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Nachhaltiger und ökologischer Siedlungsbau

Luftaufnahme einer Wohnsiedlung mit Häusern

Luftaufnahme einer Wohnsiedlung mit Häusern: Siedlungen der Zukunft müssen ökologisch intelligent gestaltet sein. ¹⁾

Interview mit Uli Burchardt, Oberbürgermeister von Konstanz, und Andreas Hofer, Architekt

Städte wachsen, in vielen ist Wohnraum rar und teuer. Gleichzeitig ist Boden eine endliche Ressource und seine Versiegelung schreitet täglich fort. Wie wir auf intelligente Weise Raum schaffen und Raum erhalten können, darüber diskutieren zwei Männer, die sich auf ihrem Gebiet für Nachhaltigkeit einsetzen: Uli Burchardt, Oberbürgermeister von Konstanz, und Andreas Hofer, Architekt und Intendant der Internationalen Bauausstellung 2027. 

alverde: Herr Burchardt, wie leicht oder schwer ist es, als Bürgermeister neues Bauland auszuweisen, und welche Konflikte entstehen dabei? 

Uli Burchardt: Sehr schwer – selbst wenn das Grundstück der Stadt gehört und wir im Gemeinderat beschlossen haben, dort zu bauen. In den meisten Fällen wird irgendein Schutzgut berührt – und ein Kläger findet sich fast immer. Ein Beispiel: Wir wollen in Konstanz auf einem ehemaligen Acker die Siedlung Jungerhalde bauen, in Holzbauweise, die Hälfte bestünde aus geförderten Mietwohnungen. Sozial, ökologisch und mit vorbildlicher Bürgerbeteiligung. Aber selbst bei diesem Projekt formierte sich Widerstand nach dem Motto „Hier wird ein wertvolles Feld zerstört“. Es ging vor den Petitionsausschuss. Jetzt wird die Siedlung zwar gebaut, aber der Weg dahin war viel länger und mühsamer, als er es hätte sein müssen. Wenn du in Deutschland Wohnraum schaffen willst, gibt es zig Verbände und Behörden, die dir Knüppel zwischen die Beine werfen. 

alverde: Herr Hofer, können Architekten Angebote machen, die solche Widerstände ausräumen, also mit Entwürfen verführen? 

Andreas Hofer: Ich habe jedenfalls den Glauben noch nicht verloren, dass man mit Städtebau auch begeistern kann. Dieser Verweigerungsmodus, mit dem wir es heute zu tun haben, resultiert aus Frustrationen der Vergangenheit. Die Menschen haben Bilder von überdimensionierten, hässlichen Siedlungen im Kopf – und die möchten sie nicht wieder haben. Als Architekten ist es unsere Aufgabe, Zukunftsbilder zu entwerfen. Und ich glaube, eines der Probleme ist, dass wir als Gesellschaft keine gemeinsamen Projekte haben. 

Uli Burchardt: Ja, wir haben noch kein Bild, wie die nachhaltige Stadt der nahen Zukunft aussehen soll. Ich glaube, dass sich unsere Mobilität durch autonome kleine elektrische Shuttles sehr stark verändern wird. Das wird viel an Straßen und Parkplätzen überflüssig machen – im Übrigen fast die einzige Fläche, auf der wir noch wirklich gestalten können. Für andere klingt diese Vorstellung noch völlig abgehoben. In einer Demokratie müssen wir darüber ins Gespräch kommen und gemeinsame Bilder schaffen. 

alverde: Naturschutzverbände fordern, auf schon versiegelten Flächen zu bauen und im besten Fall bestehende Gebäude umzubauen. Wie weit lässt sich das realisieren? 

Andreas Hofer: Vor allem in Gewerbegebieten gibt es ein großes Potenzial. Das können wir nur heben, wenn wir über Nutzungsmischung neu nachdenken. Die alte, simple Lösung ist, Wohnen und Arbeiten strikt voneinander zu trennen. Das vermeidet Konflikte, ist aber nicht effizient, produziert Mobilität und unattraktive Räume. Um unsere Städte nachhaltig umzubauen, müssen wir mancherorts außerdem auf bisher unbebauten Flächen bauen, zur Siedlungsergänzung und um Lücken zu schließen. 

„Besiedlung ist nicht Versiegelung, es gibt Möglichkeiten, sie ökologisch intelligent zu gestalten.“ Uli Burchardt, Oberbürgermeister von Konstanz am Bodensee

Architektonisches Bild der Siedlung Jungerhalde in Konstanz

Viel Holz und Grün: die zukünftige Siedlung Jungerhalde in Konstanz. © Krehl Girke Architekten, Konstanz

Uli Burchardt: Wir haben in meiner Amtszeit Tausende Wohnungen gebaut, ohne dafür neue Fläche zu verbrauchen. Aber dieses Potenzial ist momentan ausgereizt. Und so sieht es in vielen sogenannten Schwarmstädten aus. Die leerstehenden Gebäude gibt es in anderen Städten, die nicht so gefragt sind – in der Regel aus nachvollziehbaren Gründen, weil es dort vielleicht weniger Arbeit gibt. Die Politik kann Zu- und Wegzüge nur bedingt lenken. Und ich als Bürgermeister kann Menschen, die wir in der Stadt als Fachkräfte brauchen, ja nicht sagen: „Tut mir leid, Wohnungen können wir euch nicht anbieten.“ Ich teile nicht den Gegensatz, den Naturschutzverbände aufmachen: hier die reine Natur, da die Versiegelung durch den Menschen. Denn Besiedlung ist nicht Versiegelung, es gibt Möglichkeiten, sie ökologisch intelligent zu gestalten. 

