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Eigenverantwortung für die Gesundheit

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Jugendliche trinken viel und brauchen das um Spaß zu haben. ¹⁾

Interview mit Bas Kast, Wissenschaftsjournalist, und Dr. Johannes Nießen, Mediziner

Unser Lebensstil trägt mit dazu bei, dass aus einer längeren auch eine möglichst unbeschwerte Lebenszeit wird. Wie wir klarer erkennen, was uns guttut und was es braucht, tatsächlich danach zu handeln, darüber diskutieren Bestseller-Autor Bas Kast und der Mediziner und kommissarische Leiter des Bundesinstituts für Öffentliche Gesundheit, Johannes Nießen.

alverde: Herr Nießen, Sie arbeiten seit Langem in der Gesundheitsförderung und Prävention. Was muss aus Ihrer Sicht passieren, damit Eigenverantwortung tatsächlich funktionieren kann? 

Johannes Nießen: Gesundheitskompetenz ist der Schlüssel. Menschen müssen verstehen, was gesund ist, aber sie brauchen auch die richtigen Rahmenbedingungen, um gesund leben zu können. In der Fachsprache reden wir von „Verhaltensprävention“ und „Verhältnisprävention“. Es bringt wenig, wenn wir ständig sagen: „Bewegt Euch mehr!“, aber gleichzeitig Städte so planen, dass es kaum sichere Radwege gibt. Oder wenn gesunde Lebensmittel teurer sind als hochverarbeitete Snacks. Eigenverantwortung funktioniert nur, wenn die Gesellschaft sie auch unterstützt. 

alverde: Ein häufiger Vorwurf an gesundheitsbewusst lebende Menschen lautet: Sie seien Spaßbremsen oder übertriebene Selbstoptimierer. Herr Kast, was entgegnen Sie? 

Bas Kast: Das ist ein Reflex, der mir oft begegnet. Es gibt vielleicht einige Influencer, die es übertreiben, oder exzentrische Milliardäre, die nicht sterben wollen. Aber wenn in Deutschland über die Hälfte der Menschen übergewichtig ist, hat es nichts mit Selbstoptimierung zu tun, auf seine Ernährung zu achten. Als ich Interviews zu meinem jüngsten Buch über Alkohol gegeben habe, wurde ich irgendwann immer gefragt: „Aber was ist mit dem Genuss?“ Ich glaube, Genuss ist hier der falsche Begriff, es geht nicht um den Geschmack von Alkohol, sondern um die Wirkung, auf die viele nicht verzichten wollen. In den 50er-Jahren fiel Rauchen auch noch in die Kategorie „Das wird man sich doch gönnen können“. Heute sagt das niemand mehr. Bei Alkohol oder Ernährung ist das noch anders. Dabei sprechen wir hier von Dingen, die massiven Einfluss haben: auf unser Wohlbefinden, unsere Lebenserwartung und unser Risiko für Krankheiten. 

Johannes Nießen: Ja, in der Tabakprävention hat sich das Mindset komplett gedreht. Kampagnen haben vermittelt, dass Rauchen nicht mehr cool ist, gleichzeitig wurden Zigaretten teurer, ihr Verkauf und Konsum eingeschränkt. Man kann das nicht eins zu eins auf Alkohol übertragen, aber in diese Richtung muss es gehen. 

„Eigenverantwortung funktioniert nur, wenn die Gesellschaft sie auch unterstützt.“ Johannes Nießen

alverde: Herr Kast, was hat Sie dazu bewogen, Ihren Lebensstil zu ändern und verschiedene Bereiche der Gesundheit so akribisch zu durchdringen? 

Bas Kast: Ich hatte lange nicht über meine Ernährung nachgedacht, bis ich mit Ende 30 plötzlich Herzstolpern bekam. Gleichzeitig lief meine ältere Schwester mir beim Joggen einfach davon. Ich begann zu recherchieren und stellte meine Ernährung auf eine pflanzenbetonte, frische Kost um. Ich hatte früher oft Kopfschmerzen, immer eine Packung Aspirin dabei. Nach zwei Wochen der Ernährungsumstellung waren sie verschwunden. Wir gewöhnen uns oft an Beschwerden, die nicht normal sein sollten, wie Rückenschmerzen, Bluthochdruck oder Erschöpfung. Mit dem „Ernährungskompass“ wollte ich andere Leute motivieren, sich ebenfalls mit dem Thema zu beschäftigen. Mein Ansatz war und ist, den Stand der Wissenschaft wiederzugeben und genau und anschaulich zu erklären, was bestimmte Stoffe im Körper auslösen. 

alverde: Aber wie erreicht man Menschen, die diese Wissenschaftsbegeisterung nicht teilen und durch einen eher rationalen Ansatz nicht abgeholt werden? 

Johannes Nießen: Häufig hat ein ungesunder Lebensstil nichts mit geringer Begeisterung an wissenschaftlichen Fakten zu tun, sondern vielmehr mit Lebensstil und sozialen Faktoren. In Armut lebende Menschen haben eine deutlich geringere Lebenserwartung: Männer aus sozial benachteiligten Verhältnissen leben im Schnitt neun Jahre kürzer als Wohlhabendere, bei Frauen sind es vier Jahre. Diese sozialen Ungleichheiten müssen wir erst einmal reduzieren. Gleichzeitig setzen wir verstärkt auf klare Botschaften – zum Beispiel in sozialen Medien – und versuchen, gesunde Strukturen in Schulen, Kitas und Kommunen zu etablieren. Der Kooperationsverband „Gesundheitliche Chancengleichheit“ vermittelt Kommunen beispielsweise Kompetenzen, um alkoholfreie Sportveranstaltungen durchzuführen und ausgewogenes Essen und gute Bewegungsangebote in Kitas und Schulen einzuführen. 

Bas Kast: Was wir uns auch klarmachen müssen: Wir sind nicht „disziplinlos“, sondern leben in einer Umwelt, in der sich unsere Instinkte gegen uns wenden. Zehntausende Jahre hat es Sinn gemacht, jede Kalorie zu speichern und jede Gefahr zu meiden. Heute leben wir im Überfluss und können immer in unserer Komfortzone bleiben. Alles wird zurückgeworfen auf die Willensstärke des Einzelnen, etwa nicht zum Schokoriegel zu greifen oder sich trotz Regen aufs Fahrrad zu setzen. Verständlich, dass das vielen Menschen erst mal schwerfällt. Aber umso mehr dürfen wir uns auf die Schulter klopfen, wenn wir es schaffen, den Versuchungen zu widerstehen. 

„Wenn in Deutschland über die Hälfte der Menschen übergewichtig ist, hat es nichts mit Selbstoptimierung zu tun, auf seine Ernährung zu achten.“ Bas Kast

alverde: Fördert unser Gesundheitssystem denn genügend Eigenverantwortung? 

Johannes Nießen: Wir haben ein leistungsstarkes System, aber fördern zu wenig ein gutes Körperbewusstsein. Es geht in Arztpraxen und auch bei der Selbstmedikation zu oft nur um die Symptombekämpfung: Man bekommt das Schmerzmittel für Kopf oder Rücken, aber die Frage nach den eigentlichen Ursachen wird nicht gestellt. Und leider werden Ärzte für gesundheitliche Beratung aktuell auch schlecht honoriert. Krankenkassen belohnen Vorsorgeuntersuchungen mit Bonusprogrammen, aber das allein reicht nicht. Gesundheitsförderung und Prävention dürfen keine Nischenthemen sein. Sie müssen Teil der Stadtplanung, der Schulbildung und der Wirtschaftspolitik sein. Mit unserem neuen Institut für Öffentliche Gesundheit wollen wir eine solide Datenlage schaffen: Für 378 Kommunen soll man zukünftig abrufen können, wie die Lage etwa bei Krebs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist. So können die Verantwortlichen vor Ort zielgerichtet handeln. 

alverde: Was ist Ihr wichtigster Rat, um Eigenverantwortung für die Gesundheit zu stärken? 

Bas Kast: Man sollte lernen, sich nicht nur im Moment zu betrachten, sondern sich zu fragen: „Wie fühle ich mich in einer Stunde oder in fünf Jahren?“ Diese langfristige Perspektive hilft enorm. 

Johannes Nießen: Für mich bedeutet es, immer wieder Chancen zu eröffnen. Wer heute nichts an seiner Ernährung ändern will, bekommt vielleicht in ein paar Jahren den entscheidenden Anstoß durch ein cooles YouTube-Video. Deshalb dürfen wir uns in der öffentlichen Gesundheitsvorsorge nie zurücklehnen und wollen immer neue Wege finden, um die Menschen zu erreichen. 

Unsere Experten

  1. Bas Kast Wissenschaftsjournalist im Potrait

    Bas Kast – Wissenschaftsjournalist

    Er studierte Biologie und Psychologie, arbeitete nach dem Studium als Wissenschaftsjournalist und ist erfolgreicher Buchautor. Seit dem „Ernährungskompass“ 2018 erklimmen seine Sachbücher zuverlässig die obersten Plätze der Bestsellerlisten. In seinem aktuellen Buch erklärt er: „Warum ich keinen Alkohol mehr trinke“ (Verlag C. Bertelsmann). Bild © Mike Meyer

  2. Dr. Johannes Nießen, Mediziner im Potrait

    Dr. Johannes Nießen – Mediziner

    Er arbeitet seit Jahrzehnten im Bereich der öffentlichen Gesundheitsvorsorge, vorwiegend in verschiedenen Gesundheitsämtern. Während der Coronapandemie saß er im Expertenrat der Bundesregierung. Ab Oktober 2023 leitete er die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) kommissarisch und begleitete deren Übergang in das neue Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit, das im Februar 2025 seine Arbeit aufgenommen hat. Bild © BIÖG

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