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Kleinwüchsig: Auf Augenhöhe mit anderen

Anna Spindelndreier im Portrait

Anna Spindelndreier ist die einzige Kleinwüchsige in ihrer Familie. © Mateusz Tondel

Porträt über Anna Spindelndreier

Anna Spindelndreier setzt sich für einen authentischen Blick auf Menschen mit Behinderung ein. Auch bei ihrer Arbeit als Fotografin. Dabei zeigt sie einmal wieder: Man muss nicht groß sein, um Großes zu tun. 

Wenn Anna Spindelndreier zum Arbeiten das Haus verlässt, ist sie immer mit dabei: die Alu-Trittleiter. Die hilft ihr, die physischen Hürden zu überwinden, in einer Welt, die von und für Menschen mit einer Körpergröße von 1,70 bis 1,90 Meter gemacht ist. Um die Hürden in den Köpfen der Menschen zu überwinden und deren Blick auf Menschen mit Behinderung zu ändern, hat die 36-jährige Dortmunderin ihre Fotoausrüstung. Schließlich weiß Anna Spindelndreier aus eigener Erfahrung, dass es da noch sehr viel zu tun gibt. 

Behindert von anderen 

„Menschen mit Behinderung werden selbst in den Diversity-Diskussionen immer noch als Letztes genannt oder als Erstes vergessen.“ Anna Spindelndreier hat Achondroplasie, eine von 450 Kleinwuchsformen und eine der häufigsten. „Eine Laune der Natur“, sagt die ältere Schwester von zwei Brüdern. Ursache ist eine spontane Genmutation. „Ich bin die einzige Kleinwüchsige in meiner Familie.“ Dass bei ihr etwas anders ist als bei den anderen, erfährt sie bereits im Kindergarten. „Ich durfte zum Beispiel keine Purzelbäume machen, weil das von meiner Anatomie her nicht gut für mich ist.“ Sie beißt sich durch. Leistet viel. Ist die Erste in der Familie mit Abitur. Trotzdem bleibt da immer dieses Gefühl, „150 Prozent geben zu müssen, damit 100 Prozent ankommen“. Nicht unbegründet. Achtzig Bewerbungen schreibt sie, bevor sie endlich ihren Wunsch-Ausbildungsplatz als Fotografin bekommt und sich dann entscheidet, in Dortmund Fotografie zu studieren.

Ob sie sich als gehandicapt empfindet? „Ich benutze dieses Wort nicht“, sagt Anna Spindelndreier. „Handicap ist eine defizitorientierte Sicht.“ Natürlich stecke im Begriff Behinderung auch, dass ein Mensch an etwas gehindert ist. Enthalten sei aber auch, von anderen behindert zu werden. Durch einen Blick, der ein vermeintliches Unvermögen in den Fokus rückt. Als sei es das hervorragendste Merkmal eines Menschen, etwa kleinwüchsig zu sein oder im Rollstuhl zu sitzen.

Ein anderer Blick 

Diese Perspektive zu verändern, daran arbeitete Anna Spindelndreier zehn Jahre als Vorständin im Bundesverband Kleinwüchsige Menschen und ihre Familien e. V. 

Und daran arbeitet sie vor allem als Fotografin. „Ich hatte mich schon während meines Studiums oft über die Darstellung von Menschen mit Behinderung geärgert. Dass man zum Beispiel für Fotos oft Leute in einen Rollstuhl setzt, die gar nicht im Rollstuhl sitzen. Dass die Rollstühle dabei stets unbeweglich und sperrig wirkten. Dann kam oft dieser Spruch: „An den Rollstuhl gefesselt.“ Den, so sagt sie, „hassen wirklich alle, die einen brauchen“. Es sei vielmehr so: „Für diese Menschen ist der Rollstuhl praktisch ein Teil ihres Körpers. Er bedeutet Mobilität, Leichtigkeit und Freiheit.“ Ein Hilfsmittel, keine Einschränkung. Eine völlig andere Perspektive. Ein Unterschied, der sich in ihren Fotografien offenbart. Etwa von dem Inklusions-Aktivisten Raúl Krauthausen oder von erfolgreichen kleinwüchsigen Frauen.

Mehr Informationen zu Anna Spindelndreier: annaspindelndreier.de

Ausgezeichnet und auf Augenhöhe 

Daneben unterstützt sie als Fotografin ehrenamtlich auch das Modelabel „Auf Augenhöhe“, das Kleidung für kleinwüchsige Menschen entwirft. Für ihre Arbeit wurde Anna Spindelndreier 2019 mit dem Edition F Award ausgezeichnet, als eine von „25 Frauen, die mit ihrer Stimme unsere Gesellschaft bewegen“. Sie liebe es, zu fotografieren, sagt sie. „Aber ich spüre nach all der Schlepperei – immerhin wiegt das Equipment rund 14 Kilo – auch meine körperlichen Grenzen.“

Deshalb setzt sie zunehmend auf Plan B: arbeitet auch als Bildredakteurin und setzt da, wenn immer möglich, Fotos von Menschen mit Behinderung ein. Sichtbarkeit schaffe Normalität, verändere Sehgewohnheiten und auch Einstellungen. Ihr Traum? Anna Spindelndreier muss nicht lange überlegen: „Dass ich einmal eine Ausstellung über Menschen mit Behinderung in einem so großen Haus wie dem Gropius Bau in Berlin mache.“