Jannik Schümann über Disco-Ära und Diversität

Jannick Schümann sieht sich in der Verantwortung, Sprachrohr für die LGBTQ-Community zu sein. © David Maupilé
Jannik Schümann über die Liebe zum Tanz und die Entscheidung, für queere Anliegen seine Stimme zu erheben.
Beim alverde-Shooting läuft die Playlist zur Serie „Disko 76“. Der ohnehin bestens gelaunte Jannik Schümann kommt bei diesem Soundtrack ins Swingen, Grooven und Tänzeln. „Ich hatte schon immer ein Faible für die Musik der 70er-Jahre“, verrät der 31-Jährige. „Disko 76“ erzählt, wie die Discowelle Mitte der 70er-Jahre in die Bundesrepublik schwappt und verhandelt dabei auch die großen gesellschaftspolitischen Fragen dieser Zeit. Für den Schauspieler, der mit jeder Rolle etwas Neues lernen will, eine perfekte Kombination.
alverde: Sie haben Ihre ersten schauspielerischen Erfahrungen im Musical gesammelt und sind Fan des Genres. Haben Sie die Disco-Moves gewissermaßen schon im Blut oder mussten Sie trainieren?
Jannik Schümann: Ich liebe es zu tanzen und habe auf jeden Fall Vorkenntnisse mitgebracht. Aber ich habe trotzdem noch ein halbjähriges Training mit einem Choreografen und einer Choreografin absolviert. Die Vorbereitung auf „Disko 76“ war eine der schönsten meiner Karriere, weil ich intensiven Unterricht im Tanzen bekam. Wir haben sogar Hebefiguren trainiert. Klingt wie „Dirty Dancing“ ... So habe ich mich tatsächlich gefühlt. In der Serie tanze ich mit zwei Frauen: Emma Nova tanzt im richtigen Leben und in der Serie wie ein Profi. Luise Aschenbrenner, die die Hauptrolle spielt, hatte keine Tanzerfahrung. Ich durfte ihr also hinter und vor der Kamera das Tanzen beibringen.
Waren Sie früher „Typ Großraumdisco“ oder „Technoclub“?
Jannik Schümann: Ich bin in Kirchwerder, einem sehr ländlichen Teil von Hamburg, aufgewachsen. Daher konnte ich als Teenie nicht abends ausbrechen und in den Club verschwinden, weil das bedeutet hätte, eine Stunde mit dem Bus zu fahren und nachts gar nicht mehr nach Hause zu kommen. Das Nachtleben habe ich erst mit 18 richtig entdeckt, als ich nach Berlin gezogen bin. In Clubs gehe ich selten. Ich bin eher der Bargänger, der dann vielleicht mal in einer Ecke der Bar tanzt.
Was haben Sie Neues über die 70er-Jahre gelernt?
Jannik Schümann: Wie stark Männer noch in das Leben von Frauen eingreifen und Sachen für sie entscheiden konnten. Das hatte ich natürlich schon mal gehört, aber in der Serie wurde es noch einmal plastischer.
Mit „Charité“ und „Sisi“ hatten Sie ja schon andere Historienserien gedreht. Wie stimmen Sie sich auf eine zurückliegende Epoche ein?
Jannik Schümann: Ich arbeite für jede Rollenvorbereitung mit meinem Coach Jens Roth, der die Technik SourceTuning entwickelt hat. Sie eröffnet einem den Zugang zur eigenen Körperintelligenz. Sie hilft mir sehr dabei, in einen anderen Charakter zu schlüpfen. Kostüme sind auch nicht zu unterschätzen: In „Disko 76“ trage ich superenge Hosen und Hemden. In denen konnte ich nicht so stehen, wie ich als Jannik stehe. Ich habe automatisch die Füße ein bisschen ausgedreht, die Hüfte zur Seite geneigt und einen Finger in die Hosentasche gesteckt. Als ich meiner Mutter davon ein Foto geschickt habe, dachte sie, es wäre mein Vater in den 70er-Jahren. Daneben verschaffe ich mir noch einen generellen Überblick über den Kontext des Filmprojektes. Für „Sisi“ habe ich einiges über die politische Lage im Europa des 19. Jahrhunderts gelesen. Die 1970er-Jahre waren mir näher, da reichte es, ein paar Dokus zu schauen.

Stylisches Outfit: Jannik Schümann mag es mal sportlich, mal elegant. © David Maupilé
Sie haben 2017 neben dem Schauspiel ein Studium begonnen. Wie läuft es damit?
