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Angehörigen-Pflege im Alltag

Frau und ältere Frau umarmen sich am Strand

Was passiert, wenn es alleine nicht mehr geht?

Dialog zwischen Psychologin Dr. Sarah Straub und Coach Sebastian Schoepp

Wenn die Eltern im Alter nicht mehr allein zurechtkommen, kehren sich die Eltern-Kind-Rollen ein Stück weit um. Doch wie lässt sich die Angehörigen-Pflege in das eigene, vollgepackte Leben integrieren? Darüber diskutieren die Psychologin Dr. Sarah Straub und der Autor Sebastian Schoepp.

alverde: Welche Gedanken sollten sich Kinder machen, deren Eltern zunehmend gebrechlich werden?

Sarah Straub: Das Wichtigste ist, dass die Kinder mit ihren Eltern sprechen und sie fragen, was sie sich wünschen. Ich lerne viele Familien kennen, in denen die Kinder gar nicht wissen, was sich Eltern im Falle einer Pflegebedürftigkeit vorstellen. Das kann zu schweren Konflikten zwischen den Geschwistern oder zwischen Eltern und Kindern führen, die es dann schwierig machen, für die Betroffenen da zu sein. Auch Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht sollte man dann aufsetzen, wenn die Situation noch weit weg ist.

Sebastian Schoepp: Meine Eltern gehören zur Kriegsgeneration. Sie hatten in ihrer Jugend schon so viel mit dem Tod zu tun, dass sie das Thema im Alter konsequent verdrängt haben. Aber auch Menschen, die eigentlich nicht über Pflege, Krankheit, Tod sprechen wollen, sind dafür in manchen Momenten aufgeschlossen. Wenn man diese Gelegenheit nutzt und nicht verstreichen lässt, dann hat man schon viel erreicht.

alverde: Wie kann man für sich klären, wie viel und was man für die Pflege der Eltern leisten möchte?

Sebastian Schoepp: Für mich war zum Beispiel klar, dass ich in der Nähe meiner Eltern bleibe und nicht für meine Arbeit nach Südamerika gehe, was eigentlich geplant war. Ich habe in der Situation aber auch gemerkt, dass ich nicht die körperliche Pflege leisten, sondern das Profis überlassen möchte. Ich rate jedem: Erkennen Sie Ihre Grenzen, halten Sie sie ein und suchen Sie jemanden, der Sie in Ihren Entscheidungen bestärkt.

Sarah Straub: Manchmal ist man auch überrascht, wie viel doch geht. Ich hätte nie gedacht, dass ich in der Lage sein werde, meine Oma zu duschen, weil ich so zu ihr aufgeschaut habe. Diese Rollenumkehr ist sehr belastend. Aber dann habe ich die Körperpflege doch als schön empfunden, weil es emotionale, intime Momente waren, in denen ich ihr etwas Gutes tun konnte. Genauso muss man respektieren, wenn jemand sagt, er kann nicht. Es gibt kein „falsch“ oder „richtig“, sondern jeder muss für sich selbst entscheiden, wie viel er leisten kann. Das Wichtigste in der Pflege eines Angehörigen ist es, sich ein Netzwerk aufzubauen. Deshalb schicke ich Familien, mit denen ich in der Klinik zu tun habe, auch ganz früh zu einer Beratungsstelle. Sie sollen wissen, welche regionalen Versorgungsstrukturen es gibt und wo sie stundenweise Hilfe bekommen können. Auch Angehörigengruppen sind wichtig, weil man sich dort mit Menschen austauschen kann, die in einer ähnlichen Situation stecken.

  1. Dr. Sarah Straub im Portrait

    Dr. Sarah Straub Psychologin und Sängerin

    Die Psychologin ist auf Demenz spezialisiert und arbeitet an der Forschungsabteilung des Universitätsklinikums Ulm. Sie ist außerdem als Musikerin erfolgreich und beschäftigt sich in einigen ihrer Lieder auch mit dem Thema Demenz.

  2. Sebastian Schoepp im Portrait

    Sebastian Schoepp Autor und Coach

    Er arbeitete bis 2021 als Redakteur bei der „Süddeutschen Zeitung“ und ist heute selbstständig. Als Buch-Coach unterstützt er andere beim Schreiben und veröffentlicht selbst erzählende Sachbücher. In einem davon, das neu als Taschenbuch erschienen ist, geht es um die Erfahrungen mit der Pflege seiner Eltern und ihre biografische Prägung als Angehörige der Kriegsgeneration.

alverde: Herr Schoepp, Sie haben kritisiert, dass die Betreuung zu Hause vielfach als Norm gesetzt wird. Aber ist es nicht tatsächlich das, was sich die meisten wünschen?

