Schluss mit Aufschieberitis

Unsere Expertin und Buchautorin Catrin Grobbin erklärt, was uns davon abhält, Dinge rechtzeitig zu erledigen, und wie wir tschüss zur Aufschieberitis sagen. ¹⁾
Inspirationsthema mit Expertin Catrin Grobbin
Kann das warten? Das ein oder andere schieben wir gerne vor uns her.
Wer kennt es nicht: Wir drücken uns vor der Steuererklärung, vor Hausarbeit, Sport, dem Lernen auf Prüfungen, Telefonaten, Entscheidungen - und zögern berufliche und private Aufgaben hinaus. Ist dieses Verhalten sehr ausgeprägt, gibt es dafür ein Fachwort: Prokrastinieren. Schlimmstenfalls kann diese „Aufschieberitis“ unser Konto belasten, den beruflichen Erfolg mindern und unsere Gesundheit gefährden. „Spannungskopfschmerzen, Rückenschmerzen, Verdauungsprobleme – es kann viele Krankheiten begünstigen, die durch Stress verursacht werden“, sagt Psychologin Catrin Grobbin. In einer Befragung des SINUS-Instituts bezeichnet sich ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland als „Aufschieber“.¹
Ablenkung, die uns ein gutes Gefühl gibt
Catrin Grobbin forscht mit Betroffenen im Coaching zuerst nach der Ursache des Aufschiebens. „Manche Aufgaben fallen uns schwer, weil wir überfordert sind, weil wir sie zum ersten Mal machen oder weil wir Angst vor Fehlern oder Versagen haben, etwa bei der Steuererklärung oder Abschlussarbeiten“, erklärt die Expertin. „Manchmal haben wir ein Bild im Kopf, wie das Ergebnis aussehen sollte, und fangen aus Angst gar nicht erst an. Oder wir sehen nicht ein, welchen Sinn eine Aufgabe hat, und werden ärgerlich.“
Fühlen wir uns schlecht, nutzen wir oft Ablenkungen, mit denen wir uns schnell besser fühlen: Wir schauen Netflix, naschen, machen etwas im Haushalt, wo wir schnell ein Ergebnis sehen - oder verlieren plötzlich zwei Stunden auf Social Media. „Das durchbreche ich, indem ich mir bewusst mache, welches Gefühl ich gerade wegdrücke: Ist es Angst? Wut? Wie kann ich diese Gefühle ausdrücken? Je mehr ich mir meine Gefühle erlaube und das übe, desto besser klappt es, dass die Dinge wieder fließen.“
Die Expertin rät zu Pausen, bevor die Erschöpfung eintritt, und nicht erst, wenn die Batterien leer sind. Manche Betroffene arbeiten phasenweise ohne Pause und haben Angst, nicht wieder anfangen zu können, wenn sie einmal aufgehört haben - bis gar nichts mehr geht. „So lernt der Körper, dass Arbeiten fürchterlich ist, und vermeidet, wieder anzufangen.“ Besser sei, in kleinen Abschnitten von 30 bis 90 Minuten zu arbeiten und dann eine Pause zu machen, damit der Körper mitbekommt: Arbeit ist nicht so schlimm, und er bekommt, was er braucht. Eine weitere Anti-Aufschiebe-Methode sei Arbeitszeitbegrenzung: Das bedeutet, eine Zeit für die Aufgabe festzulegen und sie in dieser Zeit zu machen, anstatt sie den ganzen Tag vor sich herzuschieben. „Das begrenzt auch den eigenen Perfektionsanspruch, der oft auch ein Grund für Aufschiebeverhalten ist“, sagt Catrin Grobbin.
Die Kunst der Pause
Das gute Gefühl nach einer erledigten Aufgabe ist die beste und gesündeste Belohnung. Doch auch auf dem Weg zu einer guten Arbeitsform können Belohnungen helfen, ins Tun zu kommen. Größe und Art der Belohnung sollten in einem guten Verhältnis zur Aufgabe stehen: Eine Stunde Pause nach je 30 Minuten Arbeit führt eher schleppend zum Ziel. Nach jeder Mini-Aufgabe etwas kaufen oder Süßes essen, schadet Budget und Körper. Auch Medien als Belohnungs-Pause hält die Expertin für ungeeignet, wenn man Schwierigkeiten hat, das Gerät dann wieder auszuschalten. Besser: in Ruhe einen Tee trinken, Musik hören, eine Entspannungstechnik anwenden oder spazieren gehen.
