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Insekten sind die Überflieger der Natur

Käfer auf einer Pflanze

Heimische Käfer: In Deutschland gibt es circa 7.000 Arten. © adobe/gabriffaldi

Interview über die Welt der Sechsbeiner

Wie atmen Insekten, wie viele Arten gibt es weltweit und wie wird künstliche Intelligenz für mehr Insektenvielfalt eingesetzt? Ein Ausflug in die Welt der Sechsbeiner.

Vom Stierkäfer bis zur Libelle – Cathrina Balthasar, Entomologin und Podcast-Host von „Insektiversum“ mag alles, was krabbelt und summt. Im Interview erklärt die Insektenforscherin, wie Käfer Treibhausgase reduzieren können und warum die Wildbiene unsere Hilfe braucht. 

alverde: Sie beschäftigen sich beruflich mit Insekten. Welche Fakten sind für Laien oft besonders überraschend? 

Cathrina Balthasar: Insekten lebten schon vor den Dinosauriern auf der Erde. Sie waren damals viel größer. Die Riesenlibellen hatten zum Beispiel eine Flügelspannweite von bis zu 70 Zentimetern. Ebenfalls faszinierend ist, dass Insekten über mehrere Generationen wandern. Ein Insekt startet beispielsweise in Deutschland und irgendwann kommen Nachfahren in Südafrika an. Durch DNA-Vergleiche haben Forscher festgestellt, dass es die gleichen Populationen sind. 

alverde: Wie atmen Insekten eigentlich? 

Cathrina Balthasar: Sie haben mehrere Atemöffnungen namens Stigmen seitlich am Körper, wodurch Luft eingesogen wird. Die Atmung kann so nur funktionieren, weil die Insekten sehr klein sind und der Sauerstoff im Körper nur kurze Wege zurücklegen muss. 

alverde: Der Stierkäfer ist das „Insekt des Jahres“. Durch sein Zutun können Treibhausgase reduziert werden. Wie macht er das? 

Cathrina Balthasar: Stierkäfer gehören zu den Dungkäfern. Sie ernähren sich hauptsächlich vom Kot der Säugetiere, den sie auch in Erdlöcher tragen, um ihre Larven damit zu füttern. Diese wachsen, scheiden Nährstoffe aus, die Pflanzen wiederum aufnehmen. Und vom Grün ernähren sich dann die Säugetiere. Alles bleibt im Kreislauf. Und CO2 wird nicht dauerhaft in die Atmosphäre freigesetzt. 

alverde: Insektensterben ist in aller Munde. Welche Zahl hat Sie besonders getroffen? 

Cathrina Balthasar: Ich bin 29 Jahre alt. Innerhalb meines bisherigen Lebens ist allein ein Viertel der Insektenarten weltweit verschwunden. Das ist schwer vorstellbar. 

alverde: Warum sollten wir uns beim Artenschutz auf den Schutz der Wildbiene statt der Honigbiene konzentrieren? 

Cathrina Balthasar: Die Honigbiene ist kein Wildtier, sondern ein Nutztier. Weltweit ist es die gleiche Art. Honigbienen werden gezielt gezüchtet, vermehrt und gehalten. Sie sind nicht bedroht. Wir haben in Deutschland allerdings über 500 Wildbienenarten, die akut bedroht sind, da ihre Lebensräume zerstört werden. 

alverde: Können wir das Insektensterben noch aufhalten? Welche aktuellen Maßnahmen halten Sie für sinnvoll? 

Cathrina Balthasar: Insekten sind in vielerlei Hinsicht Frühwarnsysteme, da sie empfindlich auf Veränderungen im Ökosystem reagieren. Wenn man die Artenverteilung und Populationen besser erforscht, kann man Veränderungen frühzeitig erkennen und darauf reagieren. In der Vergangenheit wurde weltweit versäumt, diese Daten zu sammeln. Aktuell führt zum Beispiel eine bundesweite Initiative Insektenmonitorings, also Beobachtungen und Zählungen, durch, um eine Datengrundlage für die Rettung der Insekten zu schaffen. 

alverde: Was können wir alle für mehr Insektenvielfalt tun? 

Cathrina Balthasar: Wer einen Garten oder Balkon hat, kann insektenfreundliche Blumen aussäen, geeignete Wildbienenhotels bauen, wenig mähen und Totholz in einer Ecke liegen lassen. Solarbetriebene Lampen sollten nachts ausgeschaltet werden, um nachtaktive Insekten nicht zu stören. 

