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Warum Verzeihen heilsam ist 

Zwei Personen umarmen sich innig am Strand, wobei die Gesichter der Personen verschwommen sind, im Hintergrund ist der Himmel bewölkt und auf der rechten Seite des Bildes steht in einem lila Feld der Text Die Kraft des Verzeihens.

Wenn wir verzeihen können, ist das fürs Miteinander und die Seele gut. ¹⁾

Inspirationsthema über Verzeihen mit der Psychologin Elisabeth Heckel

Wenn das Jahr zu Ende geht, ziehen wir gern Bilanz: Was lief richtig gut, was schlecht? Was hat uns bereichert, was verletzt? Was belastet uns immer noch? Was können wir nicht verzeihen? Wie heilsam ist es – vor allem für uns selbst –, anderen zu vergeben? 

Die Steuerberaterin, die das falsche Formular ausfüllt und damit dafür sorgt, dass ihr Mandant Tausende von Euros verliert. Der Arzt, der eine fatale Entscheidung fällt, die den Patienten seine Mobilität kostet. Der Partner, dessen Versteckspiel auffliegt, die heimliche Geliebte enttarnt wird und er die Affäre beichten muss. Die langjährige Freundin, die einen in einer schweren Stunde im Stich lässt. Wird man das jemals vergessen können? Kann man das vergessen, vergeben, verzeihen? 

Vergeben und Verzeihen 

Man sollte verzeihen, ja. Denn wem vergeben wird und wer vergibt, hat weniger Leidensdruck. „Beim Verzeihen geht es vor allem um die Person, der etwas angetan wurde, um das ,Opfer‘“, so Elisabeth Heckel. „Weniger darum, den ,Täter‘ zu entlasten.“ Als Opfer befreien wir uns aus dieser Rolle und streifen die negativen Gefühle, die damit verbunden sind, ab. Es geht um Akzeptanz und Loslassen des Geschehenen – nicht um das Gutheißen von erlittenem oder gefühltem Unrecht. „Ich erfahre eine Art Heilung, wenn ich durch den Prozess des Verzeihens gehe“, erklärt die Psychologin. Das geht manchmal so weit, dass wir Menschen vergeben, die schon längst gestorben sind. Väter und Mütter, die einen nicht geschützt, sondern verletzt, verlassen, verraten haben. Wie oft trifft Elisabeth Heckel in ihrer Praxis auf erwachsene Kinder, die sich noch Jahrzehnte danach missbraucht und schlecht fühlen: „Diese hegen oft einen ewigen Groll. Sie kämpfen mit ständigem Gedankenkreisen, sind blockiert und können einfach nicht nach vorne schauen.“ 

„Was beim Verzeihen hilft, ist anzuerkennen, dass es menschlich ist, Fehler zu machen.“

Immer wieder werfen wir es unseren Eltern vor, nicht gesehen und vernachlässigt worden zu sein. Das bindet Energie und ist zu überwältigend oder belastend, dass man sich davon nicht befreien oder erholen kann. 

Zu verzeihen heißt auch, wieder aktiv werden zu können, einen neuen Weg einzuschlagen, das Leben in die Hand zu nehmen. Dieser Prozess der Vergebung ist nicht immer einfach und er kann dauern. Was dabei helfen kann, sind Rituale: „Ich kann zum Beispiel einen Brief schreiben an die Person, die mich verletzt hat. In dem schreibe ich auf, dass ich ihr verzeihe und vergebe. Aber den muss ich gar nicht abschicken“, sagt die Psychologin. „Es reicht schon, das aufzuschreiben.“ Denn das Notieren der Gedanken und Gefühle per Hand hat nachweislich eine entlastende Funktion. 

„Es gibt auch Taten, die sind unverzeihlich. Die rote Linie zieht jeder für sich selbst“, so Elisabeth Heckel. Verzeihen bedeutet weder Vergessen noch Entschuldigen. Unrecht bleibt Unrecht, die Verantwortung für das, was geschehen ist, besteht weiterhin und wird nicht gemindert. „Natürlich fällt es leichter zu verzeihen, wenn unser Gegenüber sein Handeln bedauert“, weiß die Psychologin. Dann verdient er auch eine zweite Chance. Jemand, der sich für sein Fehlverhalten zwar entschuldigt, aber es dann immer wieder tut, macht es uns schwer zu vergeben. 

