Der Weg zur Selbstfindung war nicht leicht
„Ich habe schon immer die Menschen am schönsten gefunden, die Geschichten zu erzählen haben, die anders sind, vielleicht sogar etwas Gebrochenes in sich tragen“, sagt Mandy Capristo. © Boris Breuer
Interview mit Mandy Capristo
Dass man an Herausforderungen wächst, kennt Musikerin Mandy Capristo nur allzu gut – um das zu begreifen, hat sie eine lange Reise hinter sich gebracht.
Mit ihrem Kamillentee betritt Mandy Capristo das Kölner Studio, in dem wir unser alverde-Interview führen. Ein entschleunigter Start in den Tag ist der 34-jährigen Sängerin wichtig, und man spürt: Sie weiß, was sie will, und sie ist ganz bei sich. Der Weg dorthin, zur Selbstfindung, war nicht leicht. „Ich hatte mich von mir selbst entfernt, nur um Professionalität zu wahren.“ Eine große Lehre für die Musikerin: „Ich weiß jetzt, wer ich bin. Und ich habe gelernt, für mich einzustehen.“
alverde: Sie sind im Rampenlicht groß geworden in einem Business, das ein sehr bestimmtes Schönheitsideal vorgibt. Was bedeutet Schönheit für Sie?
Mandy Capristo: Mit dem Älterwerden hat sich mein Bild von Schönheit enorm gewandelt. In meinem Kosmos hat sich viel um Perfektion gedreht – das Wort habe ich inzwischen gänzlich aus meinem Wortschatz verbannt. Denn wenn man Dinge zu oft sieht und hört, dann nimmt man sie mit in seine eigene Welt – ob man will oder nicht. Ich habe schon immer die Menschen am schönsten gefunden, die Geschichten zu erzählen haben, die anders sind, vielleicht sogar etwas Gebrochenes in sich tragen. Genau diese Verletzlichkeit empfinde ich als schön.
alverde: Auf Social Media ist die Hemmschwelle niedrig, Menschen aufgrund ihres Äußeren zu bewerten. Wie erleben Sie die Kommentare dort?
Mandy Capristo: Ich finde das sehr seltsam. Ich frage mich immer: Was ist das fĂĽr eine Person, die so etwas schreibt und aus welchem Grund? Oftmals haben diese Aussagen nichts mit der Person zu tun, an die sich die Kommentare richten, eher sagen sie etwas ĂĽber den Verfasser aus. Ich bin kein Mensch, der zurĂĽckschieĂźt. Das eigene Leben wird nicht besser durch das Abwerten anderer. Ich bin dialogbereit, aber das Internet ist nicht der richtige Ort dafĂĽr.
alverde: Zu Beginn Ihrer Musikkarriere waren Sie gerade 16 Jahre alt. Wie haben Sie die Zeit damals erlebt?
Mandy Capristo: Mir wurde damals oft gesagt: „Du bist jetzt ein Vorbild.“ Das war einerseits ein Privileg, auf der anderen Seite wusste ich aber noch gar nicht, wer ich selbst überhaupt bin. Ich bin sehr behütet aufgewachsen. Plötzlich war da nicht mehr meine Mutter, die mir morgens zuhört – da waren Manager, Auftritte, Crews, und alle haben Erwartungen. Ich habe abgeliefert, war nie krank. Das ging irgendwann so weit, dass ich das Gefühl hatte, ein Roboter zu sein.
alverde: War Ihnen wichtig, was andere von Ihnen denken?
Mandy Capristo: Als junges Mädchen war es mir sehr wichtig, ich habe mir viel zu Herzen genommen. In der Öffentlichkeit herrschte für einen Moment ein bestimmtes Bild von mir und darauf konnte ich keinen Einfluss nehmen, egal, wie sehr ich das versucht habe. Das hat mich teilweise schon sehr traurig gestimmt. Ich dachte aber, das sei nun mal der Preis, den ich zahlen muss. Meine Mutter sagte zwar: „Mandy, wir wissen doch, wer du bist.“ Trotzdem empfand ich das als sehr belastend, bis ich gelernt habe, loszulassen.
Humor macht das Leben leichter – eine Eigenschaft, die Mandy Capristo ganz besonders an anderen schätzt. © Boris Breuer
alverde: Diese Momente, diese Schattenseiten – was hat das mit Ihnen auf Dauer gemacht?
