Roboter in der Kranken- und Seniorenpflege
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Ein Gespräch mit Dr. Birgit Graf und Prof. Dr. Daniel Flemming
In der Pflege sollen sie schon bald großflächig für die dringend notwendige Entlastung sorgen: Roboter. Die Hoffnung: dass sie viele praktische Aufgaben übernehmen. Die Sorge: dass auch die emotionale Versorgung von Pflegebedürftigen an die Maschinen delegiert werden könnte.
Was die neuen Pflegekräfte aus Stahl, Plastik und Mikrochips schon können – wo ihre Aufgaben in der Zukunft, aber auch ihre Grenzen liegen – darüber sprechen Daniel Flemming, Professor für Informatik und Informationstechnologie in Pflege und Sozialer Arbeit, und Dr. Birgit Graf, Leiterin der Gruppe Haushalts- und Assistenzrobotik am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA.
alverde: Werden Roboter bald Pflegekräfte ersetzen? So ähnlich lauten die Fragen. Welche Antworten haben Sie?
Dr. Birgit Graf: Das ist Science-Fiction. Wir müssen uns weder Sorgen machen, dass die menschliche Komponente in der Pflege wegfällt, noch können wir auf die vermeintlich kostengünstigere, voll mechanische Pflegekraft spekulieren. Gerade bei der Pflege ist der Kontakt zwischen Menschen nicht zu ersetzen. Zu schauen, wie geht es dem Patienten? Empathie lässt sich nicht an Maschinen delegieren. Was wir aber tun können: die Pflegekräfte zu entlasten. Mit sogenannten Assistenzrobotern, die Tätigkeiten wie den Boden reinigen oder den Transport von Blutproben oder Medikamenten übernehmen. Hier gibt es schon diverse marktreife Produkte.
Ist dennoch Beziehungsqualität erwünscht? Viele Roboter werden mit niedlich-kindlichen Gesichtern zum Liebhaben ausgestattet.
Prof. Dr. Daniel Flemming: Dagegen spricht erst mal nichts. Die Frage ist aber doch: Worum geht es? Geht es um ein robotisches Assistenzsystem, das Geschirr abräumt? Oder geht es darum, beim Geschirrabräumen zu kommunizieren? In beiden Fällen muss man fragen, kann das robotische System das besser? Emotionale Qualitäten lassen sich nicht automatisieren. Wie soll eine Maschine etwa wissen, wie sie einen Bewohner, eine Bewohnerin berühren darf? Wie verstehen, wo sie vielleicht auch Scham- oder Schmerzgrenzen überschreitet?
Es gibt ja durchaus auch Maschinen, die bereits am Körper arbeiten.
Daniel Flemming: Ja, zum Beispiel smarte Krankenbetten, die aktiv bei Umlagerung oder Aufstehen helfen. Die die Patienten mobilisieren, damit die Durchblutung gefördert wird. Aber was und wie das gemacht wird, entscheidet immer noch die Pflegekraft oder der Physiotherapeut. Dass jetzt allerdings ein robotisches System von sich aus solche Entscheidungen trifft, das liegt noch in weiter Ferne. Die Automatisierung funktioniert immer dort am besten, wo man standardisieren kann. Sobald aber eine Pflegekraft sich in das unmittelbare Umfeld eines Menschen mit Pflegebedarf begibt und ihn mit allen Sinnen wahrnimmt – seinen Zustand, seine Bedürfnisse – wird es sehr individuell.
Nehmen wir die Morgenroutine – Messen von Blutdruck, Temperatur. Könnten Maschinen das übernehmen und die Ergebnisse gleich auswerten?
Daniel Flemming: Natürlich sind die Morgenrunden zeitintensiv. Aber da findet auch eine wichtige Interaktion zwischen Pflegekraft und Patient statt. Die Pflegekraft bekommt ein Gespür dafür, wie es dem Patienten außerhalb der reinen Vitalparameter geht. Ich glaube, was da an Informationen gesammelt wird, was da schon an Beziehungsarbeit geleistet wird, lässt sich praktisch nicht durch eine Maschine ersetzen.
Birgit Graf: Technisch gesehen wäre es möglich, Roboter mit Sensoren auszustatten, die Vitaldaten erfassen. Das kann Sinn machen, wenn es um Erkrankungen geht, bei denen die Messungen sehr häufig erforderlich sind. Aber sobald es um solche Daten und deren Auswertung geht, wird die Zulassung der Roboter komplizierter.
Wie ist die Akzeptanz für Assistenzroboter bei den Pflegenden?
Birgit Graf: Da haben wir bisher sehr gute Erfahrungen gemacht. Sobald klar ist, dass es die Arbeit erleichtert, ist das Interesse der Pflegenden groß. Die Akzeptanz hängt natürlich sehr stark davon ab, ob die Roboter diese Anforderungen auch tatsächlich erfüllen.
Ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis die zeitraubenden Arbeiten in der Pflege Roboter übernehmen und Pflegekräfte endlich die Zeit haben, sich intensiv um die menschliche Seite ihres Berufs zu kümmern?
Birgit Graf: Da gibt es noch ein paar Herausforderungen. Zum einen die technische Seite. Der Roboter soll genau das können, was in der Praxis erforderlich ist. Und er soll es sicher und zuverlässig ausführen. Zum anderen ist es oft erforderlich, Prozesse und Infrastruktur – also die Arbeitsabläufe und die baulichen Gegebenheiten anzupassen, um Assistenzroboter optimal zu nutzen. Reinigungs- oder Transportroboter müssten selbstständig Aufzüge rufen und Türen öffnen können. Und wenn sehr viele Türen umgerüstet werden müssen – dann rechnet sich ein Assistenzroboter vielleicht schon nicht mehr.
Daniel Flemming: Um Prozesse zu analysieren, zu erfahren, wo wir wirklich robotische Systeme sinnvoll einsetzen können, brauchen wir den Austausch mit Pflegekräften. Aber viele Pflegekräfte haben ja kaum Zeit dafür, einfach weil die Personaldecke oft viel zu dünn ist. Andererseits sieht man daran immer wieder, wie wichtig es gerade in diesem Bereich ist, für Entlastung zu sorgen.
Birgit Graf: Nichtsdestotrotz gibt es inzwischen schon einige Roboter, die in Kliniken und Pflegeeinrichtungen eingesetzt werden. Es ist also durchaus möglich, diese Herausforderungen zu lösen. Nur ist das Einsatzspektrum der Roboter aktuell noch sehr begrenzt. In den nächsten Jahren werden weitere Roboter dazukommen und weitere Assistenzfunktionen für die Pflege anbieten.
Kurzbiographien
Prof. Dr. Daniel Flemming
Professor für Informatik und Informationstechnologie in Pflege und Sozialer Arbeit, Katholische Stiftungshochschule in München
Nach Ausbildung zum Krankenpfleger und Studium des Krankenpflegemanagements promovierte er im Bereich der Pflegeinformatik. Daniel Flemming lehrt und forscht im Bereich der digitalen Transformation in der Pflege und engagiert sich in verschiedenen wissenschaftlichen Fachgruppen. Er referiert regelmäßig über den Einsatz moderner Technologien in der professionellen Pflege.
Dr. Birgit Graf
Leitung Gruppe Haushalts- und Assistenzrobotik in der Abteilung Roboter- und Assistenzsysteme, Fraunhofer-Institut
Bereits in ihrer Dissertation an der Uni Stuttgart beschäftigte sich die Ingenieurin mit roboterbasierten Gehhilfen. Sie forscht seit über 20 Jahren zum Thema Robotik in der Gesundheitswirtschaft. Am Fraunhofer-Institut arbeitet sie an der Entwicklung von Robotern für das Gesundheitswesen und berät Kliniken und Pflegeeinrichtungen, die Maschinen einsetzen wollen.