Die Grenzgängerin

Berichtet aus Kriegsgebieten: "Man braucht schon eine Mischung aus Vernunft und Wahnsinn, um diese Arbeit zu machen", sagt Sophia Maier. ¹⁾
Im Interview mit Kriegsreporterin Sophia Maier
Für die Kriegsreporterin Sophia Maier gehören Ungewissheiten zur Arbeitsplatzbeschreibung. Dabei gibt es für sie einen Anker: die Erfahrung, dass Würde, Widerstandskraft und Menschlichkeit oft gerade dort zu finden sind, wo Gewalt, Schmerz und Verlust regieren.
Mit ihrer Mutter hat sie eine Vereinbarung. „Wenn ich zum Beispiel in der Ukraine bin, habe ich ihr jeden Abend ein Herz-Emoji geschickt. Damit sie weiß: Es ist alles okay.“ Sophia Maier ahnt, wie schwer es sein muss, das eigene Kind in Krisenregionen wie Syrien, Afghanistan, Gaza oder der Ukraine zu wissen. Aber die 38-Jährige sagt auch, dass der Beruf der Krisen- und Kriegsreporterin für sie irgendwann alternativlos war.
Die gebürtige Münchnerin ist 28, als sie nach ihrem Master in Germanistik, Politik- und Demokratiewissenschaften ein Volontariat im Burda-Verlag beginnt. Schnell hat sie das Gefühl, „nicht am richtigen Platz zu sein“. Es ist der Sommer 2015; zwei Millionen Menschen strömen auf der Suche nach Schutz in die Europäische Union. „Ich wollte mir damals in Griechenland selbst ein Bild von Migration und Flucht machen.“
Sie trifft auf unhaltbare Zustände, auf tiefe Verzweiflung, auf Menschen, die seit Monaten in Zelten hausen, in Schlamm und Dreck, ohne Perspektive. Das habe sie in ihrem Wunsch bestärkt, als Reporterin und Filmemacherin vor Ort und „fernab von Gut-und-Böse-Schubladen Realitäten abzubilden“.
Undercover und investigativ
Sie will Zeugin für das Leid und den Schrecken sein. Ein möglichst vollständiges Bild zeichnen. Alle Seiten hören und sprechen. Dabei geht sie große Risiken ein. Sophia Maier besucht heimlich Flüchtlingslager in Griechenland, ist direkt nach der Machtübernahme durch die Taliban in Afghanistan und undercover in Syrien. In der Ukraine schlagen etwa 100 Meter weiter Raketen ein, als sie mit dem Auto unterwegs ist.
Aber sie arbeitet immer auch in Deutschland investigativ – mit dem Fokus Neue Rechte, Rechtsextremismus und Frauenrechte. Dafür und für ihre Dokumentationen aus Kriegsregionen wird sie vielfach ausgezeichnet. Zuletzt mit dem Constructive World Award in der Kategorie „Universal Empowerment“ für ihre RTL-Reportage „Woher kommt der Frauenhass?“, für die sich Sophia Maier insbesondere mit der Hetze gegen Frauen, die sich gesellschaftlich engagieren, befasst
Schrecken und Solidarität
Wie sie das alles psychisch schafft? Die Gewalt? Die Schrecken? Die Gefahren?
Bei ihrer Arbeit vor Ort in den Krisenregionen helfe ihr, was sie ihren „Funktionsmodus“ nennt. „In der Situation bin ich ganz Reporterin. Ich denke daran, welche Bilder ich drehen und welche Fragen ich stellen will. Erst danach kommen die Emotionen. Manchmal auch Überforderung und Ängste, die ich eigentlich hätte vorher fühlen müssen.“
Vor allem aber seien es die Begegnungen, die sie bestärken, das Richtige zu tun. Selbst im größten Chaos und unter entsetzlichsten Bedingungen trifft sie immer wieder auch auf kleine Feuer der Menschlichkeit. Auf Hoffnung, Würde, Respekt, Großherzigkeit. Ausgerechnet bei jenen, denen oft so wenig davon zugestanden wird. „Das gibt mir unglaublich viel Kraft. Und auch diese Dankbarkeit zu erleben: dafür, dass ich dort bin und Sichtbarkeit schaffe.“ Wie damals im Flüchtlingslager in Idomeni, als ein Mädchen seinen größten Schatz mit ihr teilt: einen Schokoriegel.
Schutzweste und Yogamatte
Trotzdem – irgendwann ist es zu viel. „Ich habe mir vor einer Weile doch eine Auszeit nehmen müssen.“ Seitdem hat Sophia Maier neben der obligatorischen Kriegsreporterinnen-Ausstattung – Schutzweste, Helm – immer eine Yogamatte im Gepäck. „Ich mache jeden Morgen exakt 15 Minuten Yoga. Egal, ob ich gerade im Westjordanland oder in der Ukraine bin.“ Das gebe ihr Halt und Kraft: „Eine Gewissheit im Ungewissen.“
Im Herbst ist ein Buch über ihre Arbeit und ihre Anliegen erschienen: „Herz aus Stacheldraht“. Es ist ein Plädoyer für das, worum es ihr geht: Dass wir hinschauen, mitfühlen, mitdenken und Verantwortung übernehmen.
Daran wird die Journalistin weiterarbeiten. Irgendwann aber, sagt Sophia Maier, „will ich ein Haus am Wasser, mit Bergen und einem Hund“. Einen friedvollen Ort jenseits des Weltgetöses. „Das ist mein Traum.“
Buch-Tipp: Sophia Maier: Herz aus Stacheldraht. Eine Kriegsreporterin über verlorene Menschlichkeit und die Doppelmoral des Westens. Komplett Media, 336 Seiten, 24 Euro