Mandy Capristo: Ich bin in eine Rolle geschlüpft und habe funktioniert – das war Selbstschutz. In belastenden Situationen sollte ich so natürlich und authentisch wie möglich bleiben. Das war recht komplex, auch heute noch. Die Unzufriedenheit und das Unwohlsein habe ich jahrelang weggelächelt – bis sich mein Körpergefühl verändert hat. Aus Schlafproblemen wurde permanente Nervosität. Das hat meine Lebensfreude stark beeinflusst.
alverde: Das klingt, als hätten Sie sich selbst verloren.
Mandy Capristo: Es hat sich so angefühlt. Heute weiß ich, dass ich die Kontrolle aus der Hand gegeben und die Verbindung zu mir selbst verloren habe. Das resultierte in Panikattacken. Ich konnte nicht mehr reisen, nicht mehr Zug fahren, in Hotels habe ich mich eingeengt gefühlt. Das war eine sehr prägende Zeit für mich, und dennoch meine wichtigste Lehre.
alverde: Darüber haben Sie auch ein Buch geschrieben, mit dem Titel „An erster Stelle bin ich Mensch!“. War das Herunterschreiben Ihrer Gefühle heilsam?
Mandy Capristo: Ich habe schon immer gerne Tagebuch geführt, auch heute noch. Einige Dinge sind mir auch erst bewusst geworden, als ich sie niedergeschrieben habe. Da dachte ich: „Oh Gott, das hast du erlebt? Und du hast so getan, als wäre nichts?“ Als ich das Buch geschrieben habe, hat es sich angefühlt, als würde ich mir selbst endlich zuhören. Mir war auch klar, dass ich dabei hundertprozentig ehrlich sein möchte, denn wenn ich Entscheidungen treffe, dann immer voll und ganz, mit all ihren Auswirkungen. Und ja, das war sehr heilsam.
alverde: Sie haben 2021 die Plattform FELICE gegrĂĽndet und machen sich stark fĂĽr mentale Gesundheit. War Ihnen wichtig, Ihre eigenen Erkenntnisse zu teilen?
Mandy Capristo: Auf meiner Reise habe ich gemerkt, wie viele Menschen mit ihrer mentalen Gesundheit zu kämpfen haben. Und ich habe gemerkt, wie schwer es sein kann, darüber zu sprechen. Das löst Einsamkeit aus, deshalb ist es mir ein Anliegen, darüber zu sprechen und zu enttabuisieren. Unsere Gesundheit muss an erster Stelle stehen. Die Gründung von FELICE hat mich geheilt, und das Gefühl der Hoffnung möchte ich auch anderen Betroffenen schenken.
alverde: Sie wohnen inzwischen in Mailand, Italien. Was reizt Sie daran?
Mandy Capristo: Ich genieĂźe, dass ich im Ausland mein Privatleben wirklich privat ausleben kann. Das schenkt mir sehr viel Freiheit und ErfĂĽllung. In Italien genieĂźe ich die Ruhe. Denn Heimat ist fĂĽr mich da, wo es mir gutgeht.
alverde: Am 8. März ist Weltfrauentag. Welche Botschaft möchten Sie anderen Frauen vermitteln?
Mandy Capristo: Lasst uns noch mehr Komplimente machen. Wir Frauen sitzen alle im selben Boot, und wir wissen, was es heißt, Frau zu sein. Und so unterschiedlich unsere Geschichten auch sein mögen – Sätze wie „Du schaust schön aus“ oder „Das hast du gut gemacht“ können viel in einem Menschen bewegen. Du weißt nie, welchen Kampf eine Person gerade hinter ihrem Lächeln kämpft. Deswegen bin ich großer Fan davon, Frauen einfach anzulächeln. Zu 99 Prozent kommt ein Lächeln zurück. Es tut uns allen gut.
Mandy Capristo
Sie wurde 1990 in Mannheim geboren und wuchs ländlich in Südhessen auf. Mit 16 Jahren gewann Mandy Capristo bei der deutschen Talent-Show „Popstars“ und war mit der Band Monrose erfolgreich. Nach der Auflösung der Gruppe folgte eine Solo-Musikkarriere. Was einerseits wertvolle Erfahrungen mit sich brachte, bot auf der anderen Seite auch viele Schattenseiten, die die 34-Jährige in ihrem Buch „An erster Stelle bin ich Mensch!“ offenlegte. Mandy Capristo ist Gründerin der Mental-Health-Plattform FELICE und lebt in Mailand.