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Singing in the Rain

Eine Frau mit schulterlangem braunem Haar steht in einem grünen Feld mit hohem Gras, trägt ein weißes ärmelloses Oberteil und hält ihre Arme seitlich ausgestreckt, während sie den Kopf nach oben richtet, um den Regen zu genießen, im Hintergrund sind verschwommene Berge zu sehen und der Himmel ist bewölkt.

Ein ganz besonderer Geruch: der Duft von Sommerregen ¹⁾

Kolumne von Eckart von Hirschhausen

Liebe alverde-Lesende, 
 
wann haben Sie das letzte Mal im Regen getanzt? Jetzt im September haben Sie hoffentlich die Gelegenheit dazu. Sie können ja die Chancen dazu mit einem einfachen Trick steigern. Nehmen Sie keinen Regenschirm mit. Denn nach der Meinung vieler Menschen gilt: Wenn man einen Regenschirm dabeihat, regnet es nicht. 

Wir amüsieren uns ja gerne über den Aberglauben von anderen Kulturen, die zum Beispiel versuchen, mit Trommeln den Regen in Dürrezeiten herbeizubeschwören. Zu glauben, dass man mit dem eigenen Regenschirm Einfluss aufs Wetter hat, ist weitaus abstruser, wenn man es genauer nimmt. Wobei ich gar nicht weiß, ob so eine europäische Regenwolke nicht doch einen radiologischen Blick in die Taschen wirft und sich dann denkt: Oh, da hat jemand einen Schirm dabei, dann ziehe ich mal weiter. 

Klar ist, dass Perioden, in denen es zu wenig regnet, sowie die Schäden durch plötzlichen Starkregen aufgrund der globalen Überhitzung in vielen Regionen ein großes Problem sind und werden. Klar, denn je wärmer es wird, desto mehr Wasser verdunstet und hält sich länger in der Luft gelöst – bis es dann mit Karacho wieder herunterkommt. Physik eben. 

Wenn es keine Dauerwolkenbrüche sind, ist ein Spätsommerregen für mich aber ein echt sinnliches Ereignis. Nicht nur die ersten Tropfen auf der Haut, auch dieser ganz spezielle Duft in der Nase, kaum dass die Haut der Erde benetzt wurde. In den ersten Sekunden, wenn Regen auf den Boden fällt und dieser mit jeder offenen Pore ausdünstet: Danke – darauf habe ich gewartet! 

Allein für diesen olfaktorischen Glücksmoment lohnt es sich, rauszugehen – falls man es noch nicht ist. So wie in dem Witz, in dem der eine Frosch zum anderen sagt: „Du, es fängt gleich an zu regnen. Lass uns ins Wasser gehen, sonst werden wir noch nass!“ 

Ich war neugierig, was an diesem Geruch eigentlich so faszinierend sein könnte, und fand einen Teil des Geheimnisses: Dieser Geruch verzückt nicht nur mich, sondern schon seit evolutionären Urzeiten viele Generationen weltweit. Verantwortlich dafür ist eine Substanz namens Geosmin – wörtlich der Duft der Erde, wobei es genauer gesagt eine Mischung von Molekülen ist, die Mikroorganismen produzieren. Es riecht ein bisschen muffig, erdig, faulig, erinnert an Rote Bete, Pilze oder Spinat.

„Der Geruch von Spätsommerregen verzückt nicht nur mich, sondern schon seit evolutionären Urzeiten viele Generationen weltweit.“

Unsere Nase ist extrem sensibel für diesen Reiz. In minimalen Konzentrationen erkennen wir bereits den Sommerregen-Marker. Würden wir einen Teelöffel Geosmin in dem Wasser aus 200 olympischen Schwimmbädern verdünnen, würden wir es noch wahrnehmen. Wahnsinn, oder? Warum nur? 

Wahrscheinlich weil es früher keine so großen Wasserbecken gab, wir aber immer schon auf Wasser angewiesen waren. Und so wurden unsere Nasen zu Navigationssystemen, zu Wünschelruten. Immer der Nase nach – denn da, wo es feucht ist, gibt es Leben, Vermehrung, eine Quelle – und das war und ist überlebensnotwendig. 

2024 wurde der menschliche Rezeptor erstmalig durch ein Forschungsteam vom Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie identifiziert. Übrigens: Auch Fruchtfliegen fliegen auf den Geruch und Kamele finden damit die Oase. Der Geruch kann aber auch abschrecken, wenn er auf bakterielle Verunreinigung bei Lebensmitteln hinweist. Die Dosis macht das Gift, Sie wissen schon. 

Weil unser Geruchssinn auf Geosmin so hochsensibel reagiert, wird es auch in Parfüms eingesetzt und ist trotz intensiver Bemühungen der Biochemiker immer noch recht aufwendig in der Herstellung. Da ist es günstiger, durch den Regen zu tanzen und all das direkt zu inhalieren, was der Boden verschwenderisch verströmt. Und Sie können ja auch noch dazu singen: Es regnet, es regnet, die Erde wird nass! Hauptsache, Sie vergessen sich dabei – und den Regenschirm!

Ihr
Eckart von Hirschhausen