So wichtig sind Großeltern

Die Beziehung zwischen Großeltern und Enkeln ist oft intensiver als in früheren Generationen. © Marina Beilina
Inspirationsthema über die Beziehung zu den Großeltern mit der Psychologin Hannah Blankenberg
Großeltern sind für Kinder wichtige Bezugspersonen und für Eltern Entlastung. Umgekehrt genießen Oma und Opa die Zeit mit den Enkeln als Betreuungs-Kür ohne Erziehungspflichten. Win-win also? Im Prinzip ja. Ein paar Hürden gibt es allerdings meist doch zu überwinden.
Immer wieder nachmittags wird es offenbar: Großeltern sind sehr gefragt. Überall sieht man Omas und Opas, wie sie in Schwimmbädern, auf Spielplätzen, in Parks oder im Zoo mit ihren Enkeln viel Spaß haben. Und man ahnt schon, dass das auch jene freut, die gerade nicht dabei sind. Schließlich sind es oft die Großeltern, die Eltern den Rücken für einen einigermaßen geregelten Berufsalltag freihalten. Die einspringen, wenn das Kind mal krank ist. Die Betreuungslücken ausgleichen, die Kita oder Grundschule offen lassen. Und zwar nicht nur als ein „Notnagel“, sondern mit großem Benefit für Kinder.
Chillen für Fortgeschrittene
„Großeltern spielen in der Familienstruktur eine Schlüsselrolle. Sie können den Enkeln oft etwas geben, das Eltern in ihrem meistens stressigen Alltag zumindest nicht in gleichem Maße geben können. Das sind vor allem Zeit, Ruhe und Gelassenheit,“ so die Psychologin und systemische Beraterin Hannah Blankenberg.
Opa und Oma können ja schon deshalb entspannter sein, weil sie oft nicht mehr so stark im Arbeitsalltag stecken und deshalb auch die Geduld aufbringen, dem Fünfjährigen zum 20. Mal auf die Rutsche zu helfen. Oder sich die selbst erfundene Geschichte der Vierjährigen in Harry-Potter-Länge anzuhören, ohne auch nur einmal aufs Smartphone zu schielen. Bei ihnen kann die Küche nach dem Backen wie eine Winterlandschaft aus Mehl aussehen, weil sie eben nicht darüber nachzudenken brauchen, wie lange das Aufräumen dauern wird – und damit die Zeit für ein paar wichtige E-Mails oder den Einkauf fehlt.
Großeltern zur Miete
Und noch in einem weiteren Punkt seien die Beziehungen zwischen Enkeln und Großeltern bemerkenswert. „So lernen ganz junge Menschen die Lebenswelt von älteren Menschen kennen und umgekehrt,“ sagt Hannah Blankenberg.
Kein Wunder, dass die Nachfrage groß ist und Dienstleister versuchen, etwaige Großeltern-Versorgungs-Lücken durch einschlägige Angebote wie „Leihoma“ oder „Granny Aupair“ zu füllen. Nicht jeder hat schließlich Opa und Oma in der Nähe und dann haben die Großeltern von heute bisweilen durchaus auch ihre eigenen Pläne. Wollen reisen, noch mal studieren, füllen ihre Tage auch im Ruhestand mit zig Aktivitäten. „Dass es trotzdem so viele enge Großeltern-Enkelkind-Beziehungen gibt, das ist schon etwas Besonderes,“ sagt Hannah Blankenberg.
Erntezeit für Oma und Opa
Nach Zahlen des Deutschen Zentrums für Altersfragen betreut jedes vierte Großelternpaar in Deutschland regelmäßig Enkelkinder; sporadisch helfen mehr als die Hälfte der Großeltern aus. Dabei genießen sie ein ganz besonderes Privileg, erklärt Hannah Blankenberg: „Weil Oma und Opa keinen Erziehungsauftrag, keine Überlebensverantwortung mehr haben, ist für sie sozusagen Erntezeit. Sie können sich die Rosinen herauspicken.“
Das meint auch, dass Großeltern die kostbare Zeit mit den Enkeln möglichst ungetrübt von Querelen genießen wollen, die mit Verboten und Regeln einhergehen. Das ist für Kinder großartig, aber gleichzeitig häufige Ursache für Konflikte.
