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Wie sieht gute Entwicklungszu-
sammenarbeit aus? 

Menschen bei einer Versammlung

Bettina Iseli von der Welthungerhilfe auf Projektbesuch in Nepal (links) und in Jemen (rechts). © Welthungerhilfe

Forschende diskutieren über Erfolge, Korruption und neue Ansätze

Die Entwicklungszusammenarbeit steht in der Kritik. Experten bemängeln fehlende Nachhaltigkeit und die Korruption in Empfängerländern, speziell in Afrika. Aber wie sieht gute Entwicklungsarbeit aus? Darüber diskutieren Bettina Iseli, Vorständin Programme der Welthungerhilfe, und der Völkerrechtler Dr. Gerd Hankel.

alverde: Wie sind Sie beide zur Entwicklungszusammenarbeit gekommen? 
 
Gerd Hankel: Ich war vor über 20 Jahren das erste Mal in Afrika und befasste mich mit dem Völkermord in Ruanda. In diesem Kontext lernte ich die Demokratische Republik Kongo kennen. Den Widerspruch zwischen meiner abgesicherten Existenz und dem Elend vor Ort habe ich nur schwer ausgehalten, sodass ich mit anderen in Deutschland eine Vereinigung gründete, die versucht, etwas zu ändern. 

Bettina Iseli: Auf meiner ersten Reise in den Globalen Süden sah ich in Bolivien eine erschreckende Ungerechtigkeit: In der Hauptstadt La Paz leben auf der Hochebene des Altiplano die Ärmeren, unten im Kessel stehen die Villen der Reichen. Ich habe mich gefragt: Wie können die Menschen mit dieser Ungleichheit leben? Und dann habe ich gemerkt, dass ich, global gesehen, genau das auch tue: Wir leben in einem reichen Land, während gleichzeitig andere auf der Welt in Armut leben müssen. Ich wollte meine Energie dafür einsetzen, die Ungerechtigkeit und Ungleichheit auf der Welt zu verringern. 

alverde: James Shikwati, ein bekannter Ökonom aus Kenia, sagt, Entwicklungshilfe mache die Menschen in Afrika abhängig und lähme ihren Initiativgeist. Was ist dran an der Kritik, die auch aus dem Globalen Süden kommt? 
 
Bettina Iseli: Die Kritik ist nicht unberechtigt, trotzdem darf man die Erfolge der Entwicklungsarbeit nicht übersehen. Die Kindersterblichkeit hat sich seit den 1990er-Jahren halbiert. Die Zahl der Hungernden hat sich seit 1990 um 200 Millionen Menschen verringert. Gleichzeitig haben Millionen Menschen die Chance erhalten, die Lebenssituation ihrer Familien und Gemeinden zu verbessern. Das gilt insbesondere für Frauen und Mädchen. Jedes zusätzliche Schuljahr für sie erhöht ihr späteres Einkommen um 20 Prozent. 

Gerd Hankel: Manche fordern, Entwicklungshilfe ganz zu beenden, dann werde alles besser. Das klingt zunächst mal gut, weil Abermilliarden Dollar nach Afrika geflossen sind mit, je nach Sichtweise, bescheidenem Erfolg. Es wird aber sehr schwierig für Empfängerstaaten, ihre Probleme in kürzester Zeit selbst zu lösen. Ich stimme jedoch zu, dass es Druck auf manche afrikanische Regierung braucht, um funktionierende Staatswesen aufzubauen, mit einem gerechten Steuersystem, Kranken- und Rentenversicherung. Afrika ist aufgrund natürlicher Ressourcen ein reicher Kontinent. Doch die Erträge aus diesem Reichtum teilen die einheimischen Eliten unter sich auf. 

alverde: Peter Eigen, ehemaliger Weltbank-Direktor für Ostafrika und Gründer von Transparency International, sagte einmal, die Korruption sei das eigentliche Entwicklungshemmnis Afrikas. Haben Sie Erfahrung mit Korruption gemacht? 
 
Gerd Hankel: Korruption ist in Subsahara-Afrika von Guinea bis Burundi ein riesiges Problem, nicht nur an der Spitze des Staates, sondern überall: bei Militär und Polizei bis runter in das kleinste Dorf. Das liegt daran, dass einheimische Eliten, die durch Bodenschätze hohe Einnahmen haben, ihre Bevölkerung nicht daran teilhaben lassen. So nimmt sich jeder, was er kriegen kann. Ein Beispiel: Wir haben eine Schule eingerichtet. Dann kam jemand von der Schulbehörde und behauptete willkürlich, Schulräume müssten fünf mal sechs Meter groß sein. Er stellte uns vor die Alternative, zu zahlen oder den Bau zu stoppen. 

Bettina Iseli: Die Welthungerhilfe orientiert sich am Welthungerindex. Der ist fast deckungsgleich mit dem globalen Korruptionswahrnehmungsindex. Die Welthungerhilfe stellt sich dem Problem, und wir haben mit unserer Arbeit eine Vorbildfunktion: Wir schulen unsere Mitarbeitenden, haben in jedem Projekt Beschwerdemechanismen und stehen für null Toleranz. Es ist uns wichtig, dass die Menschen unsere Haltung kennen. Das bedeutet, um in Ihrem Beispiel zu bleiben, Herr Hankel, dass der Schulbau nicht zustande kommt. 

