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Denkt sich gern psychologisch in Rollen ein

Portrait von Jella Haase

„Wenn man Wut gut kanalisiert, kann man damit etwas verändern. Was mir Angst macht, ist, wie Wut angeheizt und instrumentalisiert wird.“, sagt Jella Haase © David Maupilé

Interview mit Schauspielerin Jella Haase

Jella Haases Figuren sind mit einer großen Portion Eigenwilligkeit und einer Prise Verrücktheit ausgestattet. Den Mut zur spielerischen Grenzüberschreitung hat das Theater noch mal gefördert. Als wir Jella Haase zum Interview treffen, sind die Haare schon wieder zu einem Curtain Bang gewachsen. Der kantige Mikro-Pony, den sie in der Serie „Kleo“ trägt, war eine spontane Entscheidung kurz vor Drehbeginn. Und eines der vielen Puzzleteile, die ihr geholfen haben, sich die Rolle der Ex-Stasi-Agentin auf Rachefeldzug anzueignen. „Ich habe lange gebraucht, um in Kleo hineinzufinden, aber jetzt ist sie so prägnant und ich kann sie körperlich spüren.“ Das Herausschlüpfen falle ihr trotzdem nicht schwer. „Am Ende des Tages bin ich auch glücklich, wenn es heißt: abschminken, wieder Jella sein, chillen.“

alverde: Worauf achten Sie, wenn Ihnen zu einem Film oder einer Serie eine Fortsetzung angeboten wird? Schauen Sie besonders kritisch darauf oder denken Sie eher: „Was einmal erfolgreich war, wird auch beim zweiten Mal funktionieren“?
Jella Haase: Kritisch bin ich immer. Aber bei „Kleo“ habe ich tatsächlich nicht lange überlegt. Die Serie hat in der ersten Staffel eine besondere Form gefunden. Ich hatte total Lust, darauf aufzubauen.

alverde: War es bei „Chantal im Märchenland“ anders?
Jella Haase: Nein, auch da bin ich gern wieder in die Rolle geschlüpft. Die Vorstellung, ich müsste mich von der Chantal freispielen, wurde eher von den Medien vermittelt. Ich selbst habe es nie so empfunden. Zudem war es ein genialer Einfall, Chantal aus ihrem realen Milieu herauszunehmen und durch ihr eigenes Wunderland tapsen zu lassen.

alverde: Kleo ist eine vielschichtige, aber auch sehr überzeichnete Figur. Haben Sie trotzdem versucht, sie psychologisch zu ergründen?
Jella Haase: Auf jeden Fall. Für mich ist Kleo auch nicht überzeichnet. Eher die Welt, in der sie agiert, und ihre Handlungen. Kleo ist extrem, aber aufrichtig und sehr direkt. Ich finde sie unnahbar und gleichzeitig nahbar. Was ich besonders mag, ist, dass sie manchmal über ihre eigene Courage stolpert und schneller ist als die Vernunft. Das finde ich sehr menschlich. In der zweiten Staffel gewinnt sie durch die Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit noch an Tiefe: Sie muss andere Perspektiven einnehmen und entwickelt sich weiter.

Portraits von Jella Haase

Ihr Spiel ist natürlich und wirkt spontan, doch dem geht viel Denkarbeit voraus: „Ich bin schon verkopft, mache mir viele Gedanken“, sagt Jella Haase. © David Maupilé

alverde: Legen Sie eigentlich moralische Maßstäbe an Ihre Figuren an? Kleo ist eine Killerin, sie tötet nicht nur aus Selbstverteidigung…
Jella Haase: Am Anfang stand für mich die große Frage: Will ich so eine Geschichte in einer Welt erzählen, die immer gewalttätiger wird? Was ist der Mehrwert? Ich glaube, es funktioniert nur durch die Überspitzung, dadurch dass es abstrakt wird, ins Kleoeske kippt. Dadurch macht es Spaß. Aber ich habe sehr gehadert und mich immer gefragt, woher kommt dieser Abgrund? Die Drehbuchautor*innen Hanno Hackfort, Elena Senft, Bob Konrad und Richard Kropf waren mutiger und haben von Anfang an daran geglaubt, dass die Figur funktioniert.

alverde: Es geht um dunkle Punkte in der deutsch-deutschen Geschichte: Indoktrination, Auftragsmorde, Unrechtsjustiz. Geht das für Sie auch mit der schwarzhumorigen und ins Absurde kippenden Inszenierung zusammen?
Jella Haase: Es war uns sehr wichtig, dass wir kein Ostbashing* betreiben, aber auch nichts verharmlosen. Wir loten die Grauzonen aus. Kleo verspürt Ostalgie, hängt an dem System und löst sich erst langsam daraus. In der zweiten Staffel wird auch deutlich, dass keines der beiden Systeme, sozialistisch und kapitalistisch, richtig funktioniert. Ich habe mich dem Thema mit intensiver Vorbereitung und größtmöglichem Respekt genähert. Für mich war es eine Riesenerleichterung, dass Marion Brasch (Anm. d. Red.: Schriftstellerin und Journalistin, aufgewachsen in der DDR) uns in ihre Sendung eingeladen hat und gesagt hat, dass sie „Kleo“ feiert.

