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Interview mit Nelson Müller – Blick über den Tellerrand

Fernsehkoch Nelson Müller über bewussten Genuss

„Ich bekomme durch meine TV-Arbeit neue Impulse und schaue mit einem anderen Blickwinkel auf die Gastronomie.“ © David Maupilé

Sterne- und Fernsehkoch, Botschafter für bewussten Genuss und Musiker mit Seele. Bei Nelson Müller fügen sich alle Seiten harmonisch zusammen. 

So viele Gäste seien überrascht, dass sie ihn so oft in seinen Restaurants antreffen, erzählt Nelson Müller. Auch vor dem alverde-Interview wirbelt er noch in der offenen Küche seiner nebeneinander gelegenen Restaurants in Essen herum. Und kommt dann zwei Stockwerke darüber in den Besprechungsraum seines Büros, wo die Visagistin ihm ihre Utensilien aufgebaut hat. Der Koch mag es effizient, unkompliziert und entspannt. In der Maske singt er den Refrain eines Tina-Turner-Songs. Damit sind wir schon mitten im Thema: Die Leidenschaft für Musik und Kochen, die Nelson Müller im kommenden Jahr in der Live-Show „Soulfood“ miteinander verbindet. 

alverde: Die Gastronomie hat sich nach der Pandemie erholt, aber Konzerte werden immer wieder mangels schlechter Ticketverkäufe abgesagt. Wie schätzen Sie die Aussichten für ein Event ein, das Kulinarik und Musik verbindet?
Nelson Müller: Die Gastronomie ist zwar im Aufschwung, aber noch auf dem vorherigen Niveau. Es ist eine Branche, die mehr als nur Essen bietet: Sie gibt Energie, Identifikation und ist ein Ort des Entertainments. Die Menschen überlegen sich heute genauer, wofür sie Geld ausgeben. Essengehen, Reisen, Kino, Konzert – sie leisten sich nicht mehr alles gleichzeitig. Ich bin als Musiker nicht etabliert. Es wäre komisch, wenn ich etwas Neues mache und sofort alle Konzerthallen ausverkauft wären. Die Resonanz ist positiv, aber es braucht auch eine klare Kommunikation darüber, was die Zuschauer erwartet. 

Hier ist die Gelegenheit: Wie sieht der Abend mit Nelson Müller aus?
Wir präsentieren Songs und Koch-Elemente. Ich werde meine Songs und Soul-Klassiker singen, in der Bühnen-Küche ein paar Tricks zeigen und dazu Geschichten erzählen, wie ich zum Kochen gekommen bin und was mir Kulinarik bedeutet. Idealerweise verschmelzen die Elemente miteinander: Ich rühre in der Schüssel, schlage darin einen Beat und singe dann „Papa was a Rolling Stone.“ 

Sie spielen schon lange Musik. War es je eine Option, sie zu Ihrem Beruf zu machen?
Ich bin ein großer Fan davon, Sachen von der Pike auf zu lernen, und ich bin stolz auf meine Ausbildung als Koch. Um hauptberuflich als Musiker aufzutreten, wäre der Anspruch an mich selbst, zumindest Gesang zu studieren. Ich habe mal ein Jahr Pause gemacht und mich auf die Musik konzentriert. In der Zeit habe ich das Kochen irgendwann vermisst. Kochen und Musik zu kombinieren ist für mich ideal.

Wie ist es, als „Fernsehkoch“ bekannt zu sein: Wird man in der Spitzengastronomie weniger ernst genommen, wenn man im TV kocht, oder ist es ein Vorteil, weil Gäste und Kritiker aufmerksam werden?
Ich glaube, mittlerweile haben die meisten Köche erkannt, dass es gut ist, eine Marke zu sein und sich breit aufzustellen. Als Gastronom bin ich Handwerker, Künstler und Unternehmer. Diese Facetten zeige ich auch bei meinen Medienauftritten.

Portraits von Nelson Müller

„Kochen und Musik zu kombinieren ist für mich ideal.“ © David Maupilé

Und das Kochen auf hohem Niveau verlernt man nicht so schnell?
Nein, es ist eher so: Ich bekomme durch meine TV-Arbeit neue Impulse und schaue mit einem anderen Blickwinkel auf die Gastronomie. Ich schmore nicht nur im eigenen Saft. Das finde ich positiv. Man darf auch nicht vergessen, dass die Arbeit im Restaurant eine Teamleistung ist. Ich habe eine super Crew, wir erarbeiten uns Dinge gemeinsam.