„Es ist ein Zeichen von Größe, verzeihen zu können.“

Ganz wichtig ist es auch, sich selbst verzeihen zu können. „Hier geht es darum, die Schuldgefühle, die Negativität loszulassen. Wenn man sich für einen Fehler nämlich selbst beschimpft, hat das die gleiche Wirkung, wie wenn mich jemand anschreit und verbal niedermacht“, so die Expertin. Das verursacht Stress und macht uns auf Dauer krank. Besser ist es zu akzeptieren, was nicht zu verändern ist. Und dass es zum Menschsein dazugehört, Fehler zu machen. Selbstmitgefühl ist hier wichtig. 

Verzeihen können braucht Zeit 

Der richtige Zeitpunkt spielt in diesem Prozess eine große Rolle. „Zum Vergeben braucht es Zeit“, sagt die Psychologin. Und es hilft dabei, sich vorzustellen, wie es einem geht, wenn man diesen Schritt gegangen ist. Wie gelöst und befreit man sich fühlt, wenn man jemandem oder sich selbst verzeiht. Was dabei hilft, ist Empathie: Versuchen Sie, das Verhalten der Person, die Sie verletzt hat, nachzuvollziehen. Mache Dir bewusst, dass Du auch schon Fehler gemacht hast und dir verziehen wurde. 

Manchen Menschen gelingt der Perspektivwechsel aber nur schwer oder gar nicht, weil ihnen das Thema Gerechtigkeit im Weg steht. Sie halten sich daran fest wie ein Ertrinkender am Strohhalm. Der Preis, den sie dafür zahlen, kann Verbitterung bedeuten. Elisabeth Heckel: „Die eigenen Grenzen sollten in jedem Fall gesehen werden. Das hat auch viel mit Selbstachtung zu tun. Aber ich kann entscheiden, es so stehen zu lassen und mich nicht jedes Mal darüber aufzuregen, wenn es mir in den Sinn kommt.“ 

Ist verzeihen eine Frage des Alters? 

Im Alter fällt es übrigens leichter zu verzeihen. „Weil man darin sozusagen schon etwas Übung hat“, erklärt Elisabeth Heckel. „Und weil man mehr relativiert. Da zeigt sich dann schon so etwas wie Altersweisheit. Wenn ich ein gutes Selbstwertgefühl habe, kann ich eher verzeihen, als wenn ich mich selbst grundsätzlich als Opfer sehe. Es braucht auch eine gewisse Großzügigkeit, verzeihen zu können.“ 

„Verzeihen heißt nicht vergessen. Vergangenes kann nicht ungeschehen gemacht werden. Die Frage ist aber, wie wir damit umgehen.“

Ohne Reue kein Verzeihen 

Es gibt Menschen, die keine Reue kennen. Dass sie mit ihrem Handeln jemanden verletzt oder jemandem geschadet haben, sehen sie nicht ein oder es ist ihnen sogar gleichgültig. Ihnen zu verzeihen, würde sie von der Schuld befreien und sollte gut überlegt sein, denn es schadet der eigenen Selbstachtung, wenn die andere Person danach so weitermacht wie bisher. 

Warum manchen das Verzeihen leichterfällt 

Eine Frage der Chemie: Forscher haben die Gehirne von Probanden untersucht und herausgefunden, dass Menschen mit kleinerem Inselkortex – einem Teil der Großhirnrinde – oder geringer ausgeprägter unterer Stirnwindung das Verzeihen leichterfällt als anderen. Wahrscheinlich könnte die Fähigkeit zu verzeihen also angeboren sein. Da sich im Laufe des Lebens der Hirnstoffwechsel verändern kann, könnte sich also auch die Fähigkeit zur Vergebung entwickeln. Verzeihen lässt sich also auch (ver-)lernen. 

Wissenswert 
Ob man gut verzeihen kann, hängt von sehr unterschiedlichen Faktoren ab. Sehr wichtig ist das Verhältnis zwischen Täter und Opfer – je enger, desto schwerer fällt oft das Verzeihen. 

Elisabeth Heckel

Elisabeth Heckel im Potrait

Psychologin und Expertin für Kommunikation, Persönlichkeitsentwicklung und Resilienz. © Elisabeth Heckel/privat

„Verzeihen ist eine Charakterstärke und lässt sich erlernen“, davon ist Elisabeth Heckel überzeugt. Seit Jahren begleitet die Psychologin Führungskräfte und Teams besonders in Phasen der Veränderung und bei Konflikten. Auch hier hat sich ihr gezeigt, wie erleichternd es ist, verzeihen zu können und nach vorne zu schauen. Als Coach und Trainerin mit dem Schwerpunkt Positive Psychologie macht die Brandenburgerin Menschen Mut, Veränderungen anzugehen sowie Chancen wahrzunehmen und zu nutzen. Seit 2015 engagiert sie sich auch beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) als Expertin zu den Themen Kommunikation und Persönlichkeitsentwicklung. 

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