„Man darf die Erfolge der Entwicklungsarbeit nicht übersehen.“ Bettina Iseli

Gruppe von Menschen im Freien

Der Völkerrechtler Gerd Hankel fördert Projekte in der Provinz Sud-Kivu in der Demokratischen Republik Kongo. © Welthungerhilfe

alverde: Kritisiert werden hohe Personal-, Verwaltungs- und Reisekosten von Entwicklungsorganisationen. 
 
Gerd Hankel: Entwicklungshilfe hat mitunter den Charakter eines Business angenommen. Die Experten aus der nördlichen Hemisphäre haben vor Ort häufig ein schönes Haus, ein Auto und Hauspersonal, sie erhalten ein fürstliches Gehalt und fliegen Business-Class. Wir sind ein kleiner, übersichtlicher Verein. Wir achten darauf, dass die Gelder möglichst eins zu eins bei unseren Projekten ankommen. 

Bettina Iseli: Wir gehen transparent mit unserem Aufwand um. Die Aufwendungen für Verwaltung betragen 2,2 Prozent, für Werbung und allgemeine Öffentlichkeitsarbeit 3,8 Prozent. Rund 91 Prozent unseres Gesamtbudgets fließen in unsere Projekte. 

alverde: Ist das Denken in Entwicklungshilfe nicht überholt? Müssten nicht Arbeitsplätze geschaffen werden, um Menschen nachhaltig aus der Armut zu holen? 
 
Bettina Iseli: Genau hier setzt unsere Arbeit an. Wir begreifen uns als Partner, der mit den Menschen vor Ort, lokalen Partnerorganisationen und oft auch staatlichen Stellen auf Gemeindeebene den besten Weg entwickelt, um die Ernährungslage zu verbessern und Einkommensmöglichkeiten zu schaffen. Dazu gehören auch berufliche Ausbildungsprogramme für Jugendliche, an denen in den letzten zehn Jahren rund 100.000 junge Menschen teilnahmen. 

Gerd Hankel: Darum spricht man heute von Entwicklungszusammenarbeit. Man kann das angesichts der tatsächlichen Umstände für einen Euphemismus halten, aber der Begriff ist nun mal in der Welt. Zusammenarbeit bedeutet, dass es einen Prozess des Gebens und Nehmens gibt. Man agiert auf Augenhöhe. 

alverde: China baut im Globalen Süden Flughäfen, Eisenbahnstrecken und Tiefseehäfen und sichert sich im Gegenzug privilegierten Zugang zu Rohstoffen. Es verfolgt strikt wirtschaftliche Interessen. Ist das der richtige Weg, um Armut und Hunger zu beseitigen? 
 
Bettina Iseli: Wir sollten anerkennen, dass Entwicklungszusammenarbeit den Grundstein für Stabilität und Wohlstand auch bei uns legt. Die wirtschaftliche Entwicklung in den Ländern des Globalen Südens liegt auch in unserem Interesse, denn wir sind eine Exportnation. Aber die Voraussetzung sind Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit. Genau hier hapert es an vielen Stellen in der Zusammenarbeit mit China oder auch Russland.
 
Gerd Hankel: Nein, das ist nicht der richtige Weg. China kümmert sich nicht um die Gegebenheiten vor Ort. Es geht nur und ausschließlich um den Profit. Auf fatale Weise kooperiert China mit lokalen Eliten, denen es ebenfalls nur um Machtsicherung und Profit geht. Die lokale Bevölkerung hat nichts von den Projekten. Das ist sehr zynisch. 

alverde: Es heißt, der Westen verliere an Einfluss in der Welt. Werden die Menschen vor Ort kritischer, was Ihre Arbeit angeht? 
 
Bettina Iseli: Es gibt viele Länder, deren Regierungen es schätzen, dass wir einen Beitrag zur Ernährungssicherheit leisten. Es wächst aber auch die Skepsis. Es wird gefragt: Wer sind die? Was legitimiert sie? Der Spielraum für zivilgesellschaftliche Organisationen wird enger. 

Gerd Hankel: Bis vor Kurzem gab es keine Probleme. Jetzt fängt die Demokratische Republik Kongo an, nach dem Vorbild Russlands NGOs zu überprüfen. Wir müssen uns registrieren und die Inhalte dessen, was wir machen, offenlegen. Bürokratie ist in Afrika eine elegante Art, jemandem die Grenzen aufzuzeigen. Über allem schwebt das Damoklesschwert, dass die Behörden ein Projekt jederzeit beenden können. Es kümmert sie nicht, wenn Hunderte Kinder keine Schule mehr haben. Versöhnungsprozesse werden begrüßt. Ich habe dazu in Ruanda mehrere Veranstaltungen mit dem Auswärtigen Amt ausgerichtet. Wenn es um Menschenrechte, Freiheit und Demokratie geht, bekommen Sie Probleme. Am liebsten ist es den Regierenden, wenn man rein technische Projekte macht. Sobald es um Werte und Inhalte geht, kann es schwierig werden. 

