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Für sie sind ambivalente Charaktere spannend

Potrait von Schauspielerin Anna Maria Mühe

Anna Maria Mühe mag die Herausforderung beim Schauspielern. © Stephie Braun

Interview mit Anna Maria Mühe

Mit feinem Gespür bewegt sich Anna Maria Mühe zwischen Licht und Schatten. Warum die Schauspielerin Grauzonen faszinieren und wie sie Figuren schafft, die uns herausfordern – und manchmal verstören. 

Im alverde-Interview vor 13 Jahren erzählte Anna Maria Mühe, dass sie anspruchsvoll und selbstkritisch in ihrer Arbeit sei und gern einen vollen Terminkalender habe. Dass die Schauspielerin auch heute für ihren Beruf brennt, ist offensichtlich. Es zeigt sich in der Auswahl ihrer Rollen, den Auszeichnungen und der Begeisterung, mit der sie über ihre Projekte spricht. Aber ihrem Terminkalender gönnt Anna Maria Mühe inzwischen mehr freie Flächen. 

„Nach langen Dreharbeiten stürze ich mich nicht gleich ins nächste Projekt“, sagt sie. „Arbeit und Privatleben sind besser in Balance.“ Während sie sich zu Privatem bedeckt hält, sind die Ergebnisse ihrer Arbeit regelmäßig zu besichtigen. Das jüngste ist die zweite Staffel der Netflix-Serie Totenfrau mit einer Paraderolle: der Bestatterin Blum, die über sich selbst hinauswächst und über Leichen geht. 

alverde: Selbstjustiz ist ein beliebtes Motiv in Thrillern, auch bei Totenfrau. Denken Sie, dass es bei der Bewertung einen Unterschied macht, ob eine Frau oder ein Mann das Gesetz selbst in die Hand nimmt? 

Anna Maria Mühe: Frauen sind in dieser Rolle noch nicht so oft erzählt wie Männer. Das macht es für die Zuschauer interessanter. Aber für die Bewertung spielt meiner Meinung nach das Geschlecht keine Rolle, ausschlaggebend ist die Motivation, aus der heraus die Figur Selbstjustiz übt. Wenn eine Figur wie Blum es für ihre Familie tut oder um ein Kind zu retten, dann bringt man dafür eher Verständnis auf. 

alverde: Machen Sie bei Ihren Rollen einen Ethik-Check? Oder ist es für Sie entscheidend, dass Sie die Figur verstehen können? 

Anna Maria Mühe: „Wenn ich die Rollen nach ethischen Gesichtspunkten aussuchen würde, dann bliebe wenig übrig“ (lacht). Ich will das, was Blum tut, nicht gutheißen. Aber als Schauspielerin ist es meine Aufgabe, die Figur aus sich heraus zu verstehen: warum sie mit ihren Erfahrungen und ihrer Sicht auf die Welt in bestimmten Situationen nicht anders handeln kann. 

alverde: Dabei versuchen Sie aber nicht, Ihre Figur für den Zuschauer sympathischer zu machen? 

Anna Maria Mühe: Genau. Für mich sind Charaktere spannend, die sehr ambivalent sind und die die Zuschauer in ein Dilemma stürzen: ‚Ich finde es schlimm, was sie macht, aber ich finde sie trotzdem gut – verdammt, wie gehe ich damit um?‘ 

alverde: Sie fahren in der Serie Motorrad, kämpfen und Sie bereiten Leichen für die Bestattung vor. Was haben Sie am liebsten gelernt? 

Anna Maria Mühe: Motorrad bin ich nicht gefahren, das hat die Stuntfrau gemacht. Das Training für die Kampfszenen hat mir großen Spaß gemacht – trotz heftigen Muskelkaters. Aber genauso wertvoll war es, für einen Tag eine Bestatterin zu begleiten und mir die Handgriffe zeigen zu lassen. Ich wiege das nicht gegeneinander ab, es ist eher ein Gesamtpaket für die Figur. Für Blum ist beides wichtig: das Töten und das Bestatten. 

Potraits von Schauspielerin Anna Maria Mühe

Gelassen und gut im Geschäft: Die Schauspielerin kann sich ihre Rollen aussuchen. © Stephie Braun

alverde: Machen Sie vor jedem größeren Projekt eine eigene Recherche, um die Lebenswelt Ihrer Rolle besser verstehen zu können, oder verlassen Sie sich auf die Drehbücher? 

Anna Maria Mühe: Ich fände es schwierig, mich darauf zu verlassen, weil ich weiß, wie wenig Zeit oft fürs Schreiben ist. Bei Nahaufnahmen, die meine Hände zeigen, ist mir wichtig, dass jede Bewegung authentisch wirkt. Diesen Anspruch habe ich. Die Menschen waren bisher immer dankbar, dass man sie und ihren Beruf ernst nimmt. Ich will keinen Quatsch vorspielen, weder den Zuschauern noch den Menschen, die den Beruf im richtigen Leben ausüben. 

alverde: Sie spielen seit 2016 in der Krimireihe Solo für Weiss. Was zeichnet für Sie diese Reihe aus? 

