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Interview mit Anna Schudt – Liebt Langeweile

Schauspielerin Anna Schudt

„Du hast nur das, was vor dir liegt, was hinter dir liegt, ist passiert.“ © David Maupilé

Sie ist laut, lustig und gern mit sich allein. Anna Schudt weiß, was sie will. Und klappt es mal nicht, wie erhofft, sagt sie sich: „Na und?“ 

alverde: Sie werden übernächsten Monat 50. Ein Grund zu feiern? 
Anna Schudt: Am 24. März ist das Leben auch nicht anders als davor. Aber ja, die Zehner muss man feiern. Ich habe mich erst gescheut vor dem Aufwand. Aber wie immer habe ich mir dann irgendwann gesagt: Mach es einfach, wer kommt, der kommt. Wer nicht kommt, eben nicht. Ich freue mich darauf.

Für die Schauspielschule haben Sie damals das Gymnasium verlassen und sind allein nach München gezogen. Ganz schön mutig und zielstrebig mit 17. 
Mir war gar nicht bewusst, dass es eine Möglichkeit gibt, nicht zu wissen, was man will. Ich wusste schon früh, dass ich Schauspielerin werden will. Da bin ich sehr, sehr dankbar und froh darüber. Für mich war das damals erst mal ein Versuch. Als ich dann auf die Schauspielschule kam, dachte ich, ach, das ist zu Hause, das ist schön.

Sie scheinen immer wieder gern die Komfortzone zu verlassen. Sobald es zu gemütlich wird, gehen Sie. Jüngstes Beispiel: der Dortmunder Tatort. Ist das nicht ungemein anstrengend?
Das ist das genaue Gegenteil von anstrengend für mich. Ich kann da gar nichts für. Ich mag es, Dinge auszuprobieren, die ich noch nicht gemacht habe, und im Ausprobieren herauszufinden, ob es passt. Ich würde immer sagen: Mach einfach mal. Und wenn Du die Abzweigung genommen hast, gibt es danach 3.000 weitere. Dann kannst Du wieder entscheiden. Gedanken wie: „Ach, hätt ich damals“ sind für meine Begriffe ausgesprochen müßig und Zeitverschwendung. Du hast nur das, was vor Dir liegt, was hinter Dir liegt, ist passiert. Das lässt sich nicht ändern.

Ganz schön selbstbewusst. Was glauben Sie, woher das kommt? Vom Urvertrauen, das wir von klein auf erfahren? Für Ihre Rolle als Hebamme Anna in der Serie „Push“ haben Sie viel über die Bindung von Anfang an gelesen.
Hat man die Möglichkeit, sich und dem Baby einen guten, gemeinsamen Start zu schenken, kann das helfen, ein starkes, bindungs- und liebesfähiges Wesen zu werden, was die Welt ein bisschen besser macht. Damit meine ich nicht eine bestimmte Art von Geburt, aber eine bewusste, selbstbestimmte Geburt. Daran glaube ich sehr und deshalb finde ich das Thema unendlich wichtig.  

Portraits von Anna Schudt

Grübeleien sind ihr fremd. „Mir war gar nicht bewusst, dass es eine Möglichkeit gibt, nicht zu wissen, was man will.“ © David Maupilé

Bei der Verleihung des Deutschen Fernsehpreises 2023 sprachen Sie über die Möglichkeit, die Schauspieler haben: Die Möglichkeit, unangenehme, scheußliche und verdrängte Themen zu verpacken und damit ohne anzuklopfen ins Wohnzimmer zu kommen. Die Möglichkeit, dem Zuschauer so vielleicht eine andere Perspektive aufzuzeigen, wodurch alles ein bisschen besser werden kann. Was kann die Serie Push verbessern?
Einem die Angst nehmen. Grundtenor der Serie ist: Mutter und Kind können das. Wenn man jedoch schon im dritten Monat gesagt bekommt: Du bist eine Risikoschwangerschaft, oh, die Werte, oh, der Blutdruck. Oh, oh, oh. Wie soll man sich da freuen? Man darf ruhig auch mal guter Hoffnung sein. In unserer Gesellschaft sind Tod und Geburt ausgesourct, weil sie „eklig“ sind und „gefährlich“. Das alles sind sie nicht. Das eine ist der Anfang des Lebens, das andere das Ende. Und wenn man die beiden nicht ins Leben integriert, dann muss man Angst davor haben. Das ist eben heute leider der Normalfall. Und das bedaure ich zutiefst, weil ich weiß, wie viel aufgrund der Ängste schiefgeht. Wenn nur fünf Leute neu nachdenken über solche Themen oder sich sagen: „Ah, okay, das geht auch, ich muss keine Angst haben“, dann ist schon ganz viel gewonnen.

