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Wie KI die Medizin verÀndert

Eine Illustration mit einem stilisierten Computerbildschirm auf einem blauen Hintergrund, der ein rotes Herz zeigt, einem grĂŒnen Kreis mit einer Lupe und einem Code-Symbol darin, sowie einem gelben Kreis mit einem schwarzen Umriss eines Gamecontrollers, alle Elemente sind von ĂŒberlappenden, bunten Formen umgeben.

Digitale Anwendungen können bei der Diagnostik von Erkrankungen unterstĂŒtzen.

Ein klĂ€rendes GesprĂ€ch mit der Ärztin oder die BerĂŒhrung eines Pflegers: Wenn wir krank sind, tun menschliche Begegnungen besonders gut, sie sind buchstĂ€blich heilsam. Doch, um sich gut um Patienten kĂŒmmern zu können, brauchen medizinische FachkrĂ€fte vor allem eines: Zeit. Die können digitale Anwendungen verschaffen, indem sie etwa bei der Diagnostik helfen. Oder kann kĂŒnstliche Intelligenz sogar selbst in die Therapeuten-Rolle schlĂŒpfen? 

alverde zeigt drei Praxis-Beispiele

SATURN = DetektivbĂŒro fĂŒr knifflige FĂ€lle

Seltene Erkrankungen sind in der Summe so zahlreich, dass sie ein Viertel aller weltweit vorkommenden Erkrankungen ausmachen. Trotzdem ist der Weg zur Diagnose und damit zu einer angepassten Therapie oft sehr weit. KI soll das in Zukunft Ă€ndern. 

Kennen Sie das Lowe-Syndrom? Die Machado-Joseph-Krankheit? Oder Meckel-Divertikel? Diese und andere der etwa 8.000 sogenannten Seltenen Erkrankungen sind selbst von Experten oft nur mit MĂŒhe zu erkennen. Im Durchschnitt dauert es deshalb fĂŒnf Jahre, bis Betroffene eine Diagnose haben. Michael von Wagner, Ärztlicher Leiter Medizinische Informationssysteme und Digitalisierung an der UniversitĂ€tsmedizin Frankfurt am Main, will das gemeinsam mit Forschern seiner Klinik sowie der TU Dresden Ă€ndern. Und zwar mit dem Projekt „SATURN“ (Smartes Arztportal fĂŒr Betroffene mit unklarer Erkrankung). Das Online-Portal soll mit KI-Methoden eine Verdachtsdiagnose möglichst schon dort geben, wo die Facharzt-Odyssee in der Regel beginnt: in der hausĂ€rztlichen Praxis. „Wir wollen Ärztinnen und Ärzten ein Werkzeug an die Hand geben, das sie in der Diagnostik unterstĂŒtzt und frĂŒhzeitig auf mögliche Seltene Erkrankungen hinweist“, sagt Michael von Wagner. 

Das Entscheidungssystem von SATURN basiert auf medizinischen Leitlinien, Interviews mit klinischen Expertinnen und Experten und einer Falldatenbank. Außerdem wird das System mit dem Versorgungsatlas fĂŒr Menschen mit Seltenen Erkrankungen (se-atlas.de) verknĂŒpft, in dem nicht nur Spezialisten, sondern auch Selbsthilfe-Organisationen verzeichnet sind. 

Ausweitung des Aktionsradius

In der zweijĂ€hrigen Testphase zwischen 2022 und 2024 wurden mit SATURN zunĂ€chst drei Fachgebiete – Hepatologie (Leber, Gallenwege), Pneumologie (Lunge) und Endokrinologie (DrĂŒsen) – abgedeckt. Ein nĂ€chster Schritt wĂ€re, mehr Fachgebiete mit ins Boot zu holen und eine Online-Plattform zu schaffen, die mit der Software der Praxen verbunden ist. Bei den beteiligten Ärztinnen und Ärzten komme SATURN sehr gut an, weil es dort eine spĂŒrbare LĂŒcke schließe, berichtet Michael von Wagner. Bleibt zu hoffen, dass das Portal dann bald auch in großem Maßstab bei der Suche nach der Nadel im Heuhaufen behilflich sein kann. 

Chatbot mit viel Empathie

Werden wir demnĂ€chst einem Chatbot unser Herz ausschĂŒtten? Mit ihm an Ängsten und seelischen Verletzungen arbeiten? Eine aktuelle US-amerikanische Studie legt das nahe. 

Die Nachrichten klangen vielversprechend. Ganz so, als wĂ€re KI kurz davor, den ewigen Mangel an TherapieplĂ€tzen ausgleichen zu können. Forscher der University of Georgia hatten herausgefunden, dass von KI generierte Antworten in fiktiven Paartherapiesitzungen fĂŒr Laien kaum von denen realer Psychotherapeuten zu unterscheiden waren. Johanna Löchner, Professorin fĂŒr Klinische Psychologie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, Friedrich-Alexander-UniversitĂ€t Erlangen-NĂŒrnberg, stellt in der Studie zwar einige methodische MĂ€ngel fest – aber sieht auch vieles, was Hoffnung macht. 

Johanna Löchner forscht selbst zu therapeutischen Chatbots und sagt, die Studie zeige eindrucksvoll, wie stark sich große Sprachmodelle – also KI-Systeme, die Texte verstehen und selbst verfassen können – weiterentwickelt haben. Das sind die eigentlichen News. „Der KI gelingt es immer besser, einen emotionalen Ton zu treffen und empathisch zu wirken, sodass man sich gut verstanden fĂŒhlt.“ 

Der 24/7-Therapeut der Zukunft

GrundsĂ€tzlich hat KI im psychotherapeutischen Kontext durchaus viel Potenzial. Schließlich bringe so ein Chatbot – anders als Menschen – keine eigenen Themen mit in die Therapie. Er sei zudem endlos strapazierfĂ€hig, immer aufnahmebereit, aufmerksam und nie mĂŒde. Und dann können Menschen mit der KI ein GefĂŒhl von Beziehung entwickeln, was eine wichtige Voraussetzung im therapeutischen Prozess ist. 

„Es gibt aber noch viel zu viele Unbekannte in dieser Vision, um sich jetzt schon sorglos auf die KI-Therapeuten-Couch legen zu können“, sagt Johanna Löchner. Sie betreffen auch und vor allem die Sicherheit. „Wir wissen zum Beispiel nicht, wie sich KI in einer GefĂ€hrdungslage verhĂ€lt. Wenn etwa jemand nach einer Möglichkeit sucht, sich das Leben zu nehmen. Wird die KI dann empathisch und zugewandt sagen: ‚Oh, das verstehe ich sehr gut‘ und ein paar Methoden vorschlagen?“ 

Es sei noch ein weiter Weg bis zum voll einsatzfĂ€higen, zuverlĂ€ssigen Chatbot-Therapeuten – aber dennoch lohne sich die Forschung, so die Expertin. Schließlich könne KI in Zukunft nicht nur dabei helfen, psychische Probleme zu lösen, sondern auch einige der Psychotherapie. „Wir haben viel mehr TherapiebedĂŒrftige als PlĂ€tze.“ KI könne Menschen mit Bedarf niedrigschwellig und auch frĂŒhzeitig erreichen und wĂ€re außerdem rund um die Uhr ansprechbar. Ob man sich dann auch auf sinkende Scheidungsquoten freuen darf? Fragen Sie doch einfach mal ChatGPT. 

Nerven-TÜV = Ein Spiel mit Tiefgang

Diabetes ist mehr als ein aus dem Takt geratener Blutzucker. Die Stoffwechselstörung begĂŒnstigt verschiedene andere Krankheiten. Ein Team der UniversitĂ€tsklinik Magdeburg will diesen Folgen zuvorkommen – mit einer Methode, die fĂŒr Patienten spielend einfach ist. 

Auf dem Bildschirm rollt ein Ball durchs Spielfeld. Mit den FĂŒĂŸen, die in mit Sensoren ausgestatteten Pantoletten stecken, soll er an Hindernissen vorbeimanövriert werden: einfach, indem man mit der Fußsohle an verschiedenen Stellen Druck ausĂŒbt. Ein simples Computerspiel mit Spaßfaktor – bei dem gleichzeitig eine KI Hunderte verschiedene, sehr subtile Bewegungsmerkmale auswertet. Vier Spiele, die in zwölf Minuten absolviert sind, umfasst der sogenannte „Nerven-TÜV“

Entwickelt haben ihn Professor Dr. Peter Mertens und sein Team an der UniversitĂ€tsklinik fĂŒr Nieren- und Hochdruckkrankheiten, Diabetologie und Endokrinologie in Magdeburg. 

Drei Risiken im Blick

Wie schnell und geschickt ein Spielender seine FĂŒĂŸe einsetzt, ermöglicht RĂŒckschlĂŒsse auf drei zentrale Risiken: eine Polyneuropathie, also eine NervenschĂ€digung, durch die das GefĂŒhl in den FĂŒĂŸen verloren geht. Eine beginnende kognitive BeeintrĂ€chtigung – denn Unterzuckerung kann das Demenzrisiko erhöhen. Und nicht zuletzt: eine erhöhte Sturzneigung, die besonders fĂŒr Ă€ltere Menschen gefĂ€hrlich ist. 

„Das Spiel bringt Ergebnisse, die sich aus GesprĂ€chen oder einfacher Beobachtung so nicht gewinnen lassen“, sagt Peter Mertens. Der „Nerven-TÜV“ filtert gezielt diejenigen heraus, bei denen ein genauerer Blick notwendig ist – und unterstĂŒtzt HausĂ€rztinnen und -Ă€rzte in der Entscheidung, ob weiterfĂŒhrende Untersuchungen und Therapien sinnvoll sind. 

Die zugrunde liegende Studie mit rund 800 Patienten ist bereits publiziert – die Resonanz der Forscherkollegen positiv, das Interesse der Diabetiker-Community groß. Erste Hausarztpraxen im Magdeburger Raum testen die Spiele im Praxisalltag. Auch wenn eine offizielle Zulassung als Medizinprodukt noch Zeit braucht, gibt es bereits Anfragen von Herstellern. Die Hoffnung: dass aus einem simplen Spiel bald ein gĂ€ngiges UnterstĂŒtzungssystem fĂŒr viele Praxen wird.