Cathrina Balthasar, Ökologin und Entomologin

Portrait von Ökologin Cathrina Balthasar

In ihrem Podcast „Insektiversum“ beschäftigt sie sich mit der faszinierenden Welt der Sechsbeinigen und forscht am Senckenberg Deutsches Entomologisches Institut (SDEI) in Müncheberg. © Frederik Rothe

Mit Innovation Insekten retten

Insektenarten

Libelle, Stierkäfer, Biene, grünes Heupferd - Insekten können helfen, Treibhausgase zu reduzieren. © gettyimages/Antagain, shutterstock/Cosmin Manci, adobe/hhelene, gettyimages/ithinksky

Von künstlicher Intelligenz (KI) bis Kunst – verschiedene Projekte wollen Insekten unter die Flügel greifen, um ihre Artenvielfalt zu erhalten. Wir stellen zwei vor. 

Ein klimapositives Kunstwerk für Bestäuber 

Wie würde ein Garten aussehen, wenn man ihn aus der Perspektive eines Bestäuberinsekts anlegen würde?

Diese Frage hat sich die Künstlerin Alexandra Daisy Ginsberg gestellt und den „Pollinator Pathmaker“ (übersetzt „Wegweiser für Bestäuberinsekten“) zusammen mit einem KI-Wissenschaftler entwickelt. Ein Algorithmus trifft eine Auswahl an bestäuberfreundlichen Pflanzen für Gärten jeder Größe. „Ich möchte das Bewusstsein dafür verändern, wie wir Gärten sehen und für wen wir sie anlegen“, sagt die Künstlerin. Eine Biene kann beispielsweise bis zu 10.000 Pflanzen an einem Tag anfliegen, daher ist es essenziell, dass sie möglichst kurze Wege zurücklegt. Unterschiedlich geformte Blüten passen zu unterschiedlich geformten Mundwerkzeugen – das tief liegende Blüteninnere des Fingerhuts ist beispielsweise für langzüngige Hummelarten geeignet. Wer das kostenlose Tool auf der Website pollinator.art nutzt, erhält eine animierte 3-D-Karte, einen Bepflanzungsplan und einen Einkaufszettel und wird Teil des klimapositiven Kunstwerks. 

Mit künstlicher Intelligenz Insekten beobachten

Bestäuber sind für über 75 Prozent unserer Nahrungspflanzen unerlässlich, wie der IPBES Pollinator Report* zeigt. Allerdings fehlen detaillierte Basisdaten über die Vielfalt der Bestäuber, weil die bisherigen Erfassungsmethoden sehr zeitaufwendig sind. Das Team von „BeeVision“ entwickelt seit Jahresbeginn eine neue Methode, die die Biodiversitätsforschung vorantreiben soll. Die Forschenden nutzen dafür ein intelligentes Kamerasystem zur Erkennung von Flugmustern verschiedener Insektengruppen. Ihr Ziel ist es, sogenannte neuronale Netze so zu trainieren, dass sie die Unterschiede in den Flugmustern von Bestäubern automatisch erkennen und so eine Honigbiene von einer Hummel oder einem Schmetterling unterscheiden können. „Ein solches System eröffnet einen völlig neuen Weg, um besser zu verstehen, wie Insekten mit einer Landschaft interagieren, welche Maßnahmen zur Verbesserung der Insektenvielfalt beitragen und welche landwirtschaftlichen Praktiken nützlich oder schädlich sein können“, sagt Kirsten Traynor, Biologin und Projektleiterin von „BeeVision“.

Feuerwanze auf Blatt

Räumen im Garten auf: Feuerwanzen saugen an toten Tieren, Samen und Blättern. © shutterstock/sunday pictures

Nabu Insekten-Sommer: Jedes Insekt zählt 

„Deutschland zählt Insekten“ heißt es vom 2. bis 11. August 2024 bei der bundesweiten Meldeaktion für Insekten, initiiert vom NABU. So geht’s: Notiere Insekten, die Du innerhalb einer Stunde im Garten, im Park oder im Wald entdeckst. Einsteiger zählen nur Feuerwanzen, Fortgeschrittene halten nach acht bestimmten Insekten Ausschau und Profis geben alle Arten an. Mithilfe der kostenlosen Web-App „NABU Insektensommer“ können die Insekten per Foto bestimmt und gemeldet werden. Mehr Infos unter insektensommer.de 

*IPBES Pollinator Report (IPBES steht für Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services), de-ipbes.de