Sebastian Schoepp: Wenn man es hinkriegt, ist das sicher am schönsten. Das Modell wird mir nur als zu idyllisch angepriesen. Pflege zu Hause bedeutet im Endeffekt, eine kleine Pflegefirma führen zu müssen: Sie haben Pflegekräfte, die Sie anleiten und zu denen Sie eine Beziehung aufbauen müssen, Sie müssen mit den Diensten und Kassen abrechnen, Arzttermine und Fahrdienste koordinieren und dann oft noch das Zuhause umrüsten – vom Pflegebett bis zum Treppenlift. Meine Eltern wollten zu Hause bleiben und wir haben das ganze Haus umgebaut. Als dann aber klar war, dass eine Pflegerin hätte einziehen müssen, weil ich es als berufstätiges Einzelkind nicht schaffen konnte, wollten meine Eltern lieber ins Pflegeheim. Dort habe ich einige Menschen getroffen, die im Heim noch mal aufgeblüht sind, weil sie soziale Kontakte hatten, während sie zu Hause ziemlich isoliert lebten. Jedes Alter, jede Pflegebedürftigkeit und jede Familie ist anders. Ich wünsche mir, dass die Ärzte und Beratungsstellen Menschen kein schlechtes Gewissen machen, wenn sie die Pflege „nur“ managen oder nach einem Heimplatz suchen.

Sarah Straub: Im Demenz-Bereich ist die Lage noch einmal besonders kritisch. Wenn die Patienten Verhaltensauffälligkeiten entwickeln, schaffen es viele Pflegeheime nicht mehr und die Betroffenen müssen zurück nach Hause – wo die Angehörigen ja auch keine Experten sind. Ich wünsche mir eine Welt, in der wir Demenz-Betroffenen auf Augenhöhe begegnen, sie als normale Menschen wahrnehmen, die ein Recht auf ein gutes Leben haben.

alverde: Lassen sich Berufstätigkeit und Pflege miteinander vereinbaren?

Sebastian Schoepp: Man muss Abstriche machen. Ich hatte einen Karrieresprung vor mir, den ich dann nicht machte. Das war kein Verzicht, ich habe einfach das getan, was Vorrang hatte. Am Arbeitsplatz habe ich relativ viel Verständnis erfahren. Ich hatte auch über unbezahlte Pflegeauszeiten nachgedacht, aber sie dann doch nicht genommen. Was vielen anfangs nicht klar ist: Pflege ist heute meist ein Marathon, da nützen kurze Auszeiten wenig. Man muss ein Arrangement finden, dass einen dauerhaft nicht überfordert.

Sarah Straub: Ich glaube, dass Unternehmen noch viel mehr Sensibilität für das Thema entwickeln müssen, denn das Thema wird uns weiter und noch stärker begleiten. Arbeitnehmer müssen sich trauen können, ihre Arbeitszeit zu reduzieren ohne Angst, dadurch aufs Abstellgleis zu geraten. Pflege ist mit einem wahnsinnigen Orga-Aufwand verbunden, weil das System so kompliziert und jeder Fall anders ist. Im Grunde braucht es Menschen, die einen kompetent und empathisch durchnavigieren.

Sebastian Schoepp: Vielleicht gibt es in ein paar Jahren den Beruf des Pflegemanagers? Die heutige Zahl und Vielfalt der privaten Pflegedienste hatten wir vor 20 Jahren auch nicht.

alverde: Bei allem Schmerz und Stress, was ist bereichernd daran, Eltern oder Großeltern in der letzten Lebensphase zu begleiten?

Sarah Straub: Man kann gerade bei Menschen mit Demenz sehr viel Nähe erleben. Sie haben keine Ressourcen mehr, um eine Fassade aufrechtzuerhalten. Mein Schwiegervater, den ich zehn Jahre durch eine Demenz begleitet habe, war als Gesunder mir gegenüber sehr distanziert. Durch seine Erkrankung wurde er weich, er hat mich gestreichelt und umarmt.

Sebastian Schoepp: Meine Eltern waren nur ein kleines bisschen dement, aber das reichte, um den Vorhang ein Stück zur Seite zu schieben. Sie haben mir über ihre Kriegserlebnisse erzählt, die vorher tabu waren. Das hat mir ermöglicht, sie als komplette Persönlichkeiten kennenzulernen, während ich vorher oft nur ihre schroffen, verschlossenen Seiten erlebt habe.

alverde: Was wäre die einfachste Verbesserungsmaßnahme im Pflegesystem?

Sarah Straub: Empathie und Menschlichkeit sind das A und O, wenn man mit Pflegebedürftigen umgeht, egal ob man professionell oder privat mit ihnen zu tun hat. Wenn die professionell Pflegenden bereit sind, individuell auf die Familie zu schauen und den Weg mit den Angehörigen zu gehen, dann ist viel gewonnen.

Sebastian Schoepp: Pflege und Medizin werden immer anspruchsvoller und harte Berufe bleiben. Aber was nicht sein muss, ist totale Technisierung und die Selbstüberforderung auch von einigen Ärzten, mit der sie weder sich noch den Patienten und Angehörigen einen Gefallen tun. Was meine Eltern am meisten erschüttert hat, war, wenn sie als Unmündige und damit respektlos behandelt wurden.

Bild (ganz oben): gettyimages/DMP 
Bilder Experten (v.l.n.r): Peter Neher, Martin Poelcher 
Bilder Buch-Tipps (v.l.n.r): Kösel-Verlag, Westend Verlag