Mach mal Pause

Entspannen, aber richtig. Im Alltag tut es gut, auch mal abschalten zu können und loszulassen. ¹⁾
Inspirationsthema mit Prof. Dr. Verena Haun
Kurz mal die Pausentaste drücken – beim Musikhören so einfach, bei unseren Gedanken so schwer. Stress ist laut WHO eine der größten Gesundheitsbedrohungen in einer Welt, in der der Perfektionismus selbst vor den Brotdosen der Kinder nicht haltmacht. In der man sich hilflos beim Lesen der Nachrichten fühlt, man immer erreichbar und das Zuhause von der Arbeit oft nur ein Zuklappen des Laptops weit entfernt ist.
Mentaler Notfallkoffer
Nun ist es so, dass wir ausgerechnet in stressigen Zeiten, in denen wir eine Pause so dringend bräuchten, nicht zur Ruhe finden – selbst dann, wenn wir es könnten, wie beispielsweise am Wochenende. Stress ist wie eine Abwärtsspirale, wir schlafen schlechter, können uns nicht mehr aufraffen zum Sport oder einem Treffen mit Freunden. Wer erst einmal im Hamsterrad Fahrt aufgenommen hat, kann nur schwer anhalten. Was hilft, ist ein Notfallkoffer mit mentalen Instrumenten wie gezielter Ablenkung oder einem Gedankenstopp. Dabei sagt man zu sich innerlich oder auch laut „Stopp“, wenn die To-do-Liste am Sonntagmorgen im Kopf aufploppt. „Je öfter Du das machst, desto besser gelingt es Dir, das Gedankenkarussell zu stoppen“, sagt Prof. Dr. Verena Haun, Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Uni Würzburg. „Du kannst Dir auch eine Frist von zwei Minuten setzen, um Ihren Sorgen, Ängsten und Grübeleien Raum zu geben.“
Nicht immer ist es die Arbeit allein, die einen um den Schlaf bringt. Ein gutes Zubettgeh-Ritual ist auch der Gedankenstuhl auf dem man Platz nimmt, um sich seinen wiederkehrenden Gedanken zu widmen, Ideen aufzuschreiben und sie dann dort zurückzulassen. Am besten übst Du bereits in ruhigen Zeiten gute Routinen ein. Beispielsweise könntest Du am Ende eines jeden Arbeitstages Deine Schreibtischpflanze gießen und daheim als Erstes die Wohnung durchlüften oder einen Tee zubereiten.
„Notiere Dir zum Feierabend hin Deine To-dos für den nächsten Tag, damit sie aus Deinem Kopf sind. Das ist für viele besonders vor dem Start ins Wochenende gut“, rät Verena Haun. „Oder führe ein Dankbarkeitstagebuch. Mit uns selbst sind wir bekanntlich besonders kritisch. Auch drängt sich Negatives meist stärker in den Fokus. Umso wichtiger ist es, sich immer wieder bewusst zu machen, was heute gut gelaufen ist. Und welchen Anteil man selbst daran hatte. So wirst Du Dir Deinen eigenen Ressourcen bewusst.“ Auch stärken wir dadurch unser Gefühl von Selbstwirksamkeit – die Hauptzutat von Zufriedenheit. Jetzt fragst Du Dich vielleicht, was all das mit Abschalten zu tun hat. Eine ganze Menge, wie die Erholungsforschung zeigt.
Von Sinn und Sein
Das DRAMMA-Modell unterscheidet sechs Dimensionen der Erholung:
- Detachment: Damit ist das gedankliche Abschalten gemeint. Hilfreich dafür sind To-do-Listen, Übergangsrituale und feste Pausen für zwischendurch.
- Relaxation: Dabei geht es um die körperliche und geistige Entspannung, wie sie etwa bei progressiver Muskelrelaxation, Yoga, autogenem Training, Gedankenreisen oder einem heißen Bad mit guter Lektüre entstehen.
- Autonomy: Sie beschreibt das Gefühl, seine freie Zeit selbstbestimmt und eigenverantwortlich zu gestalten. Also das Gegenteil von fremdbestimmt.
- Mastery: Diesem Punkt misst die Arbeits- und Organisationspsychologin eine besonders wichtige Rolle bei. „Es geht darum, etwas Neues zu erleben, seine Komfortzone zu verlassen, um inspiriert zu werden und sich mental herauszufordern.“ Das kann bei einem Zeichenkurs geschehen, dem Einspielen eines neuen Klavierstücks oder Erlernen einer neuen Sprache genauso wie beim Laufen einer ungewohnten Joggingstrecke oder dem Besuch eines neu eröffneten Cafés.
