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Ticket in die Zukunft

Ein Flugzeug wirft einen Schatten auf das türkisfarbene, klare Wasser eines Strandes, während die Sonne die Wellen glitzern lässt und die Silhouette von Palmen am sandigen Ufer sichtbar ist

Reisen lässt sich auch nachhaltig gestalten. ¹⁾

Im Interview mit zwei Expertinnen

Abschalten, auftanken, Neues entdecken: der perfekte Urlaub. Doch die Erholung der einen bringt oft Stress für Umwelt und lokale Gemeinschaften. Die Tourismusexpertinnen Catharina Fischer und Prof. Dr. Martina Shakya diskutieren, wie nachhaltiges Reisen selbstverständlicher werden kann.

alverde: Warum haben Urlaub und Reisen in unserer Kultur eigentlich einen so hohen Stellenwert? 
 
Martina Shakya: Reisen wird zunehmend als Grundbedürfnis wahrgenommen. Die Menschen empfinden es als Teil eines guten Lebens. Sie suchen den Kontrast zum Alltag. Dass wir gerade in Deutschland so viel reisen, ist sehr eng mit unserem Wohlstand verbunden. 
 
Catharina Fischer: Reisen war vor der Corona-Pandemie sehr preiswert. Seit den 1970er-Jahren unterboten sich Reiseveranstalter im Pauschalsektor gegenseitig mit Rabatten. Dadurch wurden Reisen fester Bestandteil des Lebensstils. Nach Corona sind einige Anbieter vom Markt verschwunden. In Kombination mit gestiegenen Energiekosten kommen wir nun zum ersten Mal in die Nähe der tatsächlichen Preise. Die ökologischen und sozialen Kosten werden nun ansatzweise sichtbar. 

alverde: Viele Menschen zeigen sich in Umfragen offen für nachhaltiges Reisen – doch bei der Buchung spielt es kaum eine Rolle. Hat das eher psychologische oder materielle Gründe? 
  
Catharina Fischer: Es liegt vor allem daran, wie nachhaltige Reisen wahrgenommen werden. Es gibt durchaus Hotels in Deutschland und Österreich, die vom Energiekonzept bis zur Gastronomie nachhaltig sind – zu Preisen, die kaum über konventionellen Angeboten liegen. Das Problem liegt oft in der Kommunikation: Nachhaltigkeit wird fast ausschließlich als „grün“ vermarktet, also im Kontext von Umwelt- und Klimaschutz. Dabei sind vielen Menschen soziale Aspekte wie faire Bezahlung und lokale Wertschöpfung auch wichtig, manchen sogar wichtiger. Diese Aspekte werden generell weniger klar kommuniziert, obwohl sie emotional mehr binden. Und Urlaub ist ein emotionales Thema. 

„Entscheidend ist, dass Nachhaltigkeit nicht ein Nischenangebot bleibt, sondern im Massentourismus ankommt.“ Martina Shakya

Martina Shakya: Tatsächlich besteht eine psychologische Hürde, sich im Urlaub mit Problemen auseinanderzusetzen – schließlich möchte man dem Alltag entfliehen. Aussagekräftige Siegel, die auch soziale und wirtschaftliche Nachhaltigkeit umfassen, könnten hier helfen. Aber wir dürfen die Verantwortung nicht allein den Reisenden überlassen. Es braucht politische Regulierungen, um Nachhaltigkeit im Tourismus voranzubringen. Der Green Deal auf EU-Ebene ist hier ein guter Schritt, und die Einbeziehung des Tourismus in den Emissionshandel halte ich für eine sinnvolle Maßnahme. Entscheidend ist, dass Nachhaltigkeit kein Nischenangebot bleibt, sondern im Massentourismus ankommt. 

alverde: All-inclusive und Hotelburgen gelten als kaum umweltbewusst – ist das ein Missverständnis? 
 
Catharina Fischer: Das ist tatsächlich differenziert zu betrachten. Große Hotelanlagen sind oft sehr effizient im Umgang mit Platz und Ressourcen. Das Problem liegt eher darin, dass die lokale Bevölkerung wenig eingebunden wird und die Wertschöpfung vor Ort gering bleibt. 
 
