Die Stärke der Verletzlichkeit
Die Sängerin träumt davon, ein Mensch zu sein, der Gutes bewirkt und zufrieden mit sich selbst ist. © Luise Blumstengel
Interview mit Sängerin Madeline Juno
Ehrlich, persönlich und offen – so zeigt sich Sängerin Madeline Juno nicht nur in ihrer Musik. Nach vielen Höhen und Tiefen in ihrem Leben ist sie heute glücklicher denn je.
Sonnenstrahlen fluten durch die großen Fenster in die Räume der „Gebrüder Fritz“-Location am Checkpoint Charlie in Berlin. Mit einer Rhabarberschorle in der Hand genießt Madeline Juno die Sonne auf ihrem Gesicht, während sie geschminkt wird. Schon bei der Begrüßung wird klar: Die Sängerin freut sich auf das Gespräch und hat etwas zu sagen. „Ihr dürft mich alles fragen“, sagt die Songwriterin, als wir uns für das Interview zusammensetzen.
alverde: In Deinen Texten steckt viel Nostalgie. Fällt es Dir manchmal schwer, im Hier und Jetzt zu sein, oder inspiriert Dich die Vergangenheit einfach besonders?
Madeline Juno: Mit der Zeit habe ich gelernt, mehr im Moment zu leben. Ich genieße das Zusammensein mit meinen Liebsten am meisten, wenn ich wirklich präsent bin. Früher war ich oft damit beschäftigt, mich über Wasser zu halten, aber heute bin ich mental stärker geworden. Trotzdem bin ich ein sehr nostalgischer Mensch und lasse mich gerne von liebevollen Erinnerungen aus meiner Vergangenheit inspirieren. Durch meine Therapie verstehe ich mich selbst und schätze vergangene Momente, die mir Kraft geben – wie das Kinderzimmer meiner besten Freundin, das bis heute eine positive Bedeutung für mich hat.
alverde: Wie gehst Du heute mit Deiner mentalen Gesundheit um – und was hat sich im Vergleich zu früher verändert?
Madeline Juno: Seit meinem 14. Lebensjahr leide ich an Depressionen. Die kann ich natürlich nicht wegzaubern, aber dank der Therapie kann ich mich besser von der Krankheit entkoppeln. Ich nutze eine Art Werkzeugkasten, um mich daran zu erinnern, dass ich nicht meine negativen Gefühle bin – sie sind da, aber sie definieren mich nicht. Dieses Bewusstsein gibt mir Kraft und hilft mir, schwierige Phasen besser zu bewältigen. Ohne ein unterstützendes Umfeld und Offenheit für Veränderung wäre das nicht möglich.
alverde: In Deiner Musik bist Du sehr persönlich. Ist es für Dich noch eine Herausforderung, Dich zu öffnen, oder kannst Du gar nicht anders?
Madeline Juno: Ich bin von Natur aus ein ehrlicher Mensch und habe keine Hemmungen, schwierige Themen anzusprechen. Natürlich gibt es Songs, die mir schwerer fallen, weil sie sehr verletzlich sind. Ich lasse die Menschen nah an mich heran, aber es gibt mir Mut, dass ich mit keinem Gefühl und keiner Erfahrung, die ich gemacht habe, allein bin.
Durch ihre musikalischen Eltern hat Madeline Juno schon früh verschiedene Instrumente gelernt. © Luise Blumstengel
alverde: Beeinflusst Dein Umfeld das Songschreiben? Wo fühlst Du Dich am kreativsten?
Madeline Juno: Ich bin seit meiner Kindheit nachtaktiv. Je später es wird, desto kreativer werde ich. Dann fühle ich mich am meisten wie ich selbst. Nach Mitternacht bin ich wach, habe Energie und will schreiben. Außerdem habe ich das große Glück, dass ich mit meinen besten Freunden meine Musik schreiben darf. Mindestens zweimal im Jahr fahren wir gemeinsam weg und verbringen eine Woche damit, Songs zu schreiben und zu produzieren.
alverde: Im Juni hast Du Dein siebtes Studioalbum „Anomalie Pt. 1“ veröffentlicht. Die Single „Anomalie“ war Namensgeber für das Projekt – inwiefern hat dieser Song den Entstehungsprozess beeinflusst?
Madeline Juno: „Anomalie“ ist der Grund dafür, dass dieses Album überhaupt entstanden ist. Der Song war ein Überbleibsel vom letzten Album und hat eine ganz eigene Welt eröffnet, die dort nicht hineingepasst hätte. Deshalb wollte ich ihn in andere Songs einbetten – so entstand ein Konzeptalbum unter dem Thema „Anomalie“. Es hat mich dazu gebracht, produktionstechnisch und thematisch aus meiner Komfortzone auszubrechen.
alverde: Du hast am Anfang Deiner Karriere auf Englisch gesungen und bist dann zu deutschen Texten gewechselt. Bleibt es dabei oder möchtest Du in Zukunft auch wieder englische Musik veröffentlichen?