Stehen Sie in Ihren Restaurants auch noch tatsächlich hinterm Herd?
Ja! In die Vorbereitung, das Mise en Place, bin ich nicht so stark involviert. Aber ich muss ein Verhältnis zu meinem Team haben und auch zu den Tellern, die rausgehen. Teller anzurichten, zu dekorieren und insgesamt Gastgeber zu sein ist schon etwas sehr Schönes. Es ist das kleine Konzert im Restaurant. 

Gibt es Lebensmittel, die Sie in den letzten Jahren neu lieben gelernt haben?
Nein, nicht wirklich. Ich beschäftige mich eher intensiv mit den Küchen verschiedener Länder und mit den Zutaten. Mit den Lebensmittelproduzenten zusammenzuarbeiten und nach dem noch besseren Produkt zu fahnden finde ich besonders spannend. Früher haben wir vielleicht gesagt, „Ich nehme eine Zwiebel“, aber heute wählen wir eine ganz bestimmte Zwiebel aus, die wir verarbeiten. Bei tierischen Produkten ist das noch wichtiger. Unsere Wurst stammt von Schweinen in Freilandhaltung. Und Fisch lassen wir nach der japanischen Schlachtmethode Ike Jime schlachten, was für die Fische weniger schmerzhaft ist und auch die Qualität des Produktes verbessert.

Wenn die Deutschen bei ihrer Ernährung eine Sache verändern würden, welche sollte das sein?
Ich wünsche mir mehr von der Produktverliebtheit, die wir in Italien oder in Frankreich sehen: Die Menschen haben ihre Lieblingsoliven, ihren Lieblingsmozzarella. Sie feiern die Produkte und kaufen sie gezielt. Esskultur hat dort einfach einen anderen Stellenwert.

Restaurants leiden unter Nachwuchsmangel. Woran liegt das?
Ich denke, dass das im weiteren Sinne auch mit dem fehlenden Qualitätsbewusstsein zu tun hat. Wir haben keine Meisterpflicht in der Gastronomie. Das ist auch der Grund für den extremen Wettbewerb, weil jeder sehr einfach ein Restaurant aufmachen kann. Dazu kommen Systemgastronomie und Convenience. Alles zusammen sorgt dafür, dass der Kunde nicht mehr richtig unterscheiden kann: Wo gibt es noch wirkliche Qualität, warum hat die ihren Preis?

Es gibt zu wenig Wertschätzung?
Ja, leider. Es steckt sehr viel handwerkliches Können im Kochen. Es gibt in der Branche viele, die ihren Beruf mit Leiden­schaft betreiben. Sie sind die besten Botschafter und können junge Menschen auch dazu ermutigen, diesen tollen Beruf zu ergreifen. 

  1. Er war mit dem Soul-Sänger Aloe Blacc 2009 auf Tour, ein Jahr vor dessen großem Hit „I Need A Dollar.“

  2. Gummibärchen sind eine süße Sünde, der er schwer widerstehen kann.

  3. Seine Idole als Teenager waren Bob Marley und Harry Belafonte.

Ende der Auflistung

Nelson Müller

Er wurde 1979 in Ghana geboren und wuchs bei einer Pflegefamilie in Stuttgart auf. Nach einer Ausbildung zum Koch arbeitete er unter anderem in einem Sterne-Restaurant, bevor er 2009 sein eigenes Restaurant in Essen eröffnete. Die „Schote“ hat seit 2011 einen Michelin-Stern. Dazu betreibt er die Brasserie „Müllers“ an verschiedenen Standorten. Nelson Müller tritt seit über zehn Jahren im Fernsehen auf: Er wirkt in Kochshows mit und führt durch Dokumentationen, die sich vor allem mit der Qualität von Lebensmitteln beschäftigen. Als Sänger hat Nelson Müller einige Singles veröffentlicht. 2024 geht er mit der Show „Soulfood“ auf Deutschlandtournee.