Bye-bye, Perfektionismus
Mit Faulheit hat das Aufschieben nichts zu tun, ist sich Catrin Grobbin sicher. „Prokrastinierende sind meist schwer beschäftigt und gönnen sich wenig Freizeit mit gutem Gewissen.“ Sie lägen nicht in der Hängematte und freuten sich des Lebens, sondern lägen da höchstens völlig kaputt und machten sich Vorwürfe, nichts hingekriegt zu haben. „Betroffene sollten eher Müßiggang üben, um sich zu entspannen.“ Auch sollten sie sich ärztlich untersuchen lassen, um einen Eisen- oder Vitamin-D-Mangel auszuschließen, der sich in Müdigkeit und Energiemangel ausdrückt. Prokrastination kann auch in Zusammenhang mit Depression und ADS/ADHS stehen.
Los geht’s – der Anfang
Doch was können Außenstehende tun, wenn eine Person ständig Aufgaben aufschiebt? „Vorwürfe helfen wenig. Betroffene machen sich oft schon genug selbst damit fertig, dass sie eine Sache nicht auf die Reihe kriegen“, sagt Grobbin. „Sie müssen selbst Unterstützung wollen.“ Aufgaben abnehmen? Davon rät die Expertin ab. „Besser ist es, sich gegenseitig zu helfen und gemeinsam das Projekt des einen und dann das Projekt des anderen anzugehen.“ Es gibt auch Menschen, die Dinge aufschieben, die sie eigentlich gerne machen und die ihnen guttun – ein Buch lesen zum Beispiel. „Häufig sind da Sätze im Kopf wie: Wenn ich das und das geschafft habe, dann … So, als müsste ich es mir erst verdienen, weil wir gelernt haben: erst die Arbeit, dann das Vergnügen – und dann haben wir aber nie Zeit für das Vergnügen, weil nie alles perfekt fertig sein wird.“ Catrin Grobbin rät, sich rechtzeitig Pausen zu gönnen und schlechtes Gewissen abzubauen. Kein Schreibtisch muss komplett leer geräumt und kein Haus vom Keller bis zum Dachboden blitzblank sein, bevor wir uns erholen dürfen.
¹ sinus-institut.de/media-center/news/8-von-10-deutschen-leiden-unter-ihrer-aufschieberitis
Fünf Tipps gegen Prokrastination
- Sinnhaftigkeit finden
Finden Sie das „Warum“ für die Aufgabe. Welchen Sinn macht es, sie jetzt zu erledigen? - Planen
Ob Papier und Stift, Kalender, Planungstool oder Handy – planen Sie Ihre Tage und Wochen mit einer Methode, die zu Ihnen passt. Hilfreich sind auch To-do-Listen (was zu tun ist) oder Not-to-do-Listen (was Sie lassen wollen, um Zeit zu haben für Ihre Aufgaben). - Große Aufgaben unterteilen
Unterteilen Sie große Aufgaben in kleine Häppchen. So haben Sie weniger Angst davor und keine Ausreden, dass die Zeit heute nicht reicht. - (Vor-)Termine setzen
Planen Sie „Pufferzeiten“ ein und setzen Sie Deadlines früher an, als sie eigentlich sind. Das bietet Raum für Unvorhergesehenes. - Pareto-Prinzip
Nach dem Pareto-Prinzip erreichen Sie oft mit 20 Prozent Aufwand bereits 80 Prozent des Ergebnisses. Das heißt: Weniger Perfektionismus spart Arbeit und Zeit.
Übrigens: Es gibt auch Menschen, die Dinge aufschieben, die sie eigentlich gerne machen und die ihnen guttun – ein Buch lesen zum Beispiel.
Catrin Grobbin, Diplom-Psychologin und Autorin
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Leben ist ihr Herzensthema
Die Diplom-Psychologin beschäftigt sich seit rund 20 Jahren mit den Themen Prokrastination und Stressmanagement und bietet Coaching und Hypnose für Betroffene an. Sie selbst schiebt gerne mal ihre Steuererklärung, das Putzen und Kelleraufräumen auf. „Aber ich bin inzwischen gut im Delegieren und Weglassen. Bei wichtigen Sachen hole ich mir ganz schnell Unterstützung, auch wenn es Geld kostet. Das ist es mir wert.“ Neben ihrer Coachingtätigkeit arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Hamburg und als Trainerin in der Erwachsenenbildung. Sie gibt den Podcast „Weniger aufschieben – entspannter leben“ heraus und hat bisher drei Bücher veröffentlicht: Ein Ratgeber zum Thema Aufschieben ist in Vorbereitung. Die 48-Jährige lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter in Hamburg.
Mehr zu Catrin Grobbin unter:
catringrobbin.de
