So gut tut Kreativität

Fantasie, Kreativität – Melanie Raabe (kleines Bild) erklärt im Inspirationstalk, wie wir beides im Alltag nutzen können. © Westend61/Image Source RF Philippa Langley, gettyimages/PepeLaguarda, Marina Rosa Weigl
Inspirationsthema mit Melanie Raabe
Die Butter ist aus, Du bekommst überraschend Besuch, die Tochter will nur als Einhorn zur Tür raus – unser Alltag verlangt ständig nach kreativen Lösungen. Eine Chance, ihn aufregender und uns glücklicher zu machen.
Der Ast wird zum Malstock, aus Blumen und Blättern ein Mandala und der Versandkarton zum mehrstöckigen Parkhaus. Jedes Kind hat den Wunsch, sich auszudrücken und kann divergent denken. Das heißt so viel wie, offen und spielerisch Probleme angehen. Kurz: Wir sind von Natur aus kreativ. Kinder sind darin nicht besser, sie haben nur schlicht mehr Spielraum, um sich treiben zu lassen und eigene Wege zu gehen. Ihre Motivation ist intrinsisch: Sie gestalten, bauen, malen und spielen, weil es ihnen Freude bereitet. Missgeschicke gehören ganz selbstverständlich dazu. Dann kommen sie in die Schule in der sinnstiftendes, selbst gewähltes Lernen und „Out of the Box“-Denken noch immer die Ausnahme von der Regel ist. Gut, dass kreatives Handeln wie Radfahren ist. Wir verlernen es nie. „Man muss nur die Angst, nicht gut genug zu sein, als Erwachsener wieder verlernen“, sagt Schriftstellerin Melanie Raabe.
Sie muss sich selbst beim Schreiben auch immer wieder daran erinnern, den Prozess zu genießen, statt an das Ergebnis zu denken. „Das heißt für mich auch, mich zu bestimmten Zeiten von Social Media fernzuhalten, um ganz bei mir zu sein.“ Kreativität braucht diesen geschützten Raum, frei von Vergleichen und Bewertungen anderer, um ganz bei sich zu sein und seiner Mitwelt. „Der richtige Mix aus Trubel und Ruhe ist für mich daher entscheidend“, so Melanie Raabe. „Ich muss raus in die Welt und aus meiner Bubble. Dafür nutze ich die Gelegenheit, wenn ich beim Coffeeshop in der Schlange stehe oder mit dem Taxi fahre, um casual mit Menschen ins Gespräch zu kommen. So fülle ich meinen Brunnen. Will ich dann aus ihm schöpfen, brauche ich Stille und Ruhe.“
Erfahrungen und Emotionen sind uns Pinsel & Farbe
Für die Schriftstellerin ist Kreativität so individuell wie natürlich. Ein Werkzeug, um sich und die Welt zu erschließen. Je öfter es zum Einsatz kommt, desto geschickter & selbstverständlicher nimmt man es zur Hand. Dafür braucht es nicht nur den Raum, um sich mit sich selbst, seinen Talenten, Vorlieben und Inspirationsquellen zu befassen und zu fragen: „Was mache ich gerne?“, „Was hemmt mich?“, „Was beflügelt mich?“. Es braucht Übung. Kreativitätstechniken sind da wunderbar. Eine ist beispielsweise die Zerlegungsstrategie, bei der man etwas auseinandernimmt, um es neu zusammenzusetzen. Eine andere nennt sich Walt-Disney-Methode, bei der man abwechselnd in die Rolle des Träumers, des Realisten und des Kritikers schlüpft. Ziel ist meist immer ein Perspektivwechsel. Melanie Raabe gelingt dieser am besten, wenn sie alleine verreist. „Aber auch zu Hause, wenn ich durch meinen Wohnort Köln spaziere und mir einen Vormittag lang nur die Street Art ansehe, entdecke ich viel Neues.“ Denn jede Kreativitätstechnik ist nur so gut, wie sie Spaß macht. Nur was einem gefällt, wendet man auch regelmäßig an. Und Übung macht die Meisterin. So ist die Schriftstellerin mittlerweile eine im Schlechtschreiben. Das ist übrigens auch eine sehr beliebte Taktik in Gruppen- Brainstormings und nennt sich „Kopfstandmethode“: Statt zu überlegen, wie man etwas verbessern kann, stellt man sich die Frage: „Wie geht es schlechter?“ Das löst ungemein und nimmt einem die Angst in großer Runde oder vor dem weißen Blatt.
Macht Langeweile kreativ?
Neben Angstfreiheit und Achtsamkeit ist aber noch ein drittes A entscheidend: die Ablenkung. Hast Du Dich auch schon mal gefragt, weshalb Dir die besten Ideen meist unter der Dusche, beim Abwasch oder Müll rausbringen einfallen und nicht etwa, wenn Du intensiv darüber nachdenkst?
