Veränderungen auf den Theaterbühnen

Isabella Vértes-Schütter: „Die Vielfalt in unserer Gesellschaft sollte sich auch auf der Bühne und im Zuschauerraum widerspiegeln.“ © Asja Caspari
Porträt über Isabella Vértes-Schütter
Dr. Isabella Vértes-Schütter ist seit fast 30 Jahren Intendantin eines der größten deutschen Privattheater. Ihre Vision ist ein Begegnungsraum, in dem sich alle willkommen fühlen.
Es war ein Sprung ins kalte Wasser: Die Leitung des Ernst Deutsch Theaters in Hamburg übernahm Isabella Vértes-Schütter unmittelbar nach dem Tod ihres Mannes, dem Intendanten und Schauspieler Friedrich Schütter. „Ich fühlte mich dem Versprechen verpflichtet, das ich ihm gegeben hatte.“ Die Schauspielerin hatte Erfahrung in der Festival-Organisation, aber die Leitung eines großen Theaters trauten ihr manche nicht zu. „Frauen in Führungspositionen waren im Theaterbetrieb vor 30 Jahren noch selten und Chauvinismus weit verbreitet“, erinnert sie sich. „Aber das habe ich ausgeblendet und mich ganz auf die Arbeit konzentriert.“
Gleiches Spiel, gleicher Lohn
Dass heute im Zuge von #MeToo stärker auf Machtstrukturen in der Kulturszene geschaut wird, begrüßt sie. Ihre praktische Maßnahme: „Einen Gender-Pay-Gap gibt es bei uns nicht, Frauen und Männer bekommen für gleiche Arbeit den gleichen Lohn.“ Auf der Gehaltsliste eines Theaters stehen Vertreter der verschiedensten Professionen – von Kreativen bis zu Mitarbeitenden in Handwerk, Technik und Service. Die unterschiedlichen Interessen auszubalancieren, allen Wertschätzung zu geben und Identifikation zu stiften, ist vielleicht die herausforderndste Aufgabe der Intendantin. Die „überzeugte Teamplayerin“ hat das Leitbild des Ernst Deutsch Theaters beispielsweise in Workshops mit Mitarbeitenden verschiedener Professionen erarbeitet.
Junge Bühne, weite Welt
Die Tochter einer Opernsängerin war früh vom Bühnen-Virus infiziert und entschied sich nach einem abgeschlossenen Medizinstudium für die Schauspielerei. Für Isabella Vértes-Schütter ist das Theater die „sozialste Kunstform“, weil sie die unmittelbare Begegnung ermöglicht. Aber sie weiß auch: Es ist nur ein kleiner Teil der Bevölkerung, der den Weg in den Zuschauerraum findet – gebildet, älter, weiß. „Die Vielfalt in unserer Gesellschaft sollte sich auch auf der Bühne und im Zuschauerraum widerspiegeln“, sagt sie.
Im Ernst Deutsch Theater werden regelmäßig People of Color besetzt. Seit mehr als zehn Jahren werden einzelne Vorstellungen in Gebärdensprache gedolmetscht und für Sehbehinderte gibt es Audiodeskriptionen. Junge Menschen können sich in inzwischen acht Jugendclubs des Theaters unter professioneller Anleitung kreativ ausprobieren. Ihre selbst erarbeiteten Stücke führen sie dann im „plattform-Festival“ auf. „Wir stärken junge Menschen in ihrer Entwicklung und bekommen als Theater neue Impulse“, sagt Isabella Vértes-Schütter. Im regulären Spielbetrieb setzt sie zum Teil auf Stücke, die gesellschaftliche Fragen aufgreifen, ohne zu belehren. „Die Stärke des Theaters sind Geschichten, das Publikum möchte ein sinnliches Erlebnis.“
Raum für Neues
Im August startet sie in ihre letzte Spielzeit als Intendantin. Der Übergang zu ihrem Sohn, Daniel Schütter, Schauspieler und Musiker, und der Regisseurin Ayla Yeginer ist gut vorbereitet: „Die Pandemie hat viele Herausforderungen verstärkt“, begründet die 62-Jährige. „Von Abo-Modellen bis zur Programmgestaltung – die junge Generation soll die Chance bekommen, Neues zu entwickeln.“ Für sie eröffnet sich dadurch Raum, ihre erste Liebe wieder zu pflegen. Als Intendantin hat sie sich meist nur einen Schauspiel-Einsatz pro Spielzeit erlaubt. „Ich freue mich auf neue Rollen.“