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Wie kann Sicherheit in einem Land aussehen?

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Extremwetter, Video-Überwachung, Cyber-Kriminalität - wie sicher ist unsere Welt? ¹⁾

Drei Experten erklären, wie wir Vorsorge treffen und bei Gefahr schnell reagieren können

Sicher oder unsicher?
In Bezug auf das Leben an sich ist es fast eine philosophische Frage. Fest steht:
Auch in einem sicheren Land gibt es Bedrohungen – ob durch Naturkatastrophen, in der digitalen Welt oder im öffentlichen Raum. Mit drei Expertinnen und Experten schauen wir auf Möglichkeiten, Vorsorge zu treffen und bei Gefahr schnell zu reagieren.

Extremwetter

Buchcover von XY

Thomas Kratzsch, Meteorologe ²⁾

Thomas Kratzsch ist Leiter der Abteilung Beratungs- und Warndienste beim Deutschen Wetterdienst (DWD).

Wie man Katastrophen kommuniziert

alverde: Wie frühzeitig und wie präzise lassen sich extreme Wetterereignisse heute vorhersagen?

Thomas Kratzsch: Je größer die meteorologischen Systeme, die hinter einem Wetterereignis stehen, sind, desto früher lassen sie sich vorhersagen. Ein großes Tiefdruckgebiet, das viel Regen oder Sturm bringt, erkennen wir schon sieben Tage vorher. Was wir manchmal erst einige Stunden zuvor voraussagen können, ist, wo genau beispielsweise Starkregen fällt. 20 Kilometer können in manchen Gebieten darüber entscheiden, ob es den einen oder den anderen kleinen Fluss trifft. Ein wichtiger Punkt bei Hochwasser ist, wie viel Regen der Boden und die Flüsse aufnehmen können. Darum kümmern sich Hydrologen, mit denen wir eng zusammenarbeiten. Insgesamt gilt: Ein Prognoseproblem haben wir im Bezug auf solches Extremwetter nicht.

alverde: Wie entscheiden Sie, wann Sie welche Informationen weitergeben?

Thomas Kratzsch: Wir haben für Wetterereignisse vier Intensitätsstufen definiert: gelb, orange, rot, violett. Bei Rot, also Unwetter, informieren wir die lokalen Stellen, die mit dem Katastrophenschutz betraut sind, und die Bürgermeister oder zuständigen Behörden gesondert. Beim Ahrtalhochwasser stand unsere Warnung mehr als 24 Stunden vorher auf Violett.

alverde: Ein Beispiel dafür, dass Experten-Informationen nicht immer richtig verstanden werden?

Thomas Kratzsch: Es hat uns zumindest gelehrt, dass wir in der Kommunikation auch mit offiziellen Stellen noch deutlicher werden müssen. Das bedeutet, stärker und genauer die wahrscheinlichen Auswirkungen zu kommunizieren. Vielleicht nennen wir die Auswirkungen zukünftig vor den Ursachen – denn mit 120 Stundenkilometer Windgeschwindigkeit oder 90 Liter Regen pro Quadratmeter kann nicht jeder etwas anfangen. Was auch hilfreich ist, um Verantwortliche wachzurütteln, sind sogenannte Wiederkehrzeiten: Ist das ein Ereignis, das alle zehn oder alle 100 Jahre auftritt oder sogar noch nie aufgetreten ist? Und weil manche Wetterextreme auch seit Jahrzehnten nicht in einer Region vorkamen, wissen Anwohner oft gar nicht, dass sie in einem potenziellen Überschwemmungsgebiet gebaut haben – besonders wenn sie zugezogen sind. Hier wollen wir in Zukunft stärker lokal über Risiken aufklären.

alverde: Manche Wetter-Apps warnen gefühlt jeden zweiten Tag vor Hitze, Kälte, Wind oder Regen. Besteht bei den Bürgern die Gefahr, dass zu viele Warnungen abstumpfen?

Thomas Kratzsch: Die gibt es sicher. Vorbeugen kann man, indem man bei seiner Warn-App einstellt, bei welcher Intensität sie warnen soll. Und wir müssen lernen, mit Unsicherheiten und abgestuften Warnungen umzugehen. Wenn ich beispielsweise in einem Flusstal wohne, muss ich, wenn der Wetterdienst von einem Unwetter mit Niederschlag spricht, nicht jedes Mal den Keller ausräumen. Aber ich kann meine wertvollsten Sachen vom Keller in den ersten Stock transportieren und Ausweis, Handy und Notebook griffbereit halten. Das macht vielleicht eine Viertelstunde Arbeit.

Videoüberwachung

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Dr. Nils Zurawski, Sozialanthropologe und Kriminologe ³⁾

Dr. Nils Zurawski beschäftigt sich in seinem akademischen Leben mit Überwachung, Kontrolle, Gewalt und Konfliktbearbeitung. Aktuell arbeitet er als Wissenschaftler an der Akademie der Polizei in Hamburg.

Warum mehr sehen nicht automatisch mehr Sicherheit bedeutet

alverde: Können Kameras im öffentlichen Raum die Kriminalitätsraten senken oder erhöhen sie nur das Sicherheitsgefühl?

Nils Zurawski: Präventionserfolge nachzuweisen ist grundsätzlich sehr schwierig. Ein Bereich, in dem Kameras Kriminalität sicher reduziert haben, sind Parkhäuser. Das Wissen um die Überwachung wirkt abschreckend bei geplanter Kriminalität, also auf jemanden, der im Parkhaus Frauen auflauert oder Autos knacken will. Gewalt, die aus dem Affekt geschieht, kann Videoüberwachung dagegen nicht verhindern. Und teilweise, wie bei Drogenkriminalität, verlagern sich die Delikte einfach nur ein paar Straßen weiter. Für die Aufklärung leisten die Aufnahmen dank ihrer guten Qualität durchaus einen Beitrag – aber allein dafür dürfen Kameras nach heutiger Gesetzeslage nicht angebracht werden. Kameras haben eine hohe Symbolkraft und senden die Botschaft „Wir kümmern uns“. Sie können daher das Sicherheitsgefühl kurzfristig erhöhen, aber das flacht mit der Gewöhnung ab. Doch es ist ohnehin nicht weit genug gedacht, das Sicherheitsgefühl nur mit Kriminalität zu verknüpfen.

alverde: Inwiefern?

Nils Zurawski: Weil Menschen sich an öffentlichen Orten aus unterschiedlichen Gründen unsicher fühlen: Angst vor Kriminalität ist ein Grund, aber es sind auch Verkehr, Gedränge, schlechte Beleuchtung, rüpelhaftes Verhalten oder Lärm. Bei Befragungen wird selten aufgeschlüsselt, was Sicherheit für den Einzelnen bedeutet. Mit Kameras macht man nicht unbedingt etwas falsch, denn sie werden von einem Großteil der Bevölkerung akzeptiert, sind relativ günstig und können gerade nachts einige Paare Augen ersetzen. Aber man sollte nicht zu hohe Erwartungen in sie setzen.

alverde: Ist mittelfristig vorstellbar, dass mit KI Verhaltensweisen, die einem Verbrechen vorausgehen, identifiziert und so unmittelbare Prävention möglich wird?

Nils Zurawski: Es gibt Modellprojekte, die bisher nur semi-erfolgreich sind. Umarmen sich zwei Menschen oder beginnt eine Rauferei? Für eine KI ist das schwer zu unterscheiden. Menschliche Verhaltensweisen im öffentlichen Raum sind vielfältig, komplex und uneindeutig. Wenn das Verhaltensrepertoire begrenzt ist, wie am Geldautomaten oder selbst am Flughafen, wo es definierte Wege gibt, sind Abweichungen deutlich leichter auszumachen. Im zweiten Schritt müsste dann bei Gewaltdelikten noch sehr schnell jemand einschreiten – das ist mindestens ebenso herausfordernd wie die Programmierung der KI.

Cyberangriffe

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Prof. Dr. Ulrike Lechner, Wirtschaftsinformatikerin ⁴⁾

Prof. Dr. Ulrike Lechner hat einen Lehrstuhl an der Universität der Bundeswehr München und beschäftigt sich mit IT-Sicherheit für kritische Infrastrukturen, Unternehmensarchitekturen und digitale Geschäftsmodelle.

Wenn Schadsoftware doppelt zuschlägt

alverde: Welche Arten von Cyberangriffen sind derzeit am häufigsten und warum sind sie gefährlich?

Ulrike Lechner: Die häufigste Methode ist heute Ransomware, also Schadsoftware. Auf Servern von öffentlichen Dienstleistern, Unternehmen oder Privatpersonen werden Daten unbrauchbar gemacht und erst nach Zahlung wiederhergestellt. Was sich geändert hat, ist, dass es oft nicht bei einem Angriff bleibt. Beispielsweise wird die sensible Phase während der Zeit der Wiederherstellung der Systeme genutzt, um weiteren Schaden anzurichten, und sei es nur dadurch, dass es noch länger dauert, bis die Systeme und damit das Unternehmen oder die Behörde wieder voll arbeiten können. Außerdem hat die Zahl der Angriffe zugenommen, weil sie für immer mehr Menschen eine Einkommensquelle sind. Je nachdem, ob die Angriffe auf ein Bürgeramt, das Reisepässe ausstellt, ein Krankenhaus oder einen Lebensmittelhersteller zielen, sind bei Systemausfällen immer auch ein Teil der Bürger betroffen.

alverde: Wovon alle betroffen wären, sind Szenarien, dass tagelang der Strom ausfällt oder alle großen Banken gehackt werden. Wie wahrscheinlich ist das?

Ulrike Lechner: Ich glaube, vor dem großen Unbekannten sollte man sich nicht fürchten. Ich schaue lieber, was ich konkret messen und analysieren kann. Und das zeigt mir, dass das Sicherheitsniveau der kritischen Infrastrukturen sehr hoch ist und alle Stellen Pläne für verschiedenste Szenarien entwickelt haben. Stromversorger würden beispielsweise Kraftwerke nicht so effizient steuern, aber sicherstellen, dass die Bevölkerung weiterhin mit Strom versorgt ist. Eine Art von Cyberangriffen sind übrigens auch Desinformation und Fake-News. Sie untergraben das Vertrauen in Institutionen und das kann in einer Gefahrensituation die Kommunikation erschweren. Deshalb ist der Kampf gegen organisierte, gesteuerte Desinformation auch ein Beitrag zur allgemeinen Sicherheit.

alverde: Welche neuen Technologien und Methoden können die IT-Sicherheit weiter verbessern?

Ulrike Lechner: Zum einen kann KI Sicherheitssysteme noch effizienter machen, indem sie beispielsweise Fehler aufspürt und einfach Menschen entlastet. Zum anderen werden Quantencomputer eine neue Art der Datensicherheit ermöglichen. Bei der Übertragung werden Schlüssel eingesetzt, die man nicht unbemerkt verändern kann. Wenn jemand mitgehört oder -gelesen hat, ist das sichtbar. Die Technologie ist in einer frühen Phase und so teuer, dass sie sich nur große Institutionen leisten können, was der kritischen Infrastruktur einen Vorteil gegenüber Cyberkriminellen verschafft.