Lesen ist das neue Cool

Der Griff zum Buch ist heute auch wieder fĂŒr die jĂŒngeren Generationen im Trend.
Es wird wieder mehr gelesen
Die Zeichen sind nicht zu ĂŒbersehen: Es wird wieder gelesen. Auch und vor allem von jungen Menschen. Eine Leidenschaft, die von einem besonderen Genre und ausgerechnet von jenen Medien befeuert wird, die bis vor Kurzem noch als der Feind des Buches galten.
Noch nie drĂ€ngten sich so viele 13- bis 25-JĂ€hrige auf der Frankfurter Buchmesse wie vergangenes Jahr. Und auch in den Buchhandlungen sieht man junge Menschen gleich mit mehreren BĂŒchern unterm Arm an der Kasse â mit so leuchtenden Augen, als hĂ€tten sie gerade das letzte Paar angesagter Sneaker ergattert. Selbst bei den Ausgaben fĂŒr den Kulturpass â ein staatlicher Zuschuss fĂŒr kulturelle Angebote fĂŒr alle, die ihren 18. Geburtstag im Jahr 2023 feierten â zeigt sich der Trend: Hier lagen BĂŒcher weit vor Kino- oder Konzertbesuchen. Allein in Hessen wurden in nur sechs Monaten 45.000 BĂŒcher ĂŒber die Kulturpass-App verkauft.
Ja, das Buch weckt seit Neuestem erstaunliche Habenwollen-Reflexe bei der Generation Z. Einer Altersgruppe, die man eigentlich schon ans Digitale verloren glaubte. Ein PhĂ€nomen, das sich, so Professor Dr. Julika Griem, auch Corona verdanke. Die Literaturwissenschaftlerin, die sich fĂŒr ihr Buch âSzenen des Lesensâ (transcript Verlag, 15 Euro) auch intensiv mit der âGeschichte, Praxis und Zukunftâ dieser Kulturtechnik befasst hat, sagt: âAls alle zu Hause saĂen und man viele andere Dinge nicht tun konnte, war zumindest in BĂŒchern noch alles möglich gewesen.â Man konnte auf Reisen gehen, in das Leben von Gleichaltrigen eintauchen, mit ihnen Partys feiern, die Irrungen und Wirrungen der Liebe, den ersten Kuss â wenigstens auf Papier â erleben. Das brachte eine neue Variante der Liebesromane an die Spitze der Begehrlichkeiten. Ein Genre, das 2009 das Licht der BĂŒcherwelt erblickt hatte. âDamals hatte der New Yorker Verlag St. Martinâs Press einen Literaturwettbewerb veranstaltet. Man suchte Liebesgeschichten, die gezielt Menschen zwischen 18 und 29 Jahren ansprechen,â so Julika Griem. Die neue Sparte wurde âNew Adultâ genannt.
Eyecatcher Buch
Es ist aber nicht nur die Punktlandung in den BedĂŒrfnis- und Sehnsuchtswelten der jungen Leser, die die Leselust befeuert. Es ist auch die aufwendige Ausstattung der BĂŒcher: der Farbschnitt und die Veredelung der Cover mit Lacken und Folien. Julika Griem: âDie BĂŒcher sind ja auch geliebte Objekte, sie sind Requisiten, eine Art Lifestyle-Accessoire.â Und als solches werden die neuen SchĂ€tze in den sozialen Medien prĂ€sentiert, vorgestellt, besprochen, zelebriert und arrangiert in schönen Regalen, mit hĂŒbschen LeseplĂ€tzen.
Besonders Tiktok und Instagram gelten dabei als Beschleuniger des Trends zum Buch: Rund 130 Milliarden Videos wurden bislang unter dem Hashtag #BookTok auf Tiktok gepostet, weitere 156 Millionen unter #BooktokRecommendations.
Autoren zum Anfassen
Im Netz tauscht man sich ĂŒber Lesevorlieben und Neuerscheinungen aus und zeigt, wie viel Freude das Lesen macht. War Lesen frĂŒher eine eher einsame Angelegenheit, so wird es nun zum gesellschaftlichen Event. BookTok und Instagram ermöglichen zudem auch etwas, was zuvor â auĂer bei Lesungen und Autogrammstunden â kaum möglich war: den Autorinnen ganz nahe zu kommen. Julika Griem sagt: âMan möchte die Person hinter dem Werk kennenlernen â sehen, wie sie sich gibt, ein StĂŒck weit an ihrem Alltag teilnehmen.â Wie etwa auf dem Instagram-Account von Lilly Lucas, eine der Erfolgreichsten der New-Adult-Szene. Die 37-jĂ€hrige Bestsellerautorin nimmt ihre Follower regelmĂ€Ăig mit â in den Entstehungsprozess ihrer BĂŒcher, in ihren Alltag und lĂ€sst sie sogar mitentscheiden â etwa bei ihrem Signierstempel. Aber nicht nur bei den Jungen, den Netzaffinen bieten die sozialen Medien eine Menge Leseförderung. Auch das Interesse an Klassikern wird dort geweckt. Allein zu Kafka, dessen Todestag sich in diesem Jahr zum 100. Mal jĂ€hrt, gibt es auf Tiktok mehr als 100.000 Videos, die zusammen ĂŒber 100 Millionen Mal angeschaut wurden.
Lesen als Event
Man könnte auch sagen: Zusammen schreibt und liest man weniger allein. Das gilt auch im analogen Leben, schaut man sich die beeindruckende Zahl von Podcasts und Buchclubs an, die in den letzten Jahren entstanden sind. Wie das eine manchmal das andere befruchtet, erlebt man gerade beim Podcast eat.READ.sleep des NDR in dem drei Redakteure Neuerscheinungen und LieblingsbĂŒcher subjektiv und unterhaltsam vorstellen. Ein Event mit so viel Identifikationspotenzial, dass sich deutschlandweit gleichnamige Lesekreise gegrĂŒndet haben. Und wenn im Lesekreis kein Platz mehr ist, dann grĂŒndet man kurzerhand einen eigenen, wie die Biologin Dr. Daniela Kremer aus DĂŒsseldorf.
Die gedruckte Droge
Keine Frage: Lesen ist das neue Cool. Aber wird das auch so bleiben? Die âStiftung fĂŒr Zukunftsfragenâ ist da immerhin vorsichtig optimistisch: Auch zukĂŒnftig wĂŒrden es âviele BĂŒrger genieĂen, in ein Buch zu versinkenâ. Es ist eben am Ende doch so, wie es die beiden Zeichner Achim Greser und Heribert Lenz einmal formulierten: âLesen? Das geht ein, zwei Jahre gut. Dann bist Du sĂŒchtig!â Zwei Jahre braucht man am Ende nicht. Nur ein gutes Buch, ein wenig Zeit und nun auch Menschen, die sich miteinander darĂŒber austauschen mögen.
Unsere Experten
Bild ganz oben: Westend61/Eloisa_Ramos
Bilder Experten (v.l.n.r.): Stefanie Eisenhuth, Pascal Heckmann/privat, Dr.Daniela Kremer/privat