- Meaning: Das meint eine sinngebende Beschäftigung. Das können das Füttern der Nachbarskatze sein, die Betreuung des Enkelkindes oder die Teilnahme an einer Protestbewegung.
- Affiliation: Damit ist die Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls gemeint, beispielsweise durch wechselnde Offene-Tür-Abende mit den Mitmietern im Haus, gemeinsame Spielplatzbesuche mit anderen Kita-Eltern, After-Work-Essen mit Kollegen, Ausflüge mit Freunden und der Familie.
Je mehr Dimensionen eine Pause füllen, desto erholsamer ist diese. „Das schafft nur der Jahresurlaub“, denken jetzt sicher viele. „Ein Irrglaube“, so Verena Haun, die seit 15 Jahren gestressten Arbeitnehmern ein Erholungstraining anbietet, das sie zusammen mit Kolleginnen entwickelt hat. „Regelmäßige Erholung im Alltag ist viel wichtiger für die langfristige Gesundheit. Im Zweifel machst Du lieber mehrere kurze statt einen dreiwöchigen Urlaub und achte auch an den Wochenenden darauf, abzuschalten. Jeder einzelne der sechs Faktoren trägt zur Erholung bei.“
Jeder auf seine Art
So individuell der Stress ist, so individuell ist auch die Erholung. Für den einen gibt es nichts Entspannenderes, als sich nach einem durchgetakteten Tag einfach treiben zu lassen ohne irgendwelche Vorgaben. Andere brauchen auch in ihrer Freizeit ein Gefühl von Kontrolle und möchten diese im Voraus planen. Und wieder andere wissen gar nicht, was sie brauchen, und müssen sich erst einmal fragen, was sie gerne tun.
„Letztendlich ist der wichtigste Punkt, zufrieden mit der eigenen Freizeitgestaltung zu sein und nicht die Erwartung und Bedürfnisse anderer zu erfüllen, sondern seine eigenen. Dafür muss man seine Ressourcen im Blick behalten“, sagt die Arbeits- und Organisationspsychologin. Für manch eine Mutter ist Arbeit manchmal die entspannteste Zeit am Tag und Mental Load der größte Stressor. Für andere ist es die ständige Erreichbarkeit im Job, die sie nicht zur Ruhe kommen lässt. Du liest selbst im Urlaub Deine Mails. Es einfach nicht zu tun, wenn man gern den Überblick behält oder sichergehen möchte, dass nichts anbrennt, ist aber auch nicht immer DIE Lösung.
„Hier muss jeder für sich selbst schauen, was ihm, aber auch seinen Mitmenschen gut tut“, sagt Verena Haun, die in ihrer Dissertation untersucht hat, wie sich Stress und Erholung auf Partnerschaft und Familie auswirken. „Wenn ich nicht abschalte und bei mir bin, bekommen das auch all diejenigen zu spüren, die mir am nächsten stehen. Dann bin ich leichter irritierbar, gereizter und ungeduldiger.“ So gesehen, ist der immer lauter werdende Weckruf nach radikaler Selbstfürsorge in unserer Gesellschaft alles andere als egoistisch. Vielmehr zeigen wir uns solidarisch, indem wir Verantwortung für uns übernehmen. Das macht es leichter, der Erholung im Leben mehr Bedeutung zu geben und die Kraft von Pausen zu entdecken.
3 Tipps für mehr Entspannung
Prof. Dr. Verena Haun
© Prof. Dr. Verena Haun/Privat
Die 41-Jährige leitet an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg die Professur für Arbeits- und Organisationspsychologie und befasst sich seit ihrem Studium mit der Erholungsforschung. Zusammen mit Kolleginnen entwickelte sie ein spezielles Erholungstraining für gestresste Arbeitnehmer und um Arbeitgebern zu zeigen, wie sinnvoll eine ausgewogene Work-Life-Balance und das Gefühl von Selbstwirksamkeit für ein langfristig erfolgreiches Miteinander sind. In ihrer Dissertation beschäftigte sie sich mit der Rolle, die Lebensgefährtinnen und Lebensgefährten bei der Erholung spielen: „Wer nicht für sich abschalten will, will es vielleicht seiner Familie zuliebe.“