Süßigkeiten-Ärger
Da gibt die Mutter ihre Zwillinge mit der strikten Maßgabe ab „Bloß nicht so viel Fernsehen!“, um später zwei nach einer Stunde „Paw Patrol“ total aufgedrehte Fünfjährige abzuholen, die nachts auch noch schlecht träumen. Auch Süßigkeiten- und Fleischkonsum sind typische Krisenherde. Großeltern denken, sie sollen nicht verwöhnen dürfen. Eltern fühlen sich in ihrer Sorge um die Konsequenzen nicht ernst genommen.
Dabei liegen manchen Konflikten bloß Missverständnisse zugrunde. Wie schädlich zu viel Zucker ist, war kaum ein Thema, als die Eltern selbst klein waren. Dass sie das ganz gut überlebt haben, führt dann bei Großeltern zu dem Trugschluss, aus Erfahrung wirklich besser zu wissen, dass Schokolade auch in einer höheren Dosierung nicht schlimm sein kann.
Neue Rollenverteilung
Wenn etwa Eltern glauben, spät noch den Nachweis erbringen zu müssen, alles ganz alleine zu können, sich nicht ernst genommen und respektiert fühlen. Zumal, wenn sich Großeltern ihnen gegenüber noch wie Erziehungsberechtigte verhalten – „Ich bin die Mutter, du bist das Kind. Ich weiß, was gut für dich, für uns, für uns alle ist.“
Lizenz zum Toben
Großeltern haben eben keine Erziehungsverantwortung und auch keine Erziehungsberechtigung. Das macht es gleichzeitig schwer und leicht, sagt Hannah Blankenberg. „Schwer, weil sie die Regeln der Eltern ohne Wenn und Aber zu respektieren haben. Leicht, weil Großeltern durchaus verwöhnen dürfen.“
Sie können 25-mal mit ihren Enkeln dieselbe Märchenkassette hören, während die Eltern sagen: „Nach einer ist Schluss.“ Sie können die Kinder auf dem Sofa hüpfen lassen, während das daheim verboten ist. „Nach Absprache können Kinder auch länger aufbleiben oder eine Sendung mehr schauen. Eltern machen sich oft Sorgen, dass es dann daheim auch so laufen soll. Aber Kinder können durchaus zwischen verschiedenen Betreuungskonzepten unterscheiden.“
Fehler-Management
Man müsse den Eltern zugestehen „dass es vielleicht neue Erkenntnisse, neue Methoden in der Erziehung gibt oder einfach andere Wege, als den, den sie selbst beschritten hatten“. In hartnäckigen Fällen von unbelehrbarer Rechthaberei empfiehlt die Psychologin Sätze wie „Okay, liebe Mama, lieber Papa, erlaubt mir doch, meine eigenen Fehler zu machen.“ Oder „Danke, ich werde darüber nachdenken!“
Viel Friede ließe sich außerdem schon schaffen, wenn man sich vergegenwärtigt: Alle Beteiligten wollen nur das Beste und bringen das Beste mit, nämlich sehr viel Liebe für das Kind.
Schon gewusst?
Männer sind bei der Geburt ihres ersten Enkelkindes durchschnittlich 55,7 Jahre alt, Frauen durchschnittlich 52,8 Jahre.**
Hannah Blankenberg – Psychologin (M.Sc) und systemische Beraterin
© Hannah Blankenberg/privat
Hannah Blankenberg begleitet Eltern, berät Pädagogen und hilft Familien dabei, ein friedvolleres Familienleben zu führen. Sie hat außerdem mehrere E-Books zu Familienthemen veröffentlicht. „Ohne meine Oma wäre ich heute nicht die Mutter, die ich für mein Kind gern sein möchte.“
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**Quelle: „Großeltern in Deutschland: Befunde des Deutschen Alterssurveys (DEAS) 2008-2020/21“, Deutsches Zentrum für Altersfragen