Andreas Hofer: Das sehe ich genauso. Wir haben im Quartier „Neckarspinnerei“ bei einem Neubaugebiet mit einem digitalen Tool einen Vorher-Nachher-Vergleich gemacht. Zu unserer Überraschung schnitt der Entwurf in vielen Parametern besser ab als der bisherige Auenwald: In der Summe mehr Grünflächen, eine verbesserte Wasserbilanz und Überflutungsvorsorge, besserer Schutz vor Hitze, aber auch eine höhere Biodiversität. Das liegt daran, dass Flächen nur teilversiegelt werden und insgesamt die Vielfalt an Flächen erhöht ist. Das ist genau der Weg, den wir gehen müssen, um sagen zu können: Nach der Bebauung ist es besser als vorher. 

„Das ist genau der Weg, den wir gehen müssen, um sagen zu können: Nach der Bebauung ist es besser als vorher.“ Andreas Hofer, Architekt

Gewerbebauten in der Neckarspinnerei bei Stuttgart

Gewerbebauten in der Neckarspinnerei bei Stuttgart wurden zeitweilig zum Wohnen genutzt. © IBA’27/Dominique Brewing

alverde: Wenn man gefragte Städte nicht am Wachsen hindern sollte, lässt sich dafür an anderer Stelle Ausgleich schaffen? 

Uli Burchardt: Es gibt sehr viele brachliegende Gewerbegebiete, die man renaturieren oder einer anderen Nutzung zuführen könnte. Die Frage ist nur: Wer zahlt das? Ich meine: Städte, die durch Neubauten Wertschöpfung generieren, könnten einen Teil dieses Geldes in einen Fonds einzahlen, von dem dann an anderen Stellen Renaturierungen finanziert werden. Wir müssen raus aus diesem kleinteiligen Denken, in dem die Verantwortung an der Grenze des Landkreises endet. Im Naturschutz wie im Wohnungsbau brauchen wir den Blick aufs Ganze. 

alverde: Viele Menschen ziehen aus den Städten, weil sie sich diese nicht mehr leisten können, und das führt dann zu Einfamilienhäusern, die Fläche gerade nicht effizient nutzen. Haben Sie eine Idee, wie Wohnungsbau wieder sozialer werden kann? 

Uli Burchardt: Am vielversprechendsten sind für mich Genossenschaften. Ich zahle Miete an die Genossenschaft, mache zwar keinen Spekulationsgewinn, aber ich kann dort bis an mein Lebensende zu moderaten Kosten bleiben. Und ich bin nicht einfach nur Mieter, sondern Teil einer Gemeinschaft, die sich engagieren kann und muss. 

Andreas Hofer: Vielen Dank für den Werbeblock für Genossenschaften, das hätte ich als Schweizer nicht besser machen können. Die Stadt Zürich verkauft seit 1964 keine Grundstücke mehr, sondern vergibt sie in Erbpacht. In solchen Genossenschaften ist es auch gelebte Praxis, dass man von einer größeren in eine kleinere Wohnung zieht, wenn die Lebensumstände sich ändern. Meiner Auffassung nach sollten 30 Prozent der Wohnungen den Marktmechanismen entzogen werden. Um das Wohnen wieder bezahlbarer zu machen, braucht es vor allem aber langfristige Strategien – mit einem echten gemeinnützigen Wohnungsbau, mit Wohnungsbeständen, die nicht nach wenigen Jahrzehnten aus der Mietpreisbindung fallen, und das in Häusern, die hundert Jahre und länger halten. 

Uli Burchardt – Oberbürgermeister

Uli Burchardt, Oberbürgermeister im Potrait

© Chris Danneffel

Er absolvierte eine Ausbildung zum Landwirt und studierte Forstwirtschaft. Seit Ende der 90er-Jahre war er in der Geschäftsleitung des nachhaltigen Handelsunternehmens Manufactum, bevor er sich als Unternehmensberater selbstständig machte. Seit 2012 ist der CDU-Politiker Oberbürgermeister von Konstanz. 2019 rief er für Konstanz als erste Stadt in Deutschland den „Klimanotstand“ aus. In seinem aktuellen Buch „Menschenschutzgebiet“ (Goldmann, 336 Seiten, 22 Euro) entwirft er eine Vision, die Stadt als Teil der Natur begreift. 

Andreas Hofer – Architekt

Andreas Hofer – Architekt im Potrait

© IBA’27/Sven Weber

Er studierte an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich. Als Architekt engagierte er sich für ökologisches Bauen und den genossenschaftlichen Wohnungsbau. Andreas Hofer publiziert regelmäßig in verschiedenen Medien zu Architektur-, Städtebau- und Wohnungsfragen, begleitet Wohnbauprojekte als Jurymitglied in Wettbewerben und engagiert sich in der Lehre an Hochschulen. Seit 2018 ist er Intendant der Internationalen Bauausstellung 2027 Stadt-Region Stuttgart (IBA '27).