Die Kraft der kleinen Veränderungen

Sich bewusst entscheiden, im Kleinen anfangen und ein Zeichen setzen: Verantwortung ist nicht nur individuell, sondern auch gemeinschaftlich. ¹⁾
Kolumne von Eckart von Hirschhausen über die Verantwortung eines jeden für unsere Welt
Liebe alverde-Lesende,
in dieser alverde-Ausgabe geht es viel um einen großen Begriff – „Verantwortung“. Die Vorsilbe „ver“ bedeutet im Deutschen so manches. Wenn sich jemand ver-fährt, kommt er nicht unbedingt an, erhöht aber seine Ortskenntnis. Wenn sich jemand ver-liebt, kann daraus Liebe werden, oder man hat sich einfach nur so mal ver-knallt oder ver-schossen. Bei der Verantwortung bedeutet das „Ver“ eine Reaktion. Es ist unser Verhalten auf eine Frage an uns. Fragen, die das Leben an uns stellt. Denen wir uns stellen. Und wenn wir uns gar nicht zu der Frage verhalten, dann verhallt sie ungehört. Das finden wir dann bei anderen unerhört. Verantwortungslos. Oder wie ich es in der Jugendsprache neulich aufgeschnappt habe, „ehrenlos“ oder „hobbylos“. Und bei uns selbst?
Welchen Fragen höre ich zu? Lasse ich zu, lasse ich an mich heran. Das geht schon morgens los: Wofür soll ich eigentlich aufstehen? Habe ich noch Zeit, was zu frühstücken, ist das nun gesund oder ungesund? Milch in den Kaffee oder Hafer-, Soja- oder Erbsendrink? Da ist man kaum wach und schon überfordert mit der Menge an Entscheidungen.
Und dann holen einen die großen Fragen auch noch ein, wenn man die Nachrichtenseiten auf dem Handy liest: Wie sichern wir unsere Lebensgrundlagen für jetzt und für die Zukunft? Wie viel Toleranz darf man mit den Intoleranten haben? Wollen wir wirklich in den Sommerferien „ins Warme“ fahren, wenn das Warme zu heiß wird, der Wald brennt und das Meerwasser zu warm ist, um sich zu erfrischen? Und was machen wir mit dem Hund? Und mit Oma? Puh – eins nach dem anderen.
Drei kleine „Lifehacks“, wie das heute heißt, also Tipps, die das Leben verbessern sollen.
Wie kann ich Verantwortung übernehmen für diese Welt?
Die Psychologie hat herausgefunden, dass unsere Willensstärke endlich ist, ein bisschen wie eine Batterie, ein Akku, der irgendwann leer wird. Das erklärt ganz gut, warum wir abends und vor allem nachts oft mehr unsinnige Dinge tun als morgens oder tagsüber. Ich habe für diesen Text schon seit Tagen die E-Mail von der charmanten alverde-Redakteurin im Postfach, wann ich denn liefern würde zu „Verantwortung“. Ich habe ihr lange nicht geantwortet, lieber nachgedacht, weil das Thema so unendlich ist und so groß, dass es eh nicht erschöpfend in eine Kolumne passt. Und dann habe ich einfach an einem Morgen angefangen, draufloszuschreiben und überraschte mich selbst, wie sich Dinge oft im Tun erst entwickeln – ganz anders als gestern Nacht beim Grübeln. Also: Wichtige Entscheidungen werden besser, wenn man sprichwörtlich „eine Nacht drüber schläft“. Aber dann eben auch aufsteht und anfängt.Lifehack Nummer zwei: Perfektion ist der sicherste Weg ins Unglück und die eigene Resignation.
Gerade was ein verantwortliches Einkaufen angeht, ist es unmöglich, alles „richtig“ zu machen. Aber nur, weil man nicht alles richtig machen kann, ist es kein Argument, dass alles egal ist. Der verantwortungsvolle Konsument braucht auch verantwortungsvolle Händler, Hersteller und politische Rahmenbedingungen. Ich kann durch mein eigenes Verhalten nur begrenzt dafür sorgen, dass die Bahn pünktlich fährt, Kerosin besteuert wird und dass umweltfreundliche Produkte günstiger werden als das, was viele Ressourcen verballert. Ich kann aber versuchen, jeden Tag nicht mehr zu kaufen, als ich brauche, und mich nicht nur als Konsument verstehen, sondern auch als Bürger, als Teil einer Gemeinschaft, als jemand, der sich engagiert, um eine Welt zu gestalten und zu erhalten, in der wir gerne leben. Und das am besten nicht als Einzelkämpfer oder Meckerer auf Social Media, sondern konstruktiv mit anderen zusammen. Im Kleinen wie im Großen.Damit sind wir bei Punkt drei: Welche Perspektive wähle ich für meine Verantwortung?
Die radikalste ist, sich in Gedanken ans Ende des eigenen Lebens zu bewegen und von dort zurückzuschauen. Wer möchte ich gewesen sein? Wozu habe ich meine Zeit, meine Möglichkeiten, mein Herzblut genutzt? Und was werden zukünftige Generationen über uns sagen – unsere Kinder und Enkel sollen doch mal stolz und liebevoll an uns denken können? Sie werden jede Menge Fragen haben an uns – gut, wenn wir jetzt schon mit dem Beantworten anfangen.
Ihr
Eckart von Hirschhausen
