Wege aus der Informationsflut
„Zu viele Informationen hemmen den Denkprozess, weil sie tieferes Nachdenken und Verstehen behindern.“ Volker Busch © gettyimages/tommy
Dank modernster Technik kommen Nachrichten von überall und ständig. Das kann sehr anstrengend sein. Vor allem, wenn in unserem Gehirn steinzeitliches Denken auf neuzeitliches Informationsangebot trifft. Aber es gibt einen Notausgang: mehr Achtsamkeit.
Die schlechte Wirtschaftslage, die Bundesliga, der Klimawandel, die Kriege und die WhatsApp-Nachrichten von der Tennis-Gruppe das nächste Match betreffend. Nicht zu vergessen, die Kommentare zu all dem in den sozialen Medien. Man braucht nur mal einen Blick auf sein Smartphone zu werfen und schon fühlt man sich, als würde man am Strand stehen und eine XXL-Informationswelle auf sich zurollen sehen. Big Waves werden Brecher dieser Größenordnung in Surfer-Kreisen genannt. Und wie beim Surfen braucht man einen festen Untergrund, um die Welle sportlich zu nehmen und entspannt surfen zu können.
Gier nach mehr
Dazu gehört das Wissen darum, wie unser Gehirn arbeitet. Tatsächlich müssen in unserem Kopf ständig Neuzeit und Steinzeit irgendwie auf einen Nenner kommen, so der Neurologe und Psychiater Professor Volker Busch. Sein Spezialgebiet ist die „Informationsüberlastung“; darum geht es auch in seinem Buch „Kopf frei“. Er sagt, genetische Anpassung brauche Zeit. „Etwa 7.000 bis 12.000 Jahre.“ Wir begegnen folglich der Infoflut mit genau den Mechanismen, die schon unseren Urahnen das Überleben sicherten. Daher auch das Gefühl, wir müssten immer noch mehr Informationen aufnehmen, obwohl wir längst unter einem Zuviel ächzen.
Viel zu viele Ablenkungen
Der Grund: Es war wie Sex oder Essen durchaus arterhaltend, möglichst schnell zu wissen, wo der Bär lauert, wo es Wasser und Fische gibt. Deshalb würde in