Madeline Juno: Ich habe nie damit aufgehört, englische Musik für andere Künstler zu schreiben, aber ich habe es vermisst, auch selbst englische Songs rauszubringen. Bei der Fernsehsendung „Sing meinen Song – Das Tauschkonzert“ durfte ich dieses Jahr englische Lieder meiner Kollegen in Südafrika singen – das hat mir wahnsinnig Spaß gemacht. Es hat mich motiviert, in Zukunft wieder mehr englische Musik zu machen. Ob das unter meinem Namen oder bei anderen Projekten passiert, weiß ich noch nicht genau, aber da wird auf jeden Fall etwas kommen.
alverde: Der Song „Mediocre“ auf Deinem neuen Album handelt von Minderwertigkeitsgefühlen. Du singst: „Ich wär gern deutlich mehr von dem, was so viele in mir sehen.“ Wie nehmen andere Menschen Dich wahr?
Madeline Juno: Ich glaube, viele denken, ich hätte nach all den Jahren alles im Griff und wüsste genau, was ich tue – aber das ist nicht so. Ich lerne jedes Jahr dazu, wie man wirklich lebt und was es heißt, bei sich selbst zu sein. Auf der Bühne fühle ich mich selbstbewusst und ganz bei mir, aber privat ist das oft anders. Ich wünsche mir, noch mehr in mir selbst zu ruhen und mehr Madeline Juno zu sein – auch abseits der Bühne.
alverde: Frauen sind immer noch strukturell benachteiligt in der Musikbranche – welche Veränderungen hast Du beobachtet und wo gibt es noch Handlungsbedarf?
Madeline Juno: Es hat sich in den letzten Jahren kaum etwas verändert: Frauen sind weiterhin stark unterrepräsentiert, sei es in Festival-Line-ups oder im Radio. Zwar gibt es Ansätze, bei denen darauf geachtet wird, mehr Frauen auf Festivals zu buchen, doch das ist so marginal. Besonders problematisch ist die Radiolandschaft: Sie argumentieren, dass weibliche Stimmen aufgrund ihrer höheren Frequenzen bei Hörertests schlechter abschneiden und deswegen schlechter geeignet seien. Es fehlt an echtem Willen der Industrie, strukturelle Barrieren abzubauen und Frauen gleiche Chancen zu bieten.
alverde: Berlin ist Deine Wahlheimat – brauchst Du gelegentlich Abstand von dem Trubel?
Madeline Juno: Berlin ist mein Zuhause und ich liebe die Energie hier. Trotzdem zieht es mich manchmal zurück in den Schwarzwald, wo meine Familie lebt. Ich bin ein totaler Familienmensch und vermisse die Zeit mit meinen Nichten, Neffen und Omas sehr. Der Schwarzwald bleibt meine Heimat, aber manchmal fühle ich mich dort wie ein Fremdkörper, weil ich schon seit über zehn Jahren nicht mehr da wohne. Für die Zukunft könnte ich mir vorstellen, vielleicht in einem Randbezirk oder der Vorstadt zu leben.
alverde: Du hast in jungen Jahren an einer Essstörung gelitten und diese mittlerweile überwunden. Welche Auswirkung hat Social Media heutzutage auf junge Frauen und ihr Körperbild?
Madeline Juno: Social Media hat vieles verändert. Einerseits gibt es mehr Body Positivity und Akzeptanz, andererseits setzt der Vergleichsdruck vor allem junge Menschen stark unter Stress. Kinder haben heute weniger Zeit, einfach Kind zu sein – alles dreht sich um Aussehen, Follower und Likes. Ich habe großen Respekt vor Eltern, die ihre pubertierenden Kinder in dieser Zeit begleiten, und hoffe, dass wir als Gesellschaft den Fokus wieder mehr auf Empathie und echte Werte legen können.
Madeline Juno
Die 29-jährige Singer-Songwriterin ist für ihre ehrlichen und emotionalen Popsongs bekannt. Aufgewachsen in Offenburg-Griesheim in einer musikalischen Familie mit russlanddeutschen Wurzeln, lernte sie bereits mit sechs Jahren Keyboard spielen. Später fing sie auch an, Gitarre zu spielen und ihre eigenen Songs zu schreiben. Mit 14 Jahren nahm sie ihre ersten Songs auf und veröffentlichte sie auf YouTube, wo sie schnell Aufmerksamkeit erregte. Ihre Debütsingle „Error“ erschien 2013 und war Teil des Soundtracks im Film „Fack ju Göhte“. Seitdem hat sie mehrere Alben veröffentlicht, darunter ihr aktuelles Werk „Anomalie Pt. 1“, das im Juni 2025 erschien. In diesem Jahr war Madeline Juno bei der Fernsehserie „Sing meinen Song – Das Tauschkonzert“ dabei, wo sie ihre musikalische Vielseitigkeit zeigte.