Jannik Schümann: Dadurch, dass ich viel im Ausland gedreht habe, hat es entsprechend länger gedauert. Jetzt schreibe ich an meiner Bachelorarbeit in Anglistik und Medienwissenschaften. Zwischendurch habe ich gedacht, „mal gucken, was ich als Nächstes studiere“, weil ich sehr wissbegierig bin. Aber im Moment freue ich mich, wenn es geschafft ist und ich erstmal kurz ruhen kann.
Sie spielen Justus Jonas in der Hörspielserie „Drei ??? Kids“. Die Sprecher der Originalserie sind noch mit Ende 50 dabei. Ist Ihr Engagement auch eines für die Ewigkeit?
Jannik Schümann: Ich bitte darum! Ich bin seit 15 Jahren dabei und die Aufnahmen fühlen sich nie nach Arbeit an. Vorhin habe ich mit meiner Nichte telefoniert. Sie ist fünf und hat letzte Woche angefangen, „Die drei ??? Kids“ zu hören. Davor war es noch zu spannend. Sie ist nicht mehr wegzubekommen von ihrer Toniebox. Mein Bruder schickt mir dauernd Fotos, wie sie am Esstisch sitzt und auf diese Box starrt. Wenn ich sehe, wie die Magie bei Kindern wirkt, macht mich das so glücklich.
Ihre Entscheidung, 2020 Ihre Sexualität offen zu thematisieren, haben viele als mutigen Schritt wahrgenommen. Gab es überhaupt negative Reaktionen?
Jannik Schümann: Nein, und mit so durchgängig positivem Feedback hätte ich nie gerechnet. Das lässt mich dann ein bisschen in meiner Bubble bleiben, in der ich denke: „Ist doch alles gut, die Leute leben tolerant miteinander. Ich kann mich weiterhin so bewegen, wie ich möchte, und bekomme tolle Rollen-Angebote.“
Aber letztendlich bleiben Sie nicht in der Bubble, sondern verstehen sich mittlerweile auch als Repräsentant der LGBTQ-Community. Warum?
Jannik Schümann: Ich habe viele Jahre gedacht, dass es keinen Unterschied macht, ob ich mich oute. Denn ich hatte mich nie versteckt. Alle am Set wussten, dass ich schwul bin, ich bin mit meinem Verlobten Hand in Hand durch Berlin gelaufen. Ich habe es nur in der Öffentlichkeit nicht thematisiert. Aber dann wurde mir bewusst, dass es keinen Schauspieler in meiner Generation gibt, der offen schwul lebt … das fand ich absurd. Und ich habe mich an meine Selbstfindungsphase erinnert. Ich brauchte etwa zwei Jahre, um mich selbst zu akzeptieren. Die Zweifel, die ich hatte, kamen daher, dass ich unbedingt Schauspieler werden wollte. Und ich kannte niemanden, der vorlebte: Schauspieler und homosexuell zu sein, das geht. Wir sind noch nicht an dem Punkt, an dem die sexuelle Orientierung keine Rolle mehr spielt. Deshalb sehe ich mich schon in der Verantwortung, Sprachrohr für die Community zu sein.
Ermutigen Sie auch andere oder fordern sie auf, sich zu outen?
Jannik Schümann: Ich finde es sehr wichtig, dass man selbst diese Entscheidung trifft und es tut, weil man es fühlt und will. Mich hat auch niemand gedrängt. Mein Verlobter hatte mir viel Zeit gegeben. Aber wenn ich jemanden gut kenne, würde ich schon deutlich machen, dass wir als Schauspieler Einfluss haben und unsere Reichweite nutzen sollten. Ich bin in dem Punkt ein bisschen strenger geworden.
Über Jannik Schümann
Er spielte als Neunjähriger Mozart auf der großen Musicalbühne in Hamburg. Als Jugendlicher trat er in TV-Produktionen auf. Anspruchsvolle Fernseh- und Kinofilme wie „Homevideo“ (2011), „Barbara“ (2012) und „Die Mitte der Welt“ (2016) machten ihn mit Anfang 20 bekannt. 2020 bis 2022 erhielt er jeweils den Jupiter Award als „Bester Darsteller national“. Seine aktuelle Serie „Disko 76“ läuft auf dem Streamingdienst RTL+. Der 31-Jährige lebt mit seinem Freund in Berlin.