Wie können Hebammen dabei am besten unterstützen?
Sie sind die mit dem Urwissen. Ich hatte das Glück bei meinen ersten beiden Kindern eine zu haben, die mir gezeigt hat, was es bedeutet, ein Kind zu bekommen.

Die Serie legt den Finger auf vieles, was schiefläuft für die Hebammen, aber auch generell für die Frauen, die noch immer den Hauptteil der Care-Arbeit leisten, viele zusätzlich zu ihrem Job.
Wir haben den Versuch unternommen, die Entscheidungen der Frauen nicht zu werten. Zu sagen, vieles ist heute für Frauen und Mütter möglich und die Entscheidung sollte von jeder selbst getroffen werden.

Wie ist das bei Ihnen? Sie lieben die He­rausforderung im Beruf und sind Mutter von drei Kindern. Gibt es in Ihrer Familie klare Grenzen, die Arbeit und Privatleben voneinander trennen, oder ist Ihre Lösung eher die, beides miteinander zu vereinen, soweit möglich?
Wir vereinen es, das geht gar nicht anders. Für mich war es immer ein Plus. Spielen macht mich glücklich. Und je glücklicher ich bin, desto besser ist alles andere auch. Ich sehe nicht, dass mir die Familie Zeit wegnimmt für meinen Beruf. Oder andersherum, dass mir durch meinen Beruf die Energie für meine Familie flöten geht. Im Gegenteil. Ich profitiere von meiner Familie, weil ich sehr gerne Zeit mit ihr verbringe, und ich profitiere von meinem Beruf, weil ich mich da auf eine einzige Sache fokussieren kann, auf mich. Und das ist was ganz Tolles, wie alle Mütter wissen. Wichtig ist, nie den Kontakt zu sich selbst zu verlieren. 

Und wie pflegen Sie diesen Kontakt zu sich selbst?
Ich verbringe viel Zeit mit mir alleine. Wenn ich laufen gehe, bin ich allein, wenn ich Cello spiele, ebenso. Oft starre ich auch einfach nur aus dem Fenster. Das erlaube ich mir. Und denke gar nichts. Ich brauche Stille, um mich zu regenerieren. Ich muss nicht auf eine Party gehen oder in die Stadt shoppen. Das interessiert mich alles gar nicht. Da setze ich mich lieber an den Fluss oder auf den Berg und starre vor mich hin und bin sehr, sehr langweilig. Und dann ist alles wieder gut.

Würden Sie sagen, dass Empathie die wichtigste Zutat für Ihren Beruf ist?  
Wir sind dafür da, dass die anderen was fühlen, wenn sie einen Film schauen. Das bedeutet nicht, dass wir nichts fühlen. Aber wir müssen schauen, wo ist der Weg zwischen der Figur und dem Zuschauer. Also wie komme ich in dieses Herz, mit welcher Aktion, mit welcher Emotion, mit welcher Entscheidung, die die Figur trifft. Das ist noch mal eine Ebene höher. Es reicht nicht, dass Du viel weinst, damit die anderen traurig werden. Es ist oft der Kampf dagegen, der sie berührt.

Wie schlüpfen Sie nach Drehschluss wieder aus Ihrer Rolle?  
Sehr gute Frage, weil ich sehr viel Zeit darauf verwende, hineinzuschlüpfen, und das Rausschlüpfen oft vernachlässigt habe, was auf Dauer nicht gut ist. Ich dachte immer, ich schüttle mich. Aber es bedarf ein bisschen mehr Arbeit, um die Energie dieses Menschen, den man gespielt hat, wieder loszulassen, sonst legen sich manchmal Schichten auf die Seele. Vielleicht muss ich Briefe schreiben. Mich verabschieden. Ich habe die Figur ja auch „geliebt“. 

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Anna Schudt

Tatort-Fans haben sie als spröde Ermittlerin Martina Bönisch in Erinnerung. Für ihre Rolle als Gaby Köster in „Ein Schnupfen hätte auch gereicht“ gewann sie den begehrten Emmy. Zuletzt glänzte sie in einer Nebenrolle in der Serie „Das Boot“ als opportunistische SS-Goldschmugglerin und spielte die herausfordernde Hauptrolle Juliane im Film „Laufen“, die sich nach dem Suizid ihres Mannes ins Leben zurückläuft. Ab März ist sie in der ZDFneo-Serie Push als Hebamme Anna zu sehen.