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Aus Streit entsteht Neues

Ein Mann und eine Frau stehen sich gegenüber in einem hellen Raum mit offenem Fenster, die Frau gestikuliert mit der rechten Hand, während der Mann seine Arme verschränkt hält, beide haben unscharfe Gesichter, im Hintergrund ist ein grüner Baum sichtbar, rechts im Bild steht ein gelber Lautsprecher auf einem Tisch, auf einem lila Banner steht der Text Richtig streiten kann man lernen.

Miteinander reden, Bedürfnisse aussprechen, Lösungen finden - Streiten ist oft auch konstruktiv ¹⁾

Inspirationsthema über richtiges Streiten mit der Kommunikationsexpertin Miriam Kolodziej

Konflikten gehen die meisten von uns lieber aus dem Weg. Dabei ist gerade das vermeintliche Gegeneinander die Basis für ein sehr viel besseres Miteinander. Der Weg zu mehr Nähe, Fairness und Verständnis ist viel leichter, als viele denken.

Schon Johann Wolfgang von Goethe hat es wärmstens empfohlen. Er schrieb, man müsse sich manchmal einfach streiten, „denn dadurch erfährt man was voneinander“. Tatsächlich kann man andere bei Auseinandersetzungen durchaus von einer ganz anderen Seite kennenlernen. Als Eltern erfährt man vielleicht, dass ein pubertierender Teenager es schafft, drei Türen in nur fünf Sekunden zuzuknallen. 

Als Ehepartner möglicherweise, wie unglaublich laut der oder die andere schweigen kann. Da hätten wir ein paar exzellente Gründe beisammen, warum wir Streit so gern aus dem Weg gehen. „Aus Angst, er könne die Beziehung belasten, Vertrauen schädigen oder einfach, um unangenehme Situationen und auch Gefühle zu meiden“, so Miriam Kolodziej. 

Lösungsorientiert

Die Berlinerin ist zertifizierte Kommunikationstrainerin und „Expertin für schwierige Gespräche“. Sie kennt die Sorgen, die eine drohende Auseinandersetzung gewöhnlich begleiten, aus ihrer Beratungspraxis. Dann stellt sie eines klar: „Der Streit ist immer auch ein guter Anlass, sich besser kennenzulernen. Zu klären, was willst Du? Was will ich? Was brauchst Du? Was brauche ich?“ Streiten, so sagt sie, bedeute zunächst, dass ich für meine Bedürfnisse eintrete, sie ernst nehme. 

Beginnen Probleme da, wo andere eben ihre Bedürfnisse auch ernst nehmen und durchsetzen wollen? Ein Irrtum, so Miriam Kolodziej. „Dass beim Streiten immer nur einer gewinnen kann, ist ein Trugschluss und auch mit ein Grund, weshalb viele die Auseinandersetzung meiden.“ Beim Streiten, beim richtigen jedenfalls, gäbe es immer zwei Sieger. „Am Ende steht eine Lösung, die man gemeinsam gefunden hat und die deshalb schon viel besser ist, als die, die man sich vielleicht für sich allein ausgedacht hätte.“ 

„In der Hitze eines Streits wird oft die Wahrheit gesagt, die man sonst verschweigt.“ Friedrich Nietzsche

Immer und nie

Also immer raus damit: Dass ich lieber in den Bergen als an der See Urlaub machen will? Dass es mich nervt, wie der Jugendliche sein Zimmer verlottern lässt, und die Nachbarn schon wieder grillen? Ja, durchaus. Aber konstruktiv. Ohne Vorwürfe wie „Du hast …“, „Du bist …“ und ohne Pauschalisierungen wie „immer machst Du …“ oder „nie kann man bei Dir …“. Das vergisst man oft im Eifer des Gefechts. Ebenso wie die wichtigste Frage überhaupt: Worum geht es eigentlich? Nicht zu verwechseln mit dem Streitauslöser. 

„Der lautet vielleicht: ‚Du bist dauernd zu spät‘ oder ‚Du hast doch nicht etwa wieder den Einkauf vergessen!‘ Aber die Ursache für meine negativen Gefühle liegt woanders. Nämlich auf der Bedürfnisebene“, so Miriam Kolodziej. Es kann sein, dass man sich mehr Unterstützung wünscht, mehr Respekt, mehr Liebe, mehr Anerkennung. Doch wir schaffen es nicht, das auch zu sagen. Stattdessen nehmen wir einen an sich nichtigen Anlass und rechnen ab: „Immer kommst Du zu spät.“, „Nie kann ich was mit dir planen.“ Kein Wunder, wenn das Gegenüber sich zurückzieht, sich wappnet, weil es sich wie in einer Notwehrsituation fühlt. 

Signale des Wohlwollens

Genau das gilt es zu verhindern. „Das beginnt schon mit der Einleitung des Gesprächs. Etwa, wenn ich sage ‚Mein lieber Chef, meine liebe Freundin, mein lieber Schatz. Ich merke, dass mich dies und das stört, weil ich das und das brauche.‘ Oder: ‚Das und das wünsche ich mir. Kannst Du mich dabei unterstützen?‘“ Den Weg zu einer Lösung ebnen außerdem offene Fragen: „Wie siehst Du es? Was brauchst Du? Welche Ideen hast Du zu dem Thema?“ Und auch mit etwas, das sich Rapport nennt und dazu dient, einem anderen von Anfang an Wohlwollen entgegenzubringen. 