„Entwicklungshilfe hat mitunter den Charakter eines Business.“ Gerd Hankel

alverde: Ein Vorwurf lautet, dass teure Entwicklungsprojekte im Sand verlaufen, wenn die Geber sie nicht endlos weiterfinanzieren. 
 
Gerd Hankel: Da ist was dran. Sie sehen beinahe an jeder Straße in Subsahara-Afrika Hinweise auf Projekte, die verschwunden sind. Unser Prinzip lautet daher Ownership. Die Leute vor Ort müssen die Sache zu ihrer machen. 

Bettina Iseli: Wir achten heute mehr als früher darauf, die Menschen als lokale Change Agents, Veränderungs-Manager, einzubinden, um die Nachhaltigkeit der Projekte sicherzustellen. Gut veranschaulichen lässt sich das am Beispiel Wasser: Früher baute man einfach einen Brunnen. Heute fragen wir die Betroffenen: Wo kam das Wasser bislang her? Können die Einheimischen einen finanziellen Beitrag leisten? Wir sind besser darin geworden, den Menschen zuzuhören. 

alverde: Entwicklungszusammenarbeit soll jetzt auch mithelfen, den Klimawandel und Fluchtursachen zu bekämpfen. Kann sie das leisten? 
 
Bettina Iseli: Unsere Arbeit ist kein Allheilmittel. Sie kann Chancen und Perspektiven eröffnen. Sie kann das selbstbestimmte Leben der Menschen fördern. Sie kann humanitäre Nothilfe leisten. Aber Klimawandel und Kriege, beides Hauptursachen für Hunger, sind Themen, die nur politisch gelöst werden können. Das Thema Flucht müssen wir in die richtige Perspektive rücken. Knapp 120 Millionen Menschen sind auf der Flucht, zwei Drittel davon innerhalb ihres Landes. Von dem einen Drittel, das über die Grenze flüchtet, halten sich 70 Prozent in Nachbarländern auf. 

Gerd Hankel: Ich bin skeptisch, was hier die Möglichkeiten der Entwicklungszusammenarbeit angeht. Die Bevölkerung in Afrika wird sich in den nächsten 25 Jahren verdoppeln. Die Probleme werden größer. 50 Prozent der Bevölkerung in Afrika sind jünger als 20. Sie suchen eine Perspektive, die nicht geboten wird, weil ihre Staaten weitgehend versagen. Die Neigung, sich in den Norden in Bewegung zu setzen, wenn man eine gewisse Bildung erfahren hat, wird groß bleiben. Wie wir das Problem mit den bisherigen Mitteln lösen wollen, weiß ich nicht. Weitermachen wie bisher ist jedenfalls keine gute Option. 

alverde: Wir haben viel über Kritik und Probleme gesprochen. Gibt es Beispiele, die zeigen, dass Entwicklungsarbeit nicht umsonst ist? 
 
Bettina Iseli: In Malawi haben wir dazu beigetragen, dass Wasser-, Sanitär- und Hygieneversorgung jetzt Priorität für die Regierung haben. Die Welthungerhilfe arbeitet mit lokalen Behörden und Gemeinschaften in mehreren Distrikten an Haushaltsplänen, um mehr Menschen einen Zugang zu sauberem Trinkwasser zu ermöglichen. In Uganda haben wir Green Colleges gegründet. Hier erhalten Jugendliche eine fundierte Ausbildung in nachhaltiger Landwirtschaft, die ein eigenes Einkommen ermöglicht. Das sind nur zwei Beispiele, die auch in schwieriger Zeit Mut machen. 

Gerd Hankel: Eine unserer landwirtschaftlichen Frauenkooperativen im Ostkongo arbeitet heute autonom und erwirtschaftet einen Überschuss, der in die Kooperative reinvestiert werden kann. Sie hat den Vorteil, nah an der Stadt Bukavu zu liegen, wo es einen großen Markt gibt. Die Kooperative 70 Kilometer entfernt von der Stadt tut sich schwerer, da die Verkehrswege fehlen, um Waren zügig von A nach B zu bringen. Daran sieht man, wie viel noch zu tun ist, um die ländlichen Gebiete zu entwickeln. 

  1. Bettina Iseli, Vorstandsmitglied Welthungerhilfe

    Seit Februar 2024 leitet die erfahrene Entwicklungshilfe-Managerin den Vorstandsbereich Programme der Welthungerhilfe. Sie verantwortet derzeit 630 Projekte in 36 Ländern der Erde. © Christoph Papsch/Welthungerhilfe

  2. Dr. Gerd Hankel, Völkerrechtler

    Durch seine Beschäftigung mit dem Völkermord in Ruanda lernte er viele afrikanische Länder kennen. 2020 erschien sein Buch „Das Dilemma. ‚Entwicklungshilfe‘ in Afrika“. Er ist Vorsitzender der Initiative Kongo e. V. © Gerd Hankel/privat