Sie setzt sich fĂĽr staatenlose Menschen ein

Christiana Bukalo engagiert sich für Menschen ohne Pass - für staatenlose Menschen. © Dominik Morbitzer
Porträt über Christiana Bukalo
Christiana Bukalo ist Co-Gründerin der Nonprofit-Organisation Statefree. Sie setzt sich für die Rechte staatenloser Menschen ein. Menschen wie sie, die hier geboren und aufgewachsen sind und die trotzdem nicht auch offiziell dazugehören.
Ein Konto eröffnen, ein Paket abholen, eine SIM-Karte registrieren – nur eine kleine Auswahl der alltäglichen Verrichtungen, die den meisten von uns kaum Probleme bereiten. Für Christiana Bukalo wuchsen sie sich mehr als ihr halbes Leben lang zu unüberwindlichen Hürden aus. Sie besaß lange nicht, was die Voraussetzung für so vieles ist: Papiere, die ihre Identität nachweisen. Die 30-Jährige ist in Deutschland geboren, sie wächst in einer Hochhaussiedlung in Puchheim auf. Sie besucht dort Kindergarten, Schule und Gymnasium, arbeitet als Tanztrainerin im örtlichen Verein und studiert in München Kommunikationswissenschaften.
Wenn der Pass fehlt …
Sie spricht selbstverständlich einwandfrei Deutsch und geht schon mal im Dirndl zum Oktoberfest. Aber sie ist das Kind von Staatenlosen. Von Menschen also, die nach ihrer Flucht vor mehr als 30 Jahren aus einem westafrikanischen Land in Deutschland ihre Staatsangehörigkeit nicht nachweisen konnten. Sie können ihrer Tochter damit keine „Staatsangehörigkeit vererben“. In Deutschland, wie in vielen anderen europäischen Ländern, gilt im Wesentlichen das Abstammungsprinzip: Deutsch ist, wessen Eltern deutsch sind – und nicht, wer in Deutschland geboren wird. Dabei wird noch zwischen „anerkannter Staatenlosigkeit“ und „ungeklärter Staatsbürgerschaft“ unterschieden. Kann man belegen, dass man zu keinem Staat gehört, dann kann man nach einer bestimmten Zeit einen Einbürgerungsantrag stellen.
Das ist aber Familie Bukalo lange nicht möglich. Sie steckt fest im rechtlichen Niemandsland „ungeklärte Staatsangehörigkeit“. Ein Unterschied mit großen Folgen, so Christiana Bukalo. Sie darf das Land nicht verlassen. Also auch nicht an Klassenfahrten teilnehmen. Mit 16 will sie wie alle feiern gehen – aber da sie sich im Zweifel auf der Straße oder in der Disko nicht ausweisen könnte, fällt auch das flach. Sie engagiert sich schon früh ehrenamtlich in der Kinderbetreuung einer evangelischen Kirchengemeinde, kann aber nicht mit in die Sommerfreizeit. Erst mit 18 bekommt sie Ausweispapiere, mit denen sie reisen kann. Mit 25 erfüllt sie sich einen lang gehegten Traum und fliegt nach Marokko. Dort aber lässt man sie nicht einreisen, weil sie mit ihrem Status ein bestimmtes Visum braucht. „Ich hatte vorab Anfragen an die eigentlich zuständigen Behörden gestellt, aber die blieben unbeantwortet.“ 20 Stunden muss sie im Transitbereich warten, bevor der nächste Flieger zurück nach Deutschland geht.
Infos und Vernetzung
Christiana Bukalo erzählt, dass sie lange ein Gefühl von Scham begleitet habe. „Ich dachte, wenn mich dieser Staat nicht will, dann habe ich etwas falsch gemacht.“ Ein Gefühl, das sie anderen Betroffenen ersparen will. Auch deshalb gründet sie mit fünf anderen 2020 die Non-Profit-Organisation Statefree (statefree.world). Das Ziel: ein zentrales Informationsarchiv zu bieten, eine Möglichkeit zum Erfahrungsaustausch für Betroffene, sie und das Thema in die Öffentlichkeit zu bringen. Mit der Politik ins Gespräch zu kommen, etwa über eine Vereinheitlichung und eine Vereinfachung bei den Feststellungsverfahren. Oft kämen etwa unterschiedliche Sachbearbeiter bei ein und demselben Vorgang zu jeweils ganz anderen Entscheidungen.
Stark fĂĽr Staatenlose
Es sind keine Einzelschicksale. „Bevor ich mich selbst intensiver damit beschäftigt hatte, wusste ich nicht, wie viele staatenlose Menschen es in Deutschland gibt.“ Immerhin knapp 30.000 anerkannte Staatenlose leben in Deutschland. 97.000 weitere Menschen haben keine geklärte Staatsangehörigkeit. Weil Staaten manche Volksgruppen nicht anerkennen, wie Myanmar die Rohingya. Weil Staaten offiziell nicht existieren, wie Palästina oder Staaten sich auflösen, wie die ehemalige Sowjetunion. Oder weil Diktaturen den Entzug der Staatsbürgerschaft als Unterdrückungsinstrument nutzen. Es sind Menschen, bei denen sich kein Staat verantwortlich fühlt, ihnen einen Identitätsnachweis auszustellen. Ein Problem, das sich fortsetzt, wenn die Kinder von Staatenlosen wie Christiana Bukalo in die „ungeklärte Staatsbürgerschaft“ geboren werden. Die 30-Jährige arbeitet mittlerweile hauptberuflich für Statefree. Schließlich gibt es genug zu tun. Und wer könnte eindrucksvoller von all den Hindernissen erzählen, die es aus dem Weg zu räumen gilt, als sie, die alle Voraussetzungen für eine ganz normale Jugend in Deutschland gehabt hätte – hätte es nicht das Etikett „ungeklärte Staatsbürgerschaft“ gegeben.