Das liegt daran, dass es kognitiv sehr anstrengend ist, sich von seiner ersten Eingebung und Idee wieder zu verabschieden. Erst wenn wir uns gedanklich von dem Thema lösen, können wir neue Verknüpfungen herstellen. Offene Probleme arbeiten unbewusst in uns weiter. Kreative Ideen fliegen uns somit nicht einfach zu, auch wenn es den Anschein macht. Meist hat man sich davor intensiv mit einer Sache befasst. Falls Du also nach stundenlangem Brüten oder intensivem Brainstormen nicht weiterkommst, kann sich ein Spaziergang lohnen.
Wichtiger als Motivation sind gute Gewohnheiten
Wer wie Melanie Raabe einen kreativen Beruf ausübt, weiß auch, dass Motivation vollkommen überbewertet ist: „Ich bin nicht jeden Tag motiviert. Ich fange einfach an und dann bin ich es irgendwann. Schwierig ist immer nur diese erste Hürde.“ Dabei helfen einem gute Gewohnheiten, wie festgelegte Zeiten, eine entspannte Atmosphäre oder die Lieblingsplaylist. „Die Macht der Gewohnheit hilft einem, für sich gute Routinen zu etablieren, die uns von der Motivation befreien“, sagt Melanie Raabe, die all ihre Eindrücke, Gedanken und Erlebnisse handschriftlich festhält. Das fördert Kreativität und Konzentration, da beim Schreiben von Hand andere Areale im Gehirn aktiviert werden als beim Tippen. „Auch fühlt es sich direkt etwas entfernter an, wenn ich tippe“, so die Schriftstellerin, die ihr Notizbüchlein immer bei sich trägt.
Ansonsten versucht sie, die Dinge, die sie zum Schreiben braucht, so niedrigschwellig wie möglich zu halten, und Kreativität als das zu sehen, was sie ist: eine Lebenseinstellung. „Die größten Gegner sind unsere inneren Kritiker, gegen die wir nie fertig werden, anzuarbeiten“, so die 42-Jährige, die bei ihren Feedbacks immer besonders zart ist. „Kritik kann sehr vernichtend sein. Wir unterschätzen meist, was sie mit uns macht.“ Im Schlechten genauso wie im Guten. Was einmal mehr zeigt, wie sehr wir einander durch eine positive Feedback- und Fehlerkultur empowern können, zu werden, wer wir sind.
11 Inspirationsquellen von Melanie Raabe:
- Im Café sitzen, lesen, den Gedanken nachhängen, Leuten am Nachbartisch zuhören oder online die Sounds verschiedener Coffeeshops anhören
- Lange, ruhige Bahnfahrten
- Gespräche mit alten Menschen
- New York City
- Auf Pinterest Moodboards zu bestimmten Themen anlegen
- Märchen aus aller Welt, vor allem die der Brüder Grimm
- Spannende Autobiografien wie die von Michelle Obama oder Dirk Nowitzki
- Rom
- Gedichte von Warsan Shire
- Kochen
- Museen
Frage Dich:
- Was tue ich gerne?
- Worin war ich als Kind gut?
- Womit würde ich meine Zeit verbringen, wenn ich kein Geld verdienen müsste?
- Wie arbeite ich gerne? Alleine? Mit anderen? Langsam und stetig oder in kreativen Sprints?
- Geordnet? Intuitiv?
- Blühe ich auf, wenn ich multitaske oder versinke ich gerne über einen längeren Zeitraum in eine einzelne Aufgabe?
- Will ich in dem, was ich mache, besser werden? Oder will ich einfach nur mehr Spaß haben?
- Suche ich eine neue Herausforderung oder Entspannung?
Aus Melanie Raabes Buch „Kreativität“
Melanie Raabe, Buchautorin
Buchautorin Melanie Raabe hat Tipps, wie man Kreativität nutzen kann. © Marina Rosa Weigl
Sie stellt sich selbst als gescheiterte Schauspielerin, gescheiterte Tänzerin und gescheiterte Lyrikerin vor. Weil Scheitern ein wichtiger Teil ihrer kreativen Erfolgsgeschichte ist und sie zum Prosa schreiben führte. Für ihren Debütroman „Die Falle“ brauchte sie zehn Jahre und fünf Anläufe. Danach folgten vier weitere Romane und zwei Hörspielserien. Heute lebt sie vom Schreiben und gibt ihre Erfahrungen zum Thema Kreativität weiter – nach ihren Lesungen am Signiertisch und in ihrer Podcastreihe „Keine große Kunst“ sowie „Raabe & Kampf“, einem Podcast, den sie gemeinsam mit ihrer Freundin und Künstlerin Laura Kampf vor einigen Jahren aufgenommen hat. In den 45-minütigen Folgen konnte sie längst nicht alles zum Besten geben. Und so schrieb sie kurzerhand ihren ersten Ratgeber.
Buch-Tipp
Jeder ist kreativ
Melanie Raabe: KREATIVITÄT – Wie sie uns mutiger, glücklicher und stärker macht. Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, 352 Seiten, 11 Euro.
