Der Soundtrack der Natur

Wale haben ein ganz eigenes System, um miteinander zu kommunizieren. © Heike Vester OceanSounds
Dr. Heike Vester ĂĽber Bioakustik
Von Wal bis Wolf: Forschende wollen mit Bioakustik die Tierwelt und die Artenvielfalt von Ökosystemen entschlüsseln – ein (digitaler) Lauschangriff.
Seit über 20 Jahren fährt die Verhaltensbiologin und Bioakustikern Dr. Heike Vester regelmäßig mit einem Schlauchboot auf das Meer hinaus und hält ein Hydrophon, ein Unterwassermikrofon, bis zu 20 Meter in die Tiefe des Ozeans. Auf ihren Ohren sitzt ein großer Kopfhörer. Gemeinsam mit ihrem Team forscht sie hauptberuflich an Gesängen mariner Säugetiere. Mal in Patagonien, mal in Indonesien, aber vor allem in ihrer Wahlheimat Nordnorwegen.
„Jeder Lebensraum besitzt sogenannte Klangwelten. Der Bereich der Bioakustik beziehungsweise Soundscape-Ökologie nutzt akustische Signale, um mehr über unsere Umwelt in Erfahrung zu bringen“, erklärt sie.
Nicht nur das Meer wird von Forschenden abgehört, auch die Geräusche von Wald, Wiesen und Wildtieren, wie Wölfen, werden aufgezeichnet und analysiert. Dafür werden digitale Aufnahmegeräte oder Ultraschallgeräte, die an Bäumen befestigt werden, genutzt. Auf diese Weise entsteht ein akustischer Fingerabdruck eines Ökosystems, der viel über den Gesundheitszustand und seine Vielfalt verrät. Vor allem in Zeiten des Klimawandels ist es ein wichtiges Beweismittel für die Ab- oder Zunahme von Biodiversität, Veränderungen oder mögliche Störfaktoren.
Wale mit KI abhören
Wenn die Forscherin ihre Aufnahmen im Kasten hat, verbrachte sie in der Vergangenheit viel Zeit am Computer. Mithilfe einer Software, bei der sie die Klänge hört, aber auch visuell durch ein Spektrogramm sieht, hat sie die Laute zugeordnet. Seit einiger Zeit arbeitet sie mit einer Gruppe von Wissenschaftlern der FAU Erlangen zusammen, die mithilfe von künstlicher Intelligenz Algorithmen entwickeln, die Laute sortieren und in Zukunft auch klassifizieren sollen. „Das eröffnet uns ganz neue Möglichkeiten“, sagt Heike Vester.
Und was verrät ihr das Knattern oder Pfeifen der Meeressäuger? „Ich kann mittlerweile hören, ob Wale fressen, sich ausruhen, spielen oder gerade aufeinandertreffen.“ Ein „Hallo“ und „Tschüss“ konnte sie noch nicht enträtseln – aber durch die Unterwasserakustik weiß man, dass Delfine sich mit unterschiedlichen Namen beziehungsweise Pfeiftönen ansprechen oder dass es bei großen Gruppen von Grindwalen sogenannte Kontaktrufe gibt, die man zum Beispiel mit „Weiter geht’s!“ übersetzen könnte.
Das Meer wird immer lauter
Sie glaube nicht daran, dass die Menschheit die Sprache der Meeressäuger jemals komplett entschlüsseln werde, dafür sei die Fläche zu groß und eine gleichzeitige visuelle Beobachtung der Tiere nicht möglich. Außerdem sei das Laut-Repertoire von Walen sehr komplex. „Bei den Grindwalen habe ich über 160 Lauttypen erforscht – und das ist längst nicht alles“.
Eines ist Heike Vester in ihrer Forschungskarriere besonders aufgefallen: Das Meer wird immer lauter: Containerschiffe, Kreuzfahrtriesen, Fähren, Erdgasförderung oder Whale-Watching-Boote übertönen nicht nur ihre tägliche Forschungsarbeit, sondern vor allem das Leben der Meeressäuger, die sich durch den Lärm, der sich kilometerweit trägt, schlechter orientieren, kommunizieren, fressen und ausruhen können.
„Mein Ziel ist es, die Tiere zu verstehen und im Tourismus und in der Politik ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Lärm ein Problem ist. Wir brauchen Lärmbeschränkungen und Meeresschutzgebiete“, sagt sie. Mit ihrem gemeinnützigen Verein „Ocean Sounds“ hat sie vor kurzem in Zusammenarbeit mit dem Münchner Medienunternehmen „Cyan Planet“ eine Ausstellung mit Virtual Reality im norwegischen Bodø entwickelt. Über visuelle Bilder und Sounds wird erzählt, wie es sich aus der Perspektive eines Wals in der (zu) lauten Unterwasserwelt anfühlt. „Ob Wald, Meer oder der Erdboden – ich empfehle, sich die verschiedenen Klanglandschaften anzuhören: Einfach mal raus in die Natur und die Augen schließen.“
Dr. Heike Vester Biologin

Sie forscht seit 1998 an der Bioakustik und dem Sozialverhalten mariner Säugetiere und ist die Gründerin des gemeinnützigen Vereins „Ocean Sounds“.
App-Tipp
Wer zwitschert denn da?
Bioakustik selbst im Wald oder Garten erleben.
Mit der App „BirdNET“ kann man Vogelstimmen aufzeichnen und innerhalb weniger Sekunden analysieren lassen. Die App ist ein Forschungsprojekt der Technischen Universität Chemnitz. Hier downloadbar im App Store und Google Play Store.
Mehr über den Verein „Ocean Sounds“ unter: ocean-sounds.org
Bild von Dr. Heike Vester Biologin: Johanna Hanno