Martina Shakya: Es gibt aber auch positive Beispiele: Benidorm an der Costa Blanca gilt inzwischen als Vorreiter eines nachhaltigen Massentourismus. Es ist als Stadt der kurzen Wege konzipiert, lenkt Besucherströme auch mithilfe digitaler Technologien und hat in erneuerbare Energien und die Aufbereitung von Brauchwasser investiert. Auch die lokale Bevölkerung wurde eingebunden. Dort gibt es keine Proteste gegen Overtourism. 

alverde: Ein gutes Stichwort … Sind die Proteste gegen Übertourismus Resultat lokaler Fehlentwicklung oder Ausdruck eines strukturellen Problems, das sich in Zukunft verschärfen wird? 
 
Martina Shakya: Der Druck wird weiter steigen, weil besonders aus dem asiatischen Raum mehr Menschen reisen werden. Temporäre Sperrungen und Besucherlenkung werden zunehmen – und das ist im Interesse der Destinationen und der Reisenden. Ich glaube, dass es möglich ist, Urlauber in weniger bekannte Regionen umzulenken und damit die touristischen Hotspots zu entlasten, etwa von der Toskana in die italienische Region Marken oder von Barcelona nach Valencia.

„Nachhaltigkeit wird fast immer nur grün vermarktet. Dabei sind vielen Menschen soziale Aspekte auch wichtig.“ Catharina Fischer

alverde: Auch wenn sich die Urlaubsorte nachhaltiger aufstellen, um sie zu erreichen, braucht es sehr oft das Flugzeug. Und das ruiniert jede CO₂-Bilanz. 
 
Catharina Fischer: Ja, es gibt zwar Potenzial, Emissionen einzusparen, aber innerhalb der nächsten Dekade wird Fliegen nicht klimaneutral werden. Deshalb muss es beim Fliegen weitere Preisanpassungen durch den CO₂-Handel geben. 
 
Martina Shakya: Gleichzeitig müssen innereuropäische Bahnreisen günstiger und einfacher buchbar werden. Es gibt attraktive Verbindungen, doch grenzüberschreitendes Buchen ist immer noch zu kompliziert. 

alverde: Welche technologische oder gesellschaftliche Innovation könnte den größten Durchbruch für nachhaltigen Tourismus bringen? 
 
Martina Shakya: Neben bezahlbaren emissionsfreien Treibstoffen als technologischer Gamechanger möchte ich softe Faktoren anführen. Wir sollten uns ehrlich fragen: Wie erhole ich mich am besten? Was macht mich glücklich – finde ich Entspannung, Inspiration, Abenteuer wirklich nur Tausende Kilometer entfernt? 
 
Catharina Fischer: Ich würde eine Erfindung gerne zeitweise rückgängig machen: die sozialen Medien. Sich an jedem Ort zu inszenieren, schafft eine neue Anspruchshaltung und eine Art Wettbewerb nach dem Motto „Wenn die dort war, muss ich da auch hin.“ Mit Abstand von Instagram und dem sozialen Druck würden viele andere Reiseentscheidungen treffen.

Unsere Expertinnen

  1. Dr. Martina Shakya im Potrait

    Dr. Martina Shakya, Professorin für Tourismus und Nachhaltigkeitsmanagement

    Die promovierte Geografin beschäftigt sich seit über 25 Jahren mit Tourismus und nachhaltiger Entwicklung und hat dafür unter anderem in Nepal und Afrika geforscht. Aktuell lehrt sie an der Hochschule Heilbronn. © Hochschule Heilbronn

  2. Catharina Fischer im Potrait

    Catharina Fischer, Beraterin für nachhaltigen Tourismus

    Die studierte Tourismusmanagerin entwickelt mit Destinationen in Deutschland nachhaltige Strategien und gibt als Rednerin oder Moderatorin Impulse auf Messen und Tagungen. Sie ist als Beraterin Teil des Netzwerks realizingprogress.com. © Lisa Lewin

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