„Man bezieht sich auf den anderen. Sagt etwa: ‚Danke, dass wir dieses Gespräch führen. Gut, dass du es ansprichst.‘ Oder: ‚Ich bin froh, dass Du das ansprichst!‘ Oder: ‚Schön, dass Du offen mit mir bist‘“, erklärt Miriam Kolodziej. 

Pausenzeichen setzen

Es geht dabei darum, der anderen Person zu signalisieren: „Ich höre dich, ich sehe Dich!“ Denn das sei es, worum Menschen wirklich kämpfen: wahrgenommen zu werden. „Allein der Satz: Ich verstehe, dass Du ärgerlich bist oder traurig“, sagt Miriam Kolodziej, „kann enorm viel Druck aus dem Kessel nehmen.“ 

Was aber, wenn man es mit einem Menschen zu tun hat, der die Regeln zum besseren Streiten nicht kennt? Miriam Kolodziej sagt, auch wenn nur eine Person die Gesprächsdynamik auf diese Weise ändert, würden sich ebenso für die andere neue Räume öffnen. Denn der Mensch neige zu einem Verhalten, das sie „Monkey see, Monkey do“ nennt. „Menschen ahmen nach. Wenn also eine Person im Streit ab und zu mal ein Pausenzeichen gibt – sagen kann: ‚Ich kann das gerade nicht mehr aufnehmen. Ich bin so aufgewühlt. Ich brauche jetzt eine kurze Pause, auch damit ich fair bleiben kann‘, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass der andere das übernimmt.“ 

Bedürfnisse erkennen

Das ist viel Denkarbeit ausgerechnet dort, wo die Gefühle gern das Ruder übernehmen. Aber es sollte uns auch bewusst sein, dass es manchmal nur um Gefühle geht. Solche, die man nach einem harten Tag voller kleiner und großer Ärgernisse mit nach Hause bringt und für die wir dann ein Ventil suchen. 

Eine Studie ergab, dass allein Hunger sehr wütend machen kann und es einem da nur zupasskommt, wenn einem der Mann mit einer nicht ausgeräumten Geschirrspülmaschine einen 1-a-Streitanlass gibt. „Hangry“ nannten die Forscher um Viren Swami von der britischen Anglia Ruskin University in Cambridge das Phänomen. „Da geht es um Selbstwahrnehmung: Bin ich mir darüber klar, wie es mir gerade geht? Bin ich gestresst? Dann wäre eine gute Kommunikation, zu sagen: ‚Mit mir ist heute nicht viel los. Ich will in Ruhe gelassen werden.‘ Oder: ‚Ich muss erst mal was essen. Gib mir bitte diesen Moment‘“, rät die Expertin. 

Offenheit, Transparenz, Selbstreflexion, grundsätzliches Wohlwollen dem anderen gegenüber und aussprechen, was ist. Konflikte zerfallen nicht zu Staub, wenn man sie ignoriert. Sie schwelen weiter und werden immer größer. 

Kein Streit ist auch keine gute Lösung

Sonst lebt man ewig an den eigenen Bedürfnissen vorbei und lässt außerdem einen lieben Menschen jahrelang ins Unglück laufen, von dem er nichts weiß. Nur weil man es gleich am Anfang nicht geschafft hat, zu sagen, wie wenig man es mag, bei offenem Fenster zu schlafen, oder wenn einer ständig unpünktlich ist. Aus Angst davor, als zu fordernd, zu unfreundlich oder verletzend zu erscheinen. 

Miriam Kolodziej erläutert: „Diese Sorge ist unbegründet. Wenn bei mir nach einem Training das so gefürchtete Gespräch geführt wurde, sagen die meisten, dass es gar nicht erst zum Streit gekommen ist.“ Und wenn – dann ist das auch ein gutes Zeichen. Denn eines setzt Streit ja in jedem Fall voraus: Dass man sich mit der anderen Person auseinandersetzt. Dass man sich eben nicht egal ist. 

Miriam Kolodziej – Kommunikationstrainerin und „Expertin für schwierige Gespräche“

XY

© Sabrina Wagner

Sie trainiert Einzelne und Gruppen, überzeugend und selbstbewusst aufzutreten, klar zu kommunizieren und erfolgreich Konflikte zu lösen. Wie hilfreich dabei auch Akzeptanz ist, weiß Miriam Kolodziej aus Erfahrung: „Mein Partner und ich sind in vielem grundverschieden: Er ist sehr aufmerksam, während ich diese Blindheit vieler Männer habe. Wenn etwa die Butter im Kühlschrank woanders steht, sehe ich sie nicht mehr. Das war oft ein Thema. Mein Freund hat irgendwann verstanden, dass ich das nicht mache, weil ich faul bin oder ihn ärgern will. Unsere Wahrnehmung funktioniert einfach anders. Seitdem wir das akzeptiert haben, ist das kein Streitthema mehr.“ 

Infos: communicorn.de 

Laut einer Studie der Robert-Bosch-Stiftung sind 69 % der Deutschen davon überzeugt, dass sich „Politiker auch mal streiten müssten, wenn sie unterschiedlicher Ansicht“ sind. Allerdings sagen fast genauso viele Menschen, dass aus dem Streit Kompromisse erwachsen müssten: „Streit um der Debatte wegen ist für viele Menschen kein Selbstzweck, er muss in Ergebnisse münden.“

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