Wie uns planetare Grenzen schützen

Kolumne von Eckart von Hirschhausen über die friedliche Bewahrung von Grenzen

Liebe alverde-Lesende, 

neulich musste ich während einer Predigt innerlich sehr lachen. Es war im Rahmen einer Hochzeit, es fanden gerade die Olympischen Spiele in Paris statt. Der Pfarrer erinnerte kurz: „Wir bewundern die Athleten, die über Jahre trainieren, um dann einen Zentimeter höher zu springen als jemand anderes. Aus dem Himmel betrachtet, ist dieser Unterschied nicht so wirklich bedeutsam.“ Ein erinnerungswürdiger Perspektivwechsel.

Wir lieben es, an Grenzen zu gehen. Noch mehr lieben wir es, anderen dabei zuzuschauen, wie sie über ihre Grenzen gehen, sich verausgaben, Schmerzen und Frust auf sich nehmen, um den weiten Raum des bis dato Unmöglichen wieder um einen Zentimeter, eine Millisekunde, ein „My“ zu verringern. 

Grenzen scheinen vor allem einen Zweck zu haben: dass man sie überwindet. Denn Grenzen schränken uns gefühlt ein. Nehmen uns Freiheit. Aber gilt das für alle Grenzen? Kennen Sie das Konzept der „planetaren Grenzen“? Es ist noch nicht sehr alt, aber ungeheuer wichtig für unsere Lebensgrundlagen – für unser Überleben. 2009 erschien in der wirkmächtigsten wissenschaftlichen Zeitschrift Nature ein Artikel von Prof. Johan Rockström: „A Safe Operating Space for Humanity“, auf Deutsch etwa: ein sicherer Handlungsrahmen für die Menschheit. Darin beschreibt der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung neun Belastungsgrenzen des Erdsystems. Die sicherlich bekannteste ist die Überhitzung der Erde durch das menschengemachte Treibhausgas CO₂, aber auch der Verlust an Artenvielfalt ist tief im roten Bereich, ebenso die Süßwassersysteme.

Ich erinnere mich noch gut an den 14. September 2023, der Tag, an dem das Bundesamt für Bevölkerungsschutz um elf Uhr einen Probealarm auslöste. Mein Handy blieb stumm. Aber wir haben ja gelernt, es handelt sich nur um einen Test – daher müssen Menschen nichts tun. Am selben Tag wurde veröffentlicht, dass inzwischen sechs der neun planetaren Grenzen überschritten wurden, zum Beispiel auch die für die Landnutzung und die Überlastung der Natur mit Chemikalien. Ist das auch nur eine Testwarnung? Nein. Wir katapultieren uns selbst im Affentempo aus dem sicheren Bereich, der über 10.000 Jahre lang galt und der uns als Menschheit so viele Möglichkeiten gab, uns zu entwickeln, mit allen Risiken und Nebenwirkungen.

Was wir tun können, um für eine sichere Zukunft zu sorgen, zeigt die Grenze für Ozon in der Atmosphäre. Denn die ist im grünen Bereich. Warum? Durch gemeinsame Anstrengungen von Wissenschaft, Politik und Industrie konnten wir eine Trendumkehr erreichen, und die Ozonschicht baut sich langsam wieder auf, dank des Montrealer Abkommens von 1987. Das Konzept der planetaren Belastungsgrenzen definiert Leitplanken. Wir können innerhalb dieser Grenzen frei sein. Aber nicht, wenn wir sie dauerhaft übertreten.

Schaffen wir es, daraus einen neuen Sport zu machen? Grenzen zu respektieren? Weil sie uns nicht einschränken, sondern weil wir nur dann über uns selbst hinauswachsen können, wenn wir nicht in unserem Drang nach immer neuen Rekorden alles andere zerstören? Aus dem Weltall sieht man die Hochsprung-Latte nicht, auch keine Ländergrenzen. Dennoch verteidigen wir sie seit Jahrhunderten erbittert, mit sehr viel Ressourcen, viel Leid und Zerstörung.

Ich bin dafür, alle Intelligenz, alles Geld und all die unbegrenzte menschliche Kreativität lieber in die friedliche Bewahrung der planetaren Grenzen zu bündeln. Oder in den Worten von Johan Rockström: „Wir müssen unseren Planeten als gemeinsames öffentliches Gut behandeln und dringend handeln. Die Gesundheit ist wahrscheinlich unser bestes Mittel, um Entscheidungsträger und Bürger auf der ganzen Welt zu erreichen, denn sie betrifft uns alle.“

Ihr
Eckart von Hirschhausen