Anna Maria Mühe: Ich hatte das Glück, dass ich die Nora Weiss damals mitentwickeln durfte. Mir war es wichtig, eine Figur darzustellen, die mit sich selbst ringt. Sie wirkt verschlossen und kühl, aber in entscheidenden Momenten, besonders wenn es um Kinder geht, macht sie doch emotional auf. 

alverde: Die Figur bleibt auch nach vielen Folgen geheimnisvoll. 

Anna Maria Mühe: Das Besondere an Solo für Weiss ist, dass die Fälle stets mit ihrem privaten Leben verwoben scheinen – und dennoch erfährt man eigentlich nichts über sie. Es ist ein bisschen wie mit Hollywoodstars, die in Interviews sehr offen wirken, aber absolute Profis darin sind, gerade nichts Persönliches zu erzählen. 

alverde: Wie schaffen Sie es, in ständig wechselnden Teams schnell warm mit den Menschen zu werden? Gibt es ein „Set-Geheimnis“, das Sie pflegen? 

Anna Maria Mühe: Ich versuche jedes Mal einfach sehr offen zu sein und dem Team zu vermitteln, dass ich den Beitrag eines jeden zu schätzen weiß. Ich bin absoluter Teamplayer. Und wenn jemand seine Arbeit gut macht, dann hat er sowieso schon bei mir gewonnen. 

„Wenn jemand seine Arbeit gut macht, dann hat er sowieso schon bei mir gewonnen.“

alverde: Sie haben sich kürzlich an einer Kampagne der Diakonie beteiligt, bei der Sie virtuell altern durften. Was hat Sie motiviert, sich für das Thema Pflegereform einzusetzen? 

Anna Maria Mühe: Ich werde dieses Jahr 40 und denke schon darüber nach, wie es wird, wenn ich älter bin. Die schönste – aber wahrscheinlich nicht realistische – Vorstellung für mich ist, in einem großen Haus mit meinen engsten Freunden zusammenzuwohnen, und alle helfen sich gegenseitig. Es ist also ein Thema, das mich persönlich umtreibt, für das es aber gesellschaftlich und politisch zu wenig Aufmerksamkeit gibt. Wenn ich mitbekomme, wie es an Pflegekräften mangelt und wie verhältnismäßig schlecht sie bezahlt werden, dann macht mich das wütend: Es ist doch eine Schande, wenn man sein Leben gelebt und viel geleistet hat, die letzten Meter nicht in Würde erleben zu dürfen. Ich habe keinen Finanzierungsplan für die Pflegeversicherung, das ist nicht mein Job, aber ich kann mich dafür einsetzen, dass wir uns mehr Gedanken über das Altsein machen. 

alverde: Welche Filme möchten Sie Ihrer Tochter in den nächsten Jahren unbedingt zeigen? Was gehört für Sie zum cineastischen Kanon? 

Anna Maria Mühe: Wir haben schon einiges zusammen geschaut, zum Beispiel Herr der Ringe und Titanic. Und irgendwann ist sicher auch Frühstück bei Tiffany dran. Für mich ist es total schön, dass sie anfängt, Interesse an Filmen zu zeigen. Und dass sie gerne ins Kino geht. Dafür bekommt sie immer Geld – Kino soll einfach zu ihrem Leben dazugehören. 
 

Anna Maria Mühe

Sie kommt aus einer Künstlerfamilie (Eltern: Ulrich Mühe und Jenny Gröllmann) und steht seit ihrem 15. Lebensjahr vor der Kamera. Als eine ihrer wichtigsten Arbeiten sieht sie die Verkörperung der NSU-Terroristin Beate Zschäpe unter der Regie von Christian Schwochow. Dafür erhielt sie 2016 den Bambi als beste Schauspielerin National. Immer wieder ist sie auch in historischen Serien wie Die Neue Zeit (2019) oder Unsere wunderbaren Jahre (2020, 2023) zu sehen. Ihre aktuelle Serie Totenfrau ist auf Netflix abrufbar. Anna Maria Mühe ist mit dem Schauspieler Lucas Gregorowicz zusammen und hat eine Tochter aus einer früheren Beziehung. 

Drei Dinge über Anna Maria Mühe

  1. Sie liebt Kaiserschmarrn, musste während der Dreharbeiten zu Totenfrau aber auf Kohlenhydrate verzichten.

  2. Ob Dreh- oder Pressetermin, sie geht in jeder neuen Stadt ins Museum.

  3. Ritual zu Ostern: Ihre Tochter pustet Eier aus, Anna Maria Mühe bemalt sie.

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