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Tierische Partnerschaft 

Schildkröte mit Schmetterlingen auf dem Kopf

Die Schmetterlinge im Amazonas trinken Tränen der Schildkröte, um so ihren Salzbedarf zu decken. © Daniel Rosengren

Kolumne von Eckart von Hirschhausen über grenzübergreifenden Artenschutz

Liebe alverde-Lesende,

warum scharwenzelt der Schmetterling um die Schildkröte? 

Er hat es auf ihr Auge abgesehen! Genauer gesagt, auf ihre Träne. Denn die enthält Salze. Und die sind kostbar. Nährstoffe werden in den magisch aufeinander abgestimmten Systemen nicht verschwendet. Als ich dieses Foto das erste Mal bei einem Vortrag von Christof Schenck, dem Direktor der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt, sah, wären mir fast selbst die Tränen gekommen. Mich rührte es an, wie in der Natur nichts verloren geht. Wie selbst die Träne der einen Spezies der anderen hilft und dient. Und wie viele Dinge in Kreisläufen ineinander verwoben sind, von deren Komplexität wir Menschen keinen Schimmer haben.

Christof Schenck hat Jahre im Regenwald verbracht. Und wenn er davon erzählt, wie ihn diese Zeit weitab von jedweder Zivilisation zu einem tiefen Respekt gegenüber der ursprünglichen Natur und zu der großen Sorge um ihren Erhalt geführt hat, ist das mit dem Wort „Artenvielfalt“ kaum zu beschreiben. „Artenreichtum“ schon eher. Denn es ist ein Reichtum. Ohne Artenreichtum nutzt einem kein Geld dieser Welt mehr. Weil nichts Essbares mehr nachwächst. Was die Natur uns an „Dienstleistungen“ zur Verfügung stellt, ist ein Vielfaches des globalen Bruttosozialproduktes wert. Dummerweise stellt die Natur uns dafür keine Rechnung. Und so machen wir die Rechnung ohne sie.

Aber jedem denkenden und fühlenden Menschen ist klar, dass ein Baum im Regenwald, der wächst, gedeiht, atmet, Wasser aufnimmt und verdunstet, kühlt, Schatten spendet, Schutz vor Erosion, Brutmöglichkeiten und Kohlenstoffspeicher alles zugleich ist – nicht mehr wert wird, wenn man ihn abholzt und in Bretter schneidet. In unserem Wirtschaftssystem ist es aber genau andersherum: Die Bretter kann ich verkaufen. 

„Die letzten Gebiete mit artenreicher Natur und fruchtbaren Böden werden immer seltener.“

Für Arten- und Naturschutz braucht es Zusammenarbeit

Aber wer zahlt für den Erhalt eines intakten, aber „unproduktiven“ Ökosystems? 

Diesen Systemfehler versuchen gerade viele in internationaler Verbundenheit – das Thema der Rubrik dieser Ausgabe – zu korrigieren. Das Projekt „Legacy Landscapes Fund“ ist eins davon. Mit der Kombination von privaten Spenden und öffentlicher Förderung werden die „Juwelen“ der artenreichsten Gebiete mit einer dauerhaften Basis-Finanzierung ausgestattet. Gemeinsam mit den Menschen vor Ort wird das Schützen attraktiver als das Ausrauben. Und das am besten nicht nur für ein paar Jahre, sondern ewig. Ein hoher Anspruch. Und dann sollte es doch unser aller Ehrgeiz sein, dass diese Schätze auch in Zukunft unverkäuflich sind. So wie die Mona Lisa.

Ob eine Aktie in 10, geschweige denn in 20 Jahren noch werthaltig ist, kann niemand vorhersagen. Aber dass die letzten Gebiete mit artenreicher Natur und fruchtbaren Böden immer seltener und immer kostbarer werden, ist eigentlich ein „no brainer“. Die Staatengemeinschaft hat sich darauf geeinigt, bis 2030 ein Drittel der Landfläche und ein Drittel der Ozeane unter Naturschutz zu stellen. Aber so wie beim Pariser Klima-Abkommen hängt es jetzt davon ab, was die Regierungen umsetzen.

Was das alles kostet?

Erstaunlich wenig, wenn man bedenkt, dass es um unsere wichtigste Lebensgrundlage geht. Für circa 35 Milliarden Euro im Jahr könnte man das Allernotwendigste auf gut einem Prozent der Fläche in den Tropen schützen. Um das 30-Prozent-Ziel zu erreichen, braucht es etwa 500 Milliarden pro Jahr. Für internationalen Biodiversitätsschutz gibt Deutschland bislang circa 0,7 Milliarden Euro aus, und in den Haushaltsdebatten soll der Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit auch noch gekürzt werden, gegen alle Beteuerungen, wie wichtig einem das Thema ist. 

Zum Vergleich: Wir geben 47 Milliarden Euro nur in Deutschland pro Jahr für Medikamente aus. Was hat das miteinander zu tun? 70 Prozent der Wirkstoffe in den Arzneimitteln stammen aus der Natur. Wenn 150 Arten jeden Tag zerstört werden, geht dieses Wissen und jede darin enthaltene Heilkraft mit verloren. Für immer. Artenschutz ist Gesundheitsschutz. Ist uns das wirklich nichts wert?

Wir machen das nicht für die Schildkröte. Sondern für unseren eigenen Arterhalt. Okay, auch für die Schildkröte und den Schmetterling. Und für alle, die sich auch noch daran freuen sollen, dass keine Träne auf der Erde umsonst geflossen sein soll. Weder vom Krokodil, der Schildkröte oder uns.

Ihr
Eckart von Hirschhausen