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Mit Rollstuhl im Rampenlicht

Mirjam Kottmann mit langen braunen Haaren sitzt in einem Rollstuhl, sie trägt einen blauen Blazer über einem weißen Oberteil und eine schwarze Hose, der Hintergrund zeigt einen hellen Raum mit Holzboden und weißen Wänden.

„Ich habe keine Behinderung, ich werde behindert: von Bordsteinen oder weil es kaum barrierefreie Toiletten gibt.“ – Mirjam Kottmann © BR/ Vera Johannsen

Im Interview mit Mirjam Kottmann

Mirjam Kottmann ist seit 30 Jahren TV-Journalistin und seit einiger Zeit auf den Rollstuhl angewiesen. Sie möchte Menschen mit Beeinträchtigung dazu motivieren, ihre Träume zu leben und ihre Ziele zu verfolgen. 

„Meine Beine gehen nicht mehr, sonst funktioniert ja alles noch, mein Kopf und mein Mundwerk“, sagt Mirjam Kottmann. Die 51-jährige Münchnerin möchte noch möglichst lange als Fernsehjournalistin arbeiten. „Ich liebe meinen Beruf.“ Ein Schülerpraktikum beim Fernsehen stellte früh die Weichen: „Ich saß im Schneideraum und wusste: Das will ich machen und nichts anderes. Rausgehen, Leute interviewen, Eindrücke sammeln, in einen Beitrag verpacken und schneiden. Die Arbeit ist total kreativ.“ 

Mirjam Kottmann hat sich beim Bayerischen Rundfunk (BR) schon bald einen Namen als Reporterin gemacht. Hautnah vom Geschehen berichtete sie live aus Rom von der Wahl des deutschen Papstes Benedikt, den Filmfestspielen in Venedig oder aus Hochwassergebieten in Bayern. Heute hier, morgen dort, oft ohne zu wissen, für wie lange. Ihre Neugier und Offenheit brachten sie auch an ihre Grenzen – vor allem bei der für sie wichtigsten Reportage über Menschen, die auf eine Organspende warteten. Eine Betroffene starb während der Filmarbeiten, ein anderer Wartender bekam ein Spenderherz und Mirjam Kottmann durfte bei der Transplantation im OP dabei sein. „Ich kann eigentlich gar kein Blut sehen“, erzählt sie. Einen Anflug von Übelkeit konnte sie aber überwinden, die bangen Stunden im OP möchte sie als Erfahrung heute nicht missen. 

Ein Wettlauf mit der Zeit

Mit 24 dann die Diagnose Multiple Sklerose (MS). Die Bücher zum Thema verhießen nichts Gutes: Die unheilbare Krankheit kann völlig unberechenbar voranschreiten – sie muss es aber nicht. In einer Selbsthilfegruppe riet man Mirjam Kottmann, die Erkrankung erst mal für sich zu behalten – es wurden zehn Jahre daraus. Ein Skiunfall, bei dem sie sich ein Knie schwer verletzte, diente lange als Deckmantel dafür, dass ihr das Gehen immer schwerer fiel. Als die Gerüchteküche beim BR schon brodelte, weihte sie ihren damaligen Chef ein. „Ich wollte nicht geschont werden“, erklärt sie.

„Ich habe keine Behinderung, ich werde behindert: von Bordsteinen oder weil es kaum barrierefreie Toiletten gibt.“

Bei den Drehs musste sie jetzt kürzertreten. Die Kamerateams halfen ihr zunehmend beim Ein- und Aussteigen in die BR-Busse. Hilfreich war auch ein Parkplatz direkt vor dem BR-Gebäude. Gemeinsam überlegten Mirjam Kottmann und Kollegen aus der Bauabteilung, welche Anpassungen nötig waren, um ihr das Arbeiten weiter zu ermöglichen. Gesagt, getan. Steinig war der Weg dennoch – über Hürden in den Köpfen anderer und im eigenen. Mirjam Kottmann machte noch Reportagen und Live-Schalten, etwa für die Tagesschau, aber es fiel ihr schwer, sich im Fernsehen mit dem Rollstuhl zu zeigen. Bei einer Reportage über die Tafel fasste sie sich ein Herz und war im Rollstuhl mit dem Mikro in der Hand zu sehen. Haufenweise positive Zuschriften bestärkten sie. „Eine Schülerin schrieb mir, dass sie ihren Traum, Journalistin zu werden, jetzt nicht aufgeben müsse, nur weil sie im Rollstuhl sitze. Das hat mich sehr berührt.“ 

Erste Moderatorin im Rollstuhl

Seit Februar 2024 gehört Mirjam Kottmann zum Moderationsteam der BR24-Nachrichten – als erste Person im Rollstuhl. Arbeitsassistentinnen unterstützen sie im Studio, wo sie Filmmaterial bearbeitet. „Keine Bewegungsfreiheit mehr zu haben, ist für mich ein riesiger, sehr trauriger Verlust“, sagt Mirjam Kottmann, die immer intensiv Sport getrieben hat – Ballett, Tennis, Leichtathletik, Skifahren. Dennoch will sie „die Zukunft groß denken“. Andere haben das erkannt: Die Auszeichnung mit dem Ehrenpreis als „European Journalist of the Year 2024“ für ihre Haltung, Vorreiterrolle und journalistische Kompetenz kam für sie unerwartet: „Mir war heiß und kalt zugleich, ich habe meine Beine gespürt, die ich sonst gar nicht mehr spüre. Die Nachricht ging mir buchstäblich durch Mark und Bein.“