Der Himmel, das große Fragezeichen

Wolken: wunderschön, aber in vielerlei Hinsicht schwer greifbar. ¹⁾
Im Interview mit Bjorn Stevens
Wo Wolken erscheinen luftig und leicht, sind aber echte Schwergewichte im Klimasystem. Das Tückische dabei: Ihre launische Natur macht sie zur großen Unbekannten in den Prognosen zum Klimawandel.
„Wie sieht der Himmel bei Ihnen aus?“, fragt der Klimawissenschaftler Bjorn Stevens während unseres Videogesprächs. Hellblau, ein paar Schleier, stellenweise dichter – gar nicht so leicht zu beschreiben. Und genau das ist sein Punkt: „Wolken sind schwer zu fassen.“
Anders als etwa CO₂, das global gleichmäßig verteilt ist, verändern sich Wolken schnell und auf kleinem Raum. Jede Wolke nimmt ihren Anfang in warmer, feuchter Luft, die aufsteigt. Je höher, desto stärker kühlt sie ab. Dabei kondensiert der Wasserdampf an winzigen Teilchen (Aerosolen) und bildet Tröpfchen oder Eiskristalle. Welche Form die Wolke annimmt, ob sie Regen bringt oder sich schnell wieder auflöst, hängt von zahlreichen Faktoren ab: etwa Temperatur, Luftdruck und Luftzirkulation.
Sonnenschirm und Heizdecke
Wolken haben zwei gegensätzliche Wirkungen auf das Klima: Sie können Sonnenlicht zurückwerfen – das ist der kühlende Albedo-Effekt. Oder sie halten die Wärme auf der Erde – der Treibhauseffekt. Ob Wolken den Temperaturregler hoch- oder runterdrehen, hängt von ihrer Form und wesentlich von ihrer Höhe ab. Hoch liegende Eiswolken wirken stark wärmend, in niedrigen Höhen überwiegt meist der kühlende Effekt.
Wichtig für das globale Klima sind flache, tief liegende Wolken in den Tropen. Dort, wo stetig Passatwinde wehen, bilden sich über dem Ozean helle Wolkenteppiche, die wie ein Spiegel funktionieren und einen relevanten Teil des Sonnenlichts zurück ins All reflektieren. Ihre Wirkung ist kühlend.
Wolken bezeichnet Bjorn Stevens als „Joker“ im Klimasystem: „Wenn sie sich nur ein bisschen verändern, kann das große Folgen haben.“ Ob mehr oder weniger Licht in die Atmosphäre gelangt, entscheidet darüber, wie sehr sich die Erde erwärmt. Kein anderer einzelner Faktor beeinflusst die Energiebilanz der Erde so stark wie die Wolken – und ist gleichzeitig so schwer berechenbar.
Von unten, oben und mittendrin
Doch auch wenn Wolken fragil und flüchtig sind, haben Wissenschaftler inzwischen große Fortschritte bei ihrer Erforschung gemacht. Ein internationales Team, zu dem auch Bjorn Stevens’ Forschungsgruppe gehört, vermisst die tropischen Passatwolken von Barbados aus – und zwar aus drei Perspektiven:
In der Bodenstation bestimmen Laser-Messgeräte beispielsweise die Höhe der Wolken und die Verteilung von Aerosolen.
Flugzeuge erheben Daten in den Wolken und oberhalb von ihnen.
Satelliten liefern auf ihrer Umlaufbahn in regelmäßigen Abständen Momentaufnahmen und dokumentieren so den Lebenszyklus der Wolken.
Aus diesen Einzelperspektiven entsteht nach und nach ein Gesamtbild. Eine Erkenntnis: Anders als in Modellen vermutet, hat die Klimaerwärmung das Auftreten der Passatwolken nicht verringert.
Und wie helfen die in Vermessungsprojekten gewonnenen Daten nun, Klimamodelle noch präziser zu machen? Hier wird Bjorn Stevens grundsätzlich: Klimamodelle sind keine Kristallkugeln. „Es handelt sich nicht um Maschinen, denen wir einfach so vertrauen. Vielmehr sind Klimamodelle ein Werkzeug, das wir einsetzen, um Ideen zu prüfen und Veränderungen besser zu verstehen“, sagt er.
In aktuellen Modellen werden Wolken vereinfacht dargestellt – als Werte, nicht als dynamische Systeme. Oft mit Annahmen, von denen man weiß, dass sie nicht ganz stimmen. Aber es fehlen Alternativen. „Die Erde ist zu komplex, um sie in einem Rechner nachzubauen“, meint Bjorn Stevens.
Diese Erkenntnis scheint ihn nicht zu frustrieren, eher zu beflügeln. Denn wer genau hinschaut, lernt viel über die Welt: Dass sie nicht vollständig vorhersehbar ist. Dass kleine Dinge große Wirkungen haben. Und dass in jeder Wolke ein Stück Schönheit liegt.
Bjorn Stevens – Meteorologe und Klimawissenschaftler
Er leitet die Abteilung „Klimaphysik“ am Max-Planck-Institut für Meteorologie und ist Professor an der Universität Hamburg. Er erforscht, wie Wolken das Klima beeinflussen und auf den Klimawandel reagieren.
Klimamodelle – komplex, aber nicht allwissend
Klimamodelle sind Rechenprogramme, die auf physikalischen Gleichungen basieren. Sie simulieren, wie sich Temperatur, Luftströmungen, Ozeane, Wolken oder Eisbedeckung entwickeln – auf Basis historischer Daten und naturwissenschaftlicher Prinzipien.
Dafür wird die Erde in ein Gitter aus vielen Millionen Zellen unterteilt, in denen die Prozesse berechnet werden. Weil manche Vorgänge kleiner sind als diese Gitterzellen, müssen sie vereinfacht oder geschätzt werden.