Open End fĂĽr
Heldinnen

Das Leben bleibt auch jenseits der 50 spannend – höchste Zeit, dass sich das im Fernsehen abbildet, findet Gesine Cukrowski. © Mirjam Knickriem
Interview mit Schauspielerin Gesine Cukrowski
Die „gläserne Decke“, die Frauen das Erreichen von Top-Positionen erschwert, ist ein fester Begriff. Doch im Filmgeschäft gibt es auch sie: eine unsichtbare Altersgrenze, die Frauen aus der ersten Reihe verdrängt. Schauspielerin Gesine Cukrowski will das ändern.
„Eine Reise nach Uganda veränderte ihr Leben“ – so stand es auf dem alverde-Titel im September 2016. Auch bei diesem Interview ist Gesine Cukrowski gerade erst aus dem ostafrikanischen Land zurückgekehrt – noch ganz erfüllt von den Eindrücken. Seit Jahren engagiert sie sich mit der Deutschen Welthungerhilfe insbesondere für die Frauen in Uganda: „Wir können Frauen in Krisenregionen in unserer harten patriarchalen Welt nicht alleinlassen“, sagt sie.
Auch hierzulande erkennt sie patriarchale Strukturen – etwa, wenn Frauen in den Wechseljahren plötzlich von den Bildschirmen verschwinden. Wie Macht, Gewohnheit und Klischees zusammenspielen, beschreibt sie in ihrem Buch „Sorry Tarzan, ich rette mich selbst!“. Jede Menge Gesprächsstoff also.
alverde: Warum wollten Sie gerade jetzt dieses Buch schreiben?
Gesine Cukrowski: Ich habe vor zwei Jahren zusammen mit der Journalistin Silke Burmester die Initiative „Let’s Change the Picture“ ins Leben gerufen. Ziel der Kampagne ist es, ein authentisches Bild von Frauen über 47 in Film und Fernsehen zu etablieren. Ich habe seitdem an vielen Diskussionsveranstaltungen teilgenommen, wir haben Vorträge und Workshops gehalten und die Resonanz, auch von Entscheider:innen, ist sehr positiv. Es gibt ein ehrliches Interesse daran, realere Geschichten über Frauen zu erzählen.
Immer wieder begegnete uns die Frage: Warum ist das so? Warum verschwinden die Frauen aus den Geschichten oder werden nur noch so eindimensional dargestellt? Als der Herder Verlag mich letztes Jahr gefragt hat, ob ich mir vorstellen könnte, ein Buch über das Thema zu schreiben, fand ich es reizvoll, dieser Frage auf den Grund zu gehen.
alverde: Viele fiktionale Geschichten drehen sich um Menschen zwischen 20 und 35. Ist das nur altersdiskriminierend oder steckt in dieser Phase, in der sich Weichen stellen, tatsächlich ein großer dramaturgischer Reiz?
Gesine Cukrowski: Wenn ich den Fernseher einschalte und überall nur junge Frauen und Männer die Hauptrollen spielen, fühle ich mich nicht mehr angesprochen. Ich möchte auch Frauen über 50 als Hauptfiguren sehen, mit allen Herausforderungen dieser Lebensphase.
Die entsprechenden Drehbücher gibt es ja, nur wenn sie in den Redaktionen landen, heißt es dort: Tolle Geschichte, aber die Hauptfigur muss 20 Jahre jünger sein, selbst wenn es inhaltlich keinen Sinn ergibt. Zwischen Müttern und ihren Kindern ist im Film der Altersabstand oft so gering, dass inflationär viele Frauen ihre Babys als Teenager bekommen haben müssten. Auch hier ist die Devise: je jünger die Frau, desto besser. Dramaturgisch ist das meist Quatsch.

„Wenn ich den Fernseher einschalte und überall nur junge Frauen und Männer die Hauptrollen spielen, fühle ich mich nicht mehr angesprochen.“ © Stephie Braun
alverde: Das ist tatsächlich absurd. Aber wie weit muss Repräsentation gehen? In Krimireihen wie „Tatort“ stellen Frauen knapp die Hälfte der Ermittler. Ihr tatsächlicher Anteil bei der Polizei liegt bei 30 Prozent. Hier sind Frauen also überrepräsentiert.
Gesine Cukrowski: Im „Tatort“ gab es 2023, als ich es analysiert habe, 21 männliche Kommissare über 47 und acht weibliche. Die jungen Frauen dagegen waren stark vertreten. Wenn fast ausschließlich Krimis gedreht werden, findet unsere gesellschaftliche Abbildung eben leider nur in einem Berufsumfeld statt. Das ist grundsätzlich nicht repräsentativ.
