Ein Zuhause für Stadttauben

Schillernde Persönlichkeiten: Stadttauben sind gekommen, um zu bleiben. ¹⁾
Interview mit Dr. Anke Höfer, Amtstierärztin, und Eleonora Tilse, Doktorandin
Tauben in den Städten sind oft ein Problem – allerdings ein menschengemachtes. Die vielversprechendste Lösung sind betreute Taubenschläge. alverde hat sich in Hamburg angeschaut, wie man Tauben zum Umzug bewegt.
Über die Brücke rauscht die S-Bahn, unter ihr flattern die Tauben. Schätzungsweise 300 Exemplare der Stadtvögel haben sich rund um die Station Barmbek in Hamburg angesiedelt. Den breiten Fußweg verunzieren große weiß-graue Kot-Kleckse und das Nahrungsangebot, das Menschen hinterlassen haben – vom angebissenen Brötchen bis zu ausgestreuten Maiskörnern. „Wir sind an einem Punkt, an dem die Akzeptanz der Bevölkerung schwindet“, sagt Dr. Anke Höfer, Amtstierärztin im Bezirk Nord, in dem Barmbek liegt. Die Antwort des Bezirks ist ein Taubenschlag, in dem die Vögel Futter finden, nisten können – und gleichzeitig an übermäßiger Vermehrung gehindert werden, indem ihre Eier durch Gipsattrappen ausgetauscht werden.
Weitergezwitschert
Das Taubenloft steht auf einer Brachfläche etwa 300 Meter vom Viadukt mit der großen Taubenpopulation entfernt. Anke Höfer öffnet die Tür des Containers: Auf der einen Seite steht eine Regalwand, in jedem Fach flache Brutschalen aus Pappmaché. Auf der anderen Seite sind Sitzbrettchen befestigt, die als Ruheplätze dienen. Auf dem Boden stehen Futterraufen randvoll gefüllt mit Samen und Kernen.
Unter einer Brücke schlafen oder im Loft mit Vollpension residieren? Klingt nach einer einfachen Entscheidung. Aber Tauben sind sehr standorttreu, sie hängen an ihrem einmal gefundenen Zuhause. Die ersten gefiederten Mieter sind deshalb heimatlose Tauben aus dem Tierschutz. Durch sie haben auch die Bahnhofstauben mitbekommen, dass es hier Futter gratis gibt. Ein Schwarm von etwa 20 Vögeln fliegt den Futtertrog vor dem Container an, einige stecken neugierig ihre Köpfe durch die Einflugöffnungen. „Wenn man einzelne Tauben beobachtet, stellt man schnell fest, wie charmant sie sind und jede ihre eigene Persönlichkeit hat“, sagt Anke Höfer. Dauergäste erkennt sie inzwischen an der Gefiederzeichnung, einige haben Namen bekommen. Dennoch hält das Team professionelle Distanz, betont die Amtstierärztin.
Wenn Füttern schadet
Genau die fehlt bei einigen Taubenfreunden, die weiterhin Futter unter der Bahnhofsbrücke verteilen. Gut gemeint, denn in der Stadt ist das Ernährungsangebot oft mager. Doch es senkt die Motivation, in den Taubenschlag umzuziehen. Plakate rund um den Bahnhof klären darüber auf, dass die Tauben im Loft Futter finden und frei ein- und ausfliegen dürfen. Außerdem haben die Menschen im Stadtteil jetzt eine Anlaufstelle, bei der sie Probleme mit Tauben melden können. Die Tierärztin nennt ein Beispiel: „In einer Tiefgarage haben sich, als der Bau stockte, Tauben im Untergeschoss angesiedelt. Sie sollen im Loft ein neues Zuhause finden.“
Ziel: Best Practice finden
Im Taubenloft werden die Vögel nicht nur gut versorgt, sondern auch genau beobachtet. Dazu versieht das Loft-Team die Tauben im Container mit einem winzigen Transponder an einem Fuß, sodass ihre Besuche von einer elektrischen Schranke registriert werden können. Der Taubenschlag wird zwei Jahre wissenschaftlich von Eleonora Tilse von der Tierärztlichen Hochschule Hannover begleitet.
Ziel ist herauszufinden, was einen Taubenschlag langfristig erfolgreich macht: Werden Brutschalen aus Pappmaché oder aus Ton besser angenommen? Wann ist der beste Zeitpunkt, um Eier gegen Attrappen auszutauschen? Wie ist der Gesundheitszustand der Loft- gegenüber den Bahnhofstauben? Beim betreuten Taubenschlag geht es um Tierwohl, aber auch um den öffentlichen Raum, in dem sich Menschen wohlfühlen. „Es gab und gibt viele Vorurteile gegen Tauben“, sagt Eleonora Tilse. „Aber auch die Taubenliebe ist manchmal fehlgeleitet. Unser Ziel ist ein gutes Miteinander von Tauben und Menschen.“

Dank des Fußrings lässt sich nachvollziehen, wie oft eine Taube den Schlag besucht. Durch ein vergittertes Fenster können die Tauben ein- und ausfliegen. © Bezirksamt Hamburg-Nord
Ratten der Lüfte?
