Sie möchte selbstbestimmt und frei leben

„Ich habe nie geplant, Aktivistin zu werden. Ich wollte nur meiner Arbeit als Wissenschaftlerin nachgehen“, sagt Encieh Erfani. © Katharina Dubno
Encieh Erfani wagte den Neuanfang in Deutschland
Die iranische Physikerin Encieh Erfani setzt sich für Freiheit und Menschenrechte in ihrem Land ein und muss dafür einen hohen Preis zahlen.
„Women, Life, Freedom“ lautet der Slogan, mit dem vor zwei Jahren Tausende Menschen auf Irans Straßen protestieren. Tage, die das Leben der iranischen Physikprofessorin Encieh Erfani verändern. Im September 2022 stirbt die 22-jährige Iranerin Mahsā Amīni nach brutaler Polizeigewalt, nachdem die Sittenpolizei sie wegen vermeintlich unsachgemäß getragenem Hijab verhaftet.
Eine Kündigung mit Folgen
Nicht nur die Proteste für Frauen- und Freiheitsrechte werden nach dem Vorfall laut, auch iranische Studentinnen und Studenten beschweren sich öffentlich, dass Professorinnen und Professoren nicht ihre Stimme erheben. Das möchte die Kosmologin Encieh Erfani, die sich seit Jahren für Gleichberechtigung einsetzt und als erste Frau in die „Iranische Gesellschaft für Astronomie“ gewählt wurde, nicht hinnehmen. Sie kündigt ihre Professur an der Universität in Zanjan. Ihre E-Mail mit den Worten „… solange diese ins Blut meiner Mitbürger getränkte Regierung besteht, trete ich von meinem Amt als Dozentin zurück. In der Hoffnung auf Freiheit“ geht auf Social Media viral.
Für sie ist klar: Sie hätte Mahsā Amīni sein können. Encieh Erfani nimmt ihr Hijab ab, wenn sie im Ausland Konferenzen besucht, und ist in ihrem LinkedIn-Profil ohne Hijab zu sehen. Sie nimmt damals bewusst in Kauf, dass sie dafür jederzeit hätte eine Kündigung erhalten können. „Bereits zu Beginn meiner Karriere stellte ich fest, dass für akademische Freiheit an der Universität im Iran kein Platz war“, erzählt sie. „Im Kollegium sollten wir nicht über Politik, Religion, Gleichstellung oder die Zukunft des Landes diskutieren.“ Hoffnung setzt sie auf die junge Generation: Durch Social Media sieht sie mehr von der Welt und stellt das politische System zunehmend infrage.
Neustart mit Hürden
Heute steckt die 42-Jährige im Exil fest. Seit 30 Monaten. Encieh Erfani weiß es auf den Tag genau. Kurz nach ihrer Kündigung erhält ihre Familie einen Anruf des iranischen Geheimdienstes. Encieh Erfani, die zu diesem Zeitpunkt auf einer Konferenz in Mexiko ist, entscheidet sich, nicht mehr in ihre Heimat zurückzukehren, die sie so für ihre Kunst, Literatur und Musik liebt. „Jetzt war ich aus Sicht der iranischen Politik eine Feindin. Ich bin mir sicher, dass ich direkt am Flughafen verhaftet worden wäre“, sagt sie. Rückblickend wäre ihr dieses Szenario manchmal fast lieber. Sie bereue nicht, ihre Stelle gekündigt zu haben. Aber sie bedaure, nicht zurückgekehrt zu sein. „Von außen mag es so wirken, als wäre ich jetzt frei, aber mental bin ich das nicht“, sagt sie offen.
Die Familie fehlt, und die Jobsuche gestaltet sich schwieriger als gedacht. Trotz ihrer hohen Qualifikation bekommt sie keine Arbeitserlaubnis. In Deutschland, wo sie vor Jahren auch ihre Doktorarbeit schrieb, arbeitet sie jetzt an der Universität Mainz. Doch das Stipendium läuft aus, und für einen Forschungsauftrag in Kanada fehlt noch die Einreiseerlaubnis. Ein Start in ein neues Kapitel wird der mutigen Frau aufgrund bürokratischer Hürden und ihres Herkunftslandes schwer gemacht.
Blick in die Sterne
Als Kind hat Encieh Erfani am liebsten vom Balkon ihrer Großeltern die Sterne beobachtet. Heute erinnert sie der Blick in den Himmel daran, wie viele Milliarden von Galaxien es da draußen gibt und was für ein Wunder es ist, dass wir auf dem Planeten Erde leben können. Wenn sie einen Wunsch ins Universum schicken könnte, wäre es, dass Menschen in demokratischen Ländern ihre Stimme erheben und Menschen nicht unterscheiden. „Es ist völlig egal, wo wir geboren sind, welche Sprache wir sprechen oder welches Geschlecht wir haben – wir sollten uns gegenseitig unterstützen“, sagt sie.