Saatgut muss für alle zugänglich sein

Früchte sind gleichzeitig Saatgut – eigentlich. Auf dem modernen Agrarmarkt läuft es oft anders. ¹⁾
Pflanzenzüchtung für mehr Biodiversität muss von der Gesellschaft gefördert werden
Mit Open-Source-Saatgut engagieren sich Initiativen für einen freieren Zugang zu Saatkörnern und gegen die Monopole der Agrarkonzerne. Ihr Ziel: klimaangepasste und nachhaltige Züchtungen für die Landwirtschaft der Zukunft.
Saatgut ist die Grundlage unserer Ernährung. Doch weltweit bestimmt nur eine Handvoll internationaler Agrarkonzerne, welches Saatgut auf den Feldern landet. Sie erzielen ihre Gewinne mit nur wenigen Hochleistungssorten. Open-Source-Saatgut-Initiativen wollen gegensteuern. Eine davon ist die Plattform „OpenSourceSeeds“, die zu dem gemeinnützigen Verein Agrecol gehört.
Saatgut war einst Gemeingut
Der Gründer Dr. Johannes Kotschi, sein Team und ein Netzwerk aus Pflanzenzüchtern, Agrarwissenschaftlerinnen, Juristen und Aktivistinnen wollen mit ihrer Arbeit einen alternativen Weg aufzeigen und Vielfalt auf die Felder Europas zurückbringen. „Saatgut war über Jahrtausende ein Gemeingut. Seit den 1960er-Jahren fand allerdings eine Privatisierung statt“, erklärt Johannes Kotschi. „Patente und Sortenschutz haben dafür gesorgt, dass der Zugang zu Pflanzensorten für Landwirtinnen und Landwirte eingeschränkt ist. Das geht auf Kosten der Sorten- und Artenvielfalt“, sagt der Agrarwissenschaftler. Der Verlust an Vielfalt führt unter anderem zu Anfälligkeiten gegenüber Schädlingen und Krankheiten und macht die Landwirtschaft insgesamt weniger resilient. „OpenSourceSeeds“ will gegensteuern: „In Zeiten von Klimawandel und Umweltkrise brauchen wir mehr Vielfalt auf dem Acker und Pflanzen, die an den Klimawandel angepasst sind“, sagt Johannes Kotschi.
Zugänglich, aber nicht kostenlos
Die Idee des Open-Source-Saatguts basiert auf einem Lizenzmodell, das ursprünglich aus der Softwarebranche stammt. Das Modell sichert Saatgut rechtlich als Gemeingut und verhindert, dass es privat vereinnahmt und patentiert wird. So bleibt das Saatgut für alle zugänglich und kann frei weiterentwickelt werden – auch von zukünftigen Generationen. Kostenlos ist es allerdings nicht.
Rund 120 Sorten sind bisher über „OpenSourceSeeds“ lizenziert worden – von Getreidearten wie Weizen und Roggen über Kartoffeln und Mais bis hin zu unterschiedlichen Paprika- und Tomatensorten. Einige wenige davon sind mittlerweile sogar in den Regalen klassischer Baumärkte zu finden.
„OpenSourceSeeds“ geht es nicht darum, Patente abzuschaffen. „Wir wollen neben der privatwirtschaftlichen eine zweite Säule der Saatgutversorgung aufbauen, die pflanzengenetische Vielfalt langfristig sichert und weiterentwickelt – eine Leistung, die der private Sektor nicht erbringen kann“, sagt Johannes Kotschi. Die meisten Menschen, die ihre neuen Züchtungen über „OpenSourceSeeds“ lizensieren lassen, kommen aus der ökologischen Landwirtschaft. Sie sind professionelle Züchterinnen, Gärtner, Landwirtinnen, aber auch Hobbyzüchter. „Für die Verbreitung der Open-Source-Idee spielt die ökologische Landwirtschaft eine zentrale Rolle“, sagt Johannes Kotschi.
Neue Ideen züchten
Noch ungelöst ist, wie sich die Züchtung von open-source-geschützten Sorten sinnvoll finanzieren lässt. Eine von Johannes Kotschi mitentwickelte Idee zur Einsparung besteht darin, dass sich mehrere solidarische Landwirtschaftsgruppen aus einer Region zusammenschließen. Gemeinsam züchten sie standortangepasste Pflanzen und lassen diese als Gemeingut lizenzieren. Aber der Gründer von „OpenSourceSeeds“ wird auch grundsätzlich: „Ich bin der Meinung, dass eine Pflanzenzüchtung für mehr Biodiversität von der Gesellschaft als Ganzes getragen werden muss. Dies könnte über staatliche Finanzierung oder indem Kunden einen Züchtercent auf bestimmte Nahrungsmittel zahlen.“ Verschiedene Modelle haben er und sein Team erarbeitet und in der Fachwelt diskutiert. Jetzt müsste die Politik die richtigen Samen für eine arten- und sortenreiche Zukunft säen.