Richten Tauben tatsächlich mehr Schaden an als andere Tiere in der Stadt? Wenn viele Tiere auf engem Raum leben, können sich Krankheitserreger leichter ausbreiten. Das gilt auch für Tauben. Auf den Menschen übertragen sich Parasiten und Bakterien nur bei engerem Kontakt. Eine allgemeine Gesundheitsgefahr stellen Tauben also nicht dar. Doch was ist mit Schäden an Gebäuden? An sich ist Taubenkot nicht ätzender als der von anderen Vögeln. Das Problem entsteht dadurch, dass Tauben selten allein kommen und der Kot bei schlechter Ernährung mehr Säure enthält und das Mauerwerk stärker angreifen kann.
Dr. Anke Höfer (links), Leitende Amtstierärztin, Bezirksamt Hamburg-Nord. Eleonora Tilse (rechts), Tierärztin und Biologin, Doktorandin an der Tierärztlichen Hochschule Hannover. © Bezirksamt Hamburg-Nord
Tauben in der Stadt
Ein NABU-Experte erklärt, warum es Tauben nicht in die Natur zieht.
alverde: Warum gibt es so viele Tauben in den Städten?
Martin Rümmler: Der Vorfahre der Haustaube ist die Felsentaube. Das erklärt, weshalb Tauben keine Nester in Bäumen bauen, sondern in Gebäudenischen Nistplätze finden. Tauben wurden seit Jahrhunderten für verschiedene Zwecke domestiziert. Die Tauben in unseren Städten stammen meist von entflogenen oder freigelassenen Brief- oder Zucht-, Hochzeits- oder Friedenstauben ab. Es sind keine Wildtiere, eher verwilderte Haustiere. Deshalb haben sie wenig Scheu vor Menschen. Zudem sind Tauben so gezüchtet, dass sie bis zu sechsmal im Jahr Eier legen. Als Konsequenz hat sich die Zahl der Stadttauben in den letzten 30 Jahren verdreifacht.
alverde: Verwilderte Haustiere – heißt das, sie kommen nicht alleine zurecht?
Martin Rümmler: Doch, Tauben sind in der Lage, ihr Futter selbst zu finden. Nur sind ihre natürliche Nahrung Samen und Körner, und da ist das Angebot in der Stadt beschränkt. Die Innenstädte sind für sie dennoch attraktiv, denn hier fällt immer Essen ab. Leider ist es oft nicht artgerecht – Tauben vertragen beispielsweise wie alle Vögel kein Brot. Zu wenig und das falsche Futter führen übrigens zum sogenannten Hungerkot. Der ist flüssiger und schädigt Gebäude stärker als der Kot gesunder Tauben.
alverde: Welche Maßnahmen, den Taubenbestand zu verringern, sind erfolgreich und entsprechen gleichzeitig den Tierschutzkriterien?
Martin Rümmler: Tauben zu töten lehnen wir ab. Sie mit Verhütungsmitteln an der Vermehrung zu hindern ist in der Umsetzung knifflig. Vergrämungsmaßnahmen, wie mit Gittern und Spikes Nist- und Landeplätze unzugänglich zu machen, verlagert das Problem meist nur. Die beste Lösung, um die Population langsam zu verringern, sind betreute Taubenschläge. Wichtig ist aber, dass sie langfristig bestehen. Einigen, die von privaten Tierschützern betrieben werden, ging das Geld aus, in anderen Fällen stellen Städte die Finanzierung ein. Dann fängt man wieder bei null an.
Martin Rümmler, Biologe und Vogelschutzreferent beim Naturschutzbund Deutschland (NABU). © Martin Rümmler/privat
Geschichte:
Felsentauben wurden vermutlich bereits 5.000 vor Christus in Ägypten und Mesopotamien domestiziert – damit zählen sie zu den ältesten „Haustieren“.Arten:
Zur Familie der Tauben zählen über 300 verschiedene Arten, die über die ganze Welt verteilt sind. In Deutschland findet man neben der Stadt- auch die Ringel- und Türkentaube.Kinderstube:
Tauben ernähren ihre Jungen mit sogenannter Kropfmilch. Diese wird im Kropf gebildet und die Jungen nehmen sie auf, indem sie den Kopf in den Hals der Eltern stecken.Balzverhalten:
Männliche Tauben gurren als Teil des Balzverhaltens. Da Stadttauben ganzjährig brüten, bekommen wir es entsprechend oft zu hören.