alverde: Haben Sie selbst noch Erinnerungen an den Nachklang der Wendezeit?
Jella Haase: Dafür war ich zu klein, aber ich verspüre schon eine große Sehnsucht zu den 90er-Jahren. Die Welt war noch nicht so globalisiert, dafür gemütlicher. Smartphones und soziale Medien machen alles zugänglich. Das ist auf der einen Seite toll, auf der anderen Seite nimmt es einem das Staunen und die unmittelbare Erfahrung. Ich will gar nicht so miesepeterig klingen, aber ich stehe der digitalen Welt schon kritisch gegenüber.

alverde: Es gibt in „Kleo“ viele Actionszenen. Wieweit hat die Arbeit am Theater Ihnen geholfen, körperlicher zu spielen?
Jella Haase: Die Dreharbeiten haben ein paar Tage nach dem Ende der Spielzeit an der „Volksbühne“ begonnen. Das hat sehr geholfen, aber gar nicht mal für die Actionszene. Dafür waren mein Stuntdouble Anna Gaul und meine Personal Trainerin Nada Ivanovic wichtiger, die mich intensiv auf Kampfszenen vorbereitet haben. Aber im Theater brauchst Du viel Fantasie, musst groß denken und auch schräge Sachen anbieten, um auf der Bühne nicht unterzugehen. Diese Energie und Einstellung habe ich mit in die Dreharbeiten genommen.

alverde: War das Engagement an der „Volksbühne“ für Sie als etablierte Filmschauspielerin ein Risiko?
Jella Haase: Ich hatte Respekt, denn Theater fordert einen handwerklich noch einmal ganz anders. Aber ich hatte auch lange Zeit eine falsche Ehrfurcht. Theater kann einen einschüchtern, elitär und intellektuell wirken. Letztendlich musste ich mich einfach trauen. Ich selbst mag auch Theater, das zugänglich ist und Spaß macht.

„Es war uns wichtig, dass wir kein Ostbashing betreiben, aber auch nichts verharmlosen“

alverde: Wut: eine Triebfeder für Veränderung oder ein destruktives Gefühl?
Jella Haase: Ein ganz spannendes Gefühl! Kleo ist sooo wütend, und mir ist es so schwergefallen mich in sie reinzufinden, denn ich verspüre nicht so viel Wut in meinem Leben. Wenn man Wut gut kanalisiert, kann man damit etwas verändern. Daher hat Wut in der Gesellschaft ihre Berechtigung. Was mir nur Angst macht ist, wie Wut angeheizt und instrumentalisiert wird. Dann wird sie destruktiv.

alverde: Bietet Netflix die Möglichkeit, mit einer deutschen Serie international wahrgenommen zu werden und nicht mehr auf eine kleine Rolle in einem Hollywoodfilm warten zu müssen?
Jella Haase: Streaming ist kein Garant dafür, dass man international Beachtung findet, es kommt schon auf die Qualität des Stoffes an. Mich freut es total, dass Kleo in Südamerika, vor allem Chile und Argentinien, so gut ankommt. Auch Inder und Pakistani mögen sie.

alverde: Sie sind Botschafterin der Stiftung Lesen. Sie haben erzählt, dass Sie als Erwachsene die frühere Liebe zum Lesen erst wiederfinden mussten. Wie ist das gelungen?
Jella Haase: Durch den Partner in meinem Leben. Er ist immer am Lesen und hat angefangen, mir gute Bücher zu schenken. Nino Haratischwilis Roman „Das achte Leben (Für Brilka)“ war eine kleine Erweckung. Ich bin für Monate jeden Abend in eine andere Welt getaucht. Die Figuren haben in mir weitergelebt. Jetzt pflege ich meine Leserituale und lese vorm Einschlafen. Und wenn ich frei habe, mache ich mir morgens eine Haferlatte und gehe mit einem Buch zurück ins Bett. Wenn mein Morgen so anfängt, bin ich glücklich. Lesen ist etwas Pures. Ich hänge zu viel am Handy, und die Konzentration leidet darunter.

alverde: Wenn Sie ein Hörbuch einlesen könnten, welches würden Sie wählen?
Jella Haase: Ich mache für den RBB gerade das Hörspiel „Das kunstseidene Mädchen“ nach Irmgard Keun, das auch viele Monologe enthält. Die Rolle ist wie für mich geschrieben. Sie ist frech, macht auf naiv und entlarvt die Männer in ihrer Eitelkeit.

Jella Haase

Sie spielt seit ihrer Kindheit Theater und stand schon als Teenager vor der Kamera. Mit der Rolle der prolligen Chantal in der Filmreihe „Fack ju Göhte“ (2013, 2015, 2017) wurde sie schlagartig berühmt. Die Berlinerin überzeugt seitdem durch ihre Vielseitigkeit, dreht Blockbuster ebenso wie ambitioniertes Arthouse-Kino. Für ihre Rolle in „Lieber Thomas“ (2021) gewann sie den Deutschen Filmpreis, für die erste Staffel von „Kleo“ wurde sie mit dem deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet. Seit Juli läuft die zweite Staffel auf Netflix.

Drei Dinge über Jella Haase

  1. Immer in ihrer Handtasche ist ihr kleiner Kalender, den sie bewusst analog führt.

  2. Im Sommer versucht sie, möglichst oft ins Freibad zu gehen und mindestens einmal auf einem Festival zu tanzen.

  3. Sie geht regelmäßig zum Fastenwandern. Für sie bedeutet es „die Seelenschalen schälen, bis der Kern wieder freiliegt“

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