HauptnavigationKategorienavigationHauptinhalt

Über Sinn & Nutzen von Feiertagen

Ein Abreißkalender zeigt den 1. Januar mit der Aufschrift „Neujahr“ und „Donnerstag“ in schwarzer Schrift auf weißem Hintergrund, die Zahl „1“ ist groß und orange

Im Interview mit 
Prof. Dr. Marcel Schütz

Um den Jahreswechsel ballen sich die Feiertage – mit Weihnachten als unbestrittenem Highlight. Doch auch Feiertage, die weniger glänzen, sind kulturelle Marker: Tage, die das Jahr strukturieren und Anlass für Gemeinschaft bieten.

Wie sehr wir mit ihnen rechnen und an ihnen hängen, zeigt sich immer dann, wenn jemand die Abschaffung eines Feiertages ins Gespräch bringt. Klar, niemand gibt gern einen Bonus-Urlaubstag ab. Doch für Sozialforscher Prof. Dr. Marcel Schütz steckt hinter den rot gedruckten Tagen im Kalender eine tiefere Bedeutung, auch in einer Gesellschaft, die nicht mehr nur durch eine Religion geprägt ist. 

alverde: Was ist der Unterschied zwischen einem Feiertag und einem freien Tag? 

Marcel Schütz: Ein individueller Urlaubstag betrifft nur mich. Ein Feiertag dagegen wirkt gesellschaftlich: Er hat universelle Geltung, man kann sich ihm kaum entziehen. Fast alle haben frei, und das synchronisiert uns. Feiertage sind Fixpunkte im Jahr, die Zeit strukturieren. Sie haben außerdem fast immer einen Anlass, einen Kontext. Selbst wenn man diesen nicht mehr kennt, spürt man: Das ist ein anderer Tag. 

alverde: Gerade Weihnachten scheint besonders aufgeladen zu sein. 

Marcel Schütz: Weihnachten ist tatsächlich die stärkste Zäsur im Jahr. Ab November läuft für die meisten alles auf diese Tage zu. Viele gehen noch immer an diesem einen Abend in die Kirche: Die Lichter, das gemeinsame Singen, die vollen Bänke berühren sie – der Weihnachtsgottesdienst wird oft eher aus ästhetischen, denn aus religiösen Gründen besucht. Und auch Menschen, die einen anderen Glauben praktizieren, nutzen die Tage für Familienbesuche und Geschenke. In diesem Sinn ist Weihnachten so etwas wie ein gesellschaftlicher „Lagerfeuer-Moment“: Am Ende des Jahres kommen alle noch einmal zusammen. 

alverde: Wie verändert die Säkularisierung den Stellenwert der Feiertage? 

Marcel Schütz: Die Menschen, die sich an Pfingsten oder Fronleichnam bewusst mit den christlichen Inhalten auseinandersetzen und die Rituale pflegen, sind eine Minderheit. Christi Himmelfahrt hat sich zum „Vatertag“ gewandelt, der Reformationstag ist mit Halloween verbunden – beide schaffen ihrerseits wieder feste Bräuche. Das zeigt, dass Feiertage lebendig sind, sie passen sich den Bedürfnissen der Gesellschaft an. Feiertage sind heute ein Hybrid: Sie sind kollektive Auszeiten – mit Ausnahme für einzelne Berufsgruppen –, die in unserer vielfältigen Gesellschaft aber sehr individuell gestaltet werden.

„Feiertage sind lebendig, sie passen sich den Bedürfnissen der Gesellschaft an.“

alverde: Was halten Sie von der Idee, Feiertage einzuführen, die frei sind von religiösen Bezügen, zum Beispiel einen „Tag der Demokratie“ oder „der Verfassung“? 

Marcel Schütz: Da bin ich skeptisch. Feiertage brauchen Tradition. Sie funktionieren, weil sie eine Geschichte haben. Der Reformationstag in norddeutschen Bundesländern wurde zwar erst 2018 eingeführt, aber es gab am 31. Oktober schon sehr lange den Gedenktag. Zudem haben wir bereits einen Nationalfeiertag, den 3. Oktober. Er ist stimmig, weil ihm ein einschneidendes Ereignis, die Wiedervereinigung, zugrunde liegt. Die Summe von neun nationalen Feiertagen scheint mir angemessen. Mit zu vielen wird es beliebig. 

alverde: Kann man dann auch welche abschaffen wie 1994, als der Bundestag den Buß- und Bettag für die Einführung der Pflegeversicherung gestrichen hat? 

Marcel Schütz: Auch das ist schwierig. Sobald über die Streichung diskutiert wird, fühlen sich Menschen benachteiligt. Feiertage sind symbolisch stark aufgeladen. Selbst wenn man den Ursprung nicht mehr kennt, möchte niemand auf sie verzichten. Jeder Feiertag trägt zur Struktur des Jahres bei. 

alverde: Haben Feiertage auch Schattenseiten? 

Marcel Schütz: Feiertage können Druck erzeugen – weil Harmonie, Gemeinschaft und besondere Unternehmungen erwartet werden. Wer allein ist oder Konflikte in der Familie erlebt, spürt an Feiertagen besonders stark, was fehlt. Aber auch das gehört zur Ambivalenz dieser Tage. Feiertage werden Fixpunkte bleiben und können Wandel und Brüche aushalten.

Viel zu feiern 

Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit war der Kalender stark von kirchlichen Festtagen geprägt – in manchen Regionen gab es mehr als 40 solcher Tage im Jahr. Mit der Reformation reduzierten sich die Feiertage im protestantischen Raum, während in katholischen Gegenden viele Heiligenfeste erhalten blieben. 1642 begrenzte dann Papst Urban VIII. die katholischen Feiertage auf 34. 

Unser Experte

  1. Prof. Dr. Marcel Schütz, Soziologe

    Er hat als Personalmanager große Unternehmen von innen kennengelernt. Als Professor an der Northern Business School in Hamburg beschäftigt er sich damit, wie Organisationen und die Gesellschaft als Ganzes funktionieren. Mehr noch als Weihnachten schätzt er die entspannte Zeit danach – die erst durch die Feiertage ermöglicht wird.

Ende der Auflistung