„Let’s Change the Picture“ hatte letztes Jahr eine Kooperation mit dem österreichischen Wirtschaftsministerium für einen Drehbuchwettbewerb. Die Hauptfigur einer neuen Serie sollte in einem technischen oder naturwissenschaftlichen Beruf arbeiten und ab Mitte 50 sein. Damit schaffen wir Vorbilder für junge Mädchen und Frauen. Denn oft sind Schauspielerinnen für die Kompetenz und Position, die ihre Figur hat, viel zu jung besetzt.
alverde: Wo verläuft die Grenze zwischen Klischee und häufiger Konstellation? Eine Familie, in der der Vater Vollzeit und die Mutter Teilzeit arbeitet, ist …?
Gesine Cukrowski: … eine häufige Konstellation. Klischee ist aber, dass Mütter, die erfolgreich im Beruf sind, automatisch ein schlechtes Verhältnis zu ihren Kindern haben. Das deckt sich überhaupt nicht mit den Erfahrungen, die ich in meinem Umfeld gemacht habe. Das ist eine patriarchale Erzählung, die Frauen kleinhalten soll. Oder dass Frauen, deren Kinder ausziehen, immer am Empty-Nest-Syndrom leiden. Das gibt es natürlich, ist aber einfach nicht die Regel.
alverde: In Ihrem Buch zeigen Sie auch, wie prekär der Schauspielberuf sein kann – mental und materiell. Warum war Ihnen dieser ungeschönte Blick wichtig?
Gesine Cukrowski: Wenn wir etwas verändern wollen, dürfen wir nicht vorgeben, dass immer alles super ist. Und ich glaube eben auch, dass alles zusammenhängt: die Rollenklischees, die wir spielen, und die Bilder, die die Gesellschaft von uns hat. Patriarchale Strukturen ziehen sich durch alle Berufe: Gender Pay Gap, Sexismus, Altersdiskriminierung. Wenn wir an dieser Struktur was ändern wollen, müssen wir sie offenlegen. Zum Beispiel gibt es ja das Entgelttransparenzgesetz, das ermöglicht, die Gehälter im Betrieb nachzuvollziehen. Und was wurde festgestellt? Frauen machen davon kaum Gebrauch, weil sie keinen Ärger verursachen wollen. Die Tabuisierung von Gehältern hat nur einen Grund: die Ungerechtigkeiten nicht auffliegen zu lassen.
alverde: Sie beschreiben auch, warum der Gang ĂĽber den roten Teppich fĂĽr viele ein SpieĂźrutenlaufen ist. Wie geht es Ihnen heute damit?
Gesine Cukrowski: Auf dem roten Teppich zeigt sich die freie Marktwirtschaft in Reinform. Je bekannter du bist, desto eher wirst du fotografiert. Logisch, denn vom Foto-Verkauf leben die Fotografen. Wenn du als junge oder noch unbekannte Schauspielerin auf den Teppich geschickt wirst, um ein Projekt zu promoten, die Fotografen dich aber ignorieren oder auffordern, Platz zu machen, kann das äußerst unangenehm sein. Ich nehme meistens junge Kolleginnen an die Hand, damit sie dem nicht so schutzlos ausgeliefert sind.
alverde: Ihr Engagement für die Deutsche Welthungerhilfe geht über Gesten hinaus – Sie sind Teil des Kuratoriums. Warum wollten Sie diese Verantwortung übernehmen?
Gesine Cukrowski: Bei meinen Engagements war es mir immer wichtig, wirklich zu verstehen, worüber ich spreche, und die Projekte mitzugestalten. Die Welthungerhilfe hat mir genau das ermöglicht. So konnte ich etwa das EVA-Projekt mitentwickeln. Bei meinen Besuchen in Uganda habe ich erfahren, wie stark fehlende Menstruationsprodukte Mädchen und Frauen einschränken. In vielen ländlichen Regionen weltweit gibt es diese Benachteiligung, auch durch Tabuisierung und Stigmatisierung.
In unserem Projekt lernen mittlerweile auch die Männer, mit der Menstruation der Frau umzugehen. So zeigte mir eine Männergruppe bei meinem letzten Besuch, wie die Menstruationstasse funktioniert, und in den Schulen nähen die Jungs mit den Mädchen zusammen waschbare Menstruationspads. Die Menstruation hat ihr negatives Image verloren – das ist lebensverändernd für Frauen und für Männer.
Gesine Cukrowski
Mit den Serien „Und tschüss!“ (1995) sowie „Der letzte Zeuge“ (1998 bis 2007) wurde sie bekannt und ist seitdem eine feste Größe in der deutschen TV-Landschaft. Daneben kehrt Gesine Cukrowski immer wieder zu ihren Wurzeln im Theater zurück. Die Mutter einer erwachsenen Tochter engagiert sich seit Langem für einen Verein, der Müttern eine anonyme Geburt ermöglicht, und für die Deutsche Welthungerhilfe. 2023 gründete sie mit Silke Burmester die Initiative „Let’s Change the Picture“. Für ihr Eintreten für Frauenrechte wurde die 56-Jährige im März mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Im Mai erschien ihr erstes Buch: „Sorry Tarzan, ich rette mich selbst!“ (Herder Verlag, 240 Seiten, 22 Euro).