Ein Stück Freiheit auf Rädern

Kleine Ausfahrt – große Freiheit für Gertraud Mütze (vorne rechts) und Edith Stecher (vorne links). ¹⁾
Radeln ohne Alter
Ausflüge statt Alltagstrott: Der Verein Radeln ohne Alter bietet Dresdner Seniorinnen und Senioren Fahrten mit der E-Rikscha an. Die Initiative will Mobilität fördern und soziale Kontakte stärken.
Vor dem Eingang einer Tagespflege im Dresdner Osten stehen zwei Damen. Die grauen Haare ordentlich gelegt, Blusen und Hosen frisch gebügelt, eine hält einen Sonnenhut in der Hand. Gertraud Mütze, 87, und ihre Freundin Edith Stecher, 88, warten auf den Beginn ihrer Reise. Mit der orange-schwarzen E-Rikscha soll es heute zum nahegelegenen Stausee in der Dresdner Heide gehen.
Sicher Fahrt aufnehmen
„Komm rein, meine Kleine“, sagt Gertraud Mütze wenige Minuten später und reicht der Freundin die Hand. Edith Stecher trägt eine Brille mit gelb getönten Gläsern, sie ist fast blind. Rikschapilotin Susanne Schneider, 53, verstaut die Gehstöcke hinter der Bank und macht die Sicherheitsstange auf Hüfthöhe fest. „Da fühlt man sich sicher“, sagt Edith Stecher. Ein Lächeln huscht über ihre Gesichter. „Das ist so gut für die Seele“, sagt ihre Freundin. „So weit kommen wir ja sonst nicht raus.“
Die Ausflüge organisiert der Verein „Radeln ohne Alter“ in Dresden. Ehrenamtliche Fahrerinnen und Fahrer holen ältere Menschen ab und bringen sie an ihren Wunschort. Noch einmal Wind im Gesicht spüren, Geschwindigkeit fühlen, ein kleines Abenteuer erleben.

Picknick unterwegs: Stilvolle Pause mit Tee und Keksen. ¹⁾
Die Idee kam aus Dänemark
Für Vereinsgründerin Susanne Schneider gehört Radfahren seit jeher zum Alltag. Schon als Studentin trat sie bei ihrer ersten Tour nach der Wende von München bis nach Rom in die Pedale. Als ihr die Bilder von Rikschafahrten für Senioren begegneten, war sie sofort begeistert. Die Idee stammt aus Kopenhagen, wo 2009 der erste Verein gegründet wurde. 2019 folgte der erste deutsche Standort in Bonn. Im Januar 2025 schließlich gründete Susanne Schneider mit neun Nachbarn den Dresdner Verein. Er versteht sich als Teil einer Fahrradkultur, die in Dresden mehr Raum fordert.
Der Weg führt an diesem Tag über eine Schotterpiste durch den Wald. Nach 15 Minuten erreichen sie den Stausee. Am Ufer steht eine Holzhütte mit Tisch und Bänken. Susanne Schneider legt Sitzpolster aus, holt eine Thermoskanne und Tassen – und eine Dose mit selbstgebackenen Keksen in Rikschaform.
„Wir haben früher oft hier in der Hütte gesessen“, erinnert sich Gertraud Mütze und greift zu. Sie wohnt in der Nähe, trotzdem war sie viele Jahre nicht hier. „Erst hatte ich einen Schlaganfall, dann bin ich gestürzt. Irgendwann habe ich mich einfach nicht mehr auf das Fahrrad getraut.“
Susanne Schneider hilft Gertraud Mütze aus der Rikscha zu kommen. ¹⁾
Hier ist Musik drin
Susanne Schneider holt ihre Outdoor-Querflöte aus der Tasche. Sie ist Musikerin im MDR-Sinfonieorchester. Über dem Wasser erklingt „Bunt sind schon die Wälder“. Edith Stecher summt mit.
Kurze Zeit später braust die Rikscha schon wieder einen Hügel hinunter. „Wir sind jetzt bei fast 20 Stundenkilometern“, ruft die Fahrerin. Vorne jauchzen die beiden Damen.
Die Fahrten sind kostenlos, Spenden willkommen. „Wir sind kein Service, sondern ein Angebot, bei dem die Begegnung im Vordergrund steht“, erklärt Susanne Schneider.
Nach zwei Stunden und gut elf Kilometern endet die Tour. Zum Abschied umarmen sich die drei Frauen. „Ich werfe Ihnen ein Zettelchen in den Briefkasten, wenn wir mal wieder raus wollen“, sagt Gertraud Mütze. „Machen Sie das“, antwortet Susanne Schneider. „Ich fahre Sie, wohin Sie wollen.“
Starthilfe von nebenan
„Radeln ohne Alter“ in Dresden ist eine von 20 Initiativen, die von der nebenan.de Stiftung in diesem Jahr im Ideenwettbewerb „Klimaschutz nebenan“ ausgezeichnet wurde. Das Preisgeld von 1.000 Euro will der Verein zur Finanzierung einer weiteren Rikscha nutzen.
Weitere Informationen findest Du hier: nebenan-stiftung.de