bedeutet nicht, dass der Körper schweigt. Vielmehr werden seine Signale nicht mehr als Ausdruck emotionaler Zustände erkannt. Gefühle äußern sich dann indirekt, zum Beispiel über Spannung, Druck oder innere Unruhe. Doch weil die Verbindung zum inneren Erleben fehlt, bleiben diese körperlichen Hinweise oft unbenannt und verunsichern.
Wer beginnt, diese Signale zu erkennen, kann auch die Angst davor verlieren: „Alles, was wir benennen können und kennen, ist nicht mehr so fremd“, sagt der Psychologe. Deshalb hilft es, auch sprachlich mit dem, was man fühlt, in Kontakt zu kommen: Gefühle zu benennen, sie vielleicht sogar zu beschreiben – ohne sie sofort verändern zu wollen.
Für sich einstehen
Gefühle zu zeigen, erfordert Mut – besonders, wenn sie auf Widerstand stoßen. „Wenn jemand gar keine Akzeptanz für die eigenen Gefühle hat, dann können wir mit ihm auch nicht in Beziehung stehen“, sagt Lukas Klaschinski. In solchen Momenten hilft es, bei sich zu bleiben: „Ich empfinde das so, wenn du das anders siehst, ist das deine Wahrnehmung.“
Gefühle verlieren nicht an Wert, nur weil sie jemandem nicht einleuchten. Sie sind die Grundlage für alles, was uns verbindet. „Gefühle sind das, was uns mit uns selbst, mit anderen und mit der Welt in Beziehung bringt“, betont Lukas Klaschinski.
Eine Reise in die Vergangenheit
Manches, was uns im Alltag emotional trifft, hat weniger mit der aktuellen Situation zu tun, sondern mit etwas, das schon lange in uns wirkt. Lukas Klaschinski erklärt: „Es gibt Gefühle, die weisen auf die Vergangenheit hin. Die sagen uns: Da ist etwas, das wir früher nicht aufgelöst haben.“
Er berichtet, wie er selbst mit solchen Mustern konfrontiert war: „Ich habe in meiner Kindheit sehr heftige Erfahrungen mit männlichen Bezugspersonen gemacht. Später habe ich dann auf Polizei oder Lehrer sehr negativ reagiert.“ Situationen, die für andere neutral wirkten, lösten in ihm starke Gefühle aus.
Raum für neues Denken
Entscheidend war für ihn die Erkenntnis: „Das war gar nicht der Polizist oder der Lehrer, sondern meine Geschichte, die da gesprochen hat.“ Erst als ihm das bewusst wurde, konnte er innerlich Abstand gewinnen und mit mehr Verständnis auf sich selbst schauen. Heute begegnet er Autoritätspersonen freundlicher.
Diese alten Prägungen wirken wie ein inneres Programm, das wir zunächst entschlüsseln müssen, um uns nicht mehr unbewusst davon steuern zu lassen. Solche Erfahrungen zeigen: Bei heftigen Emotionen lohnt es sich, genauer hin- und vor allem in die Vergangenheit zu schauen.
#goodvibesonly
Gerade auf Social Media verschwimmen diese Grenzen schnell: zwischen dem, was wir fühlen, und dem, was wir zu fühlen glauben. Emotionen werden oft einseitig dargestellt oder bewusst zugespitzt. Dort scheint oft nur Platz für gute Laune zu sein, woraus schnell der Eindruck entsteht, dass nur positive Gefühle „erlaubt“ sind.
Dabei sind echte Gefühle leiser, roher, widersprüchlicher. „Gefühle sind wie Wetter: Sie wechseln. Niemand ist nur gut drauf. Wir sind traurig, freudig, wütend, ängstlich – manchmal alles gleichzeitig“, sagt Lukas Klaschinski. Der Druck, ständig glücklich wirken zu müssen, auch toxische Positivität genannt, kann dazu führen, dass wir Wesentliches verdrängen.
Fühlen gibt Halt
Gefühle wahrzunehmen, einzuordnen und auszuhalten, ist eine Fähigkeit, die wir lernen können. Sie hilft auch in öffentlichen Debatten, in denen Emotionen oft instrumentalisiert werden: Wer mit sich im Reinen ist, lässt sich weniger leicht von lauten Meinungen mitreißen und begegnet anderen mit mehr Empathie.
Lukas Klaschinski Autor, Podcaster, Psychologe
Gefühle aushalten ist eine Fähigkeit, die wir lernen können, sagt der Psychologe Lukas Klaschinski. © Katharina Pasemann
In seinem Buch „Fühl dich ganz“ verbindet er psychologisches Wissen mit seinen persönlichen Erfahrungen und zeigt, warum es sich lohnt, die eigenen Emotionen zu fühlen und zu verstehen. Für seine Erkenntnisse scheut er keine Selbstexperimente – ob allein in völliger Dunkelheit, beim Paarcoaching oder an einer Steilwand trotz Höhenangst. Seine Mission: Menschen dabei zu begleiten, sich selbst wieder zu spüren und besser zu verstehen – durch echtes Fühlen, ehrliche Beziehungen und mehr Selbstmitgefühl.
Instagram: @lukas.klaschinski
Rituale für mehr Selbstkontakt
Diese Übungen helfen dabei, sich selbst wieder besser zu spüren:
Quadratatmung
Vier Sekunden einatmen – vier halten – vier ausatmen – vier halten. Wirkt stabilisierend auf Atem, Herzschlag und Nervensystem.Luftbeinpresse
Kräftig die Oberschenkel und das Gesäß anspannen, als würde ein Ball zwischen den Beinen zerdrückt werden. Einige Sekunden halten, dann locker lassen. Hilft, Anspannung oder Wut abzuleiten.- Body Scan
Mit geschlossenen Augen gedanklich durch den Körper reisen – von Kopf bis Fuß. Wahrnehmen, wo Enge oder Unruhe spürbar ist – ohne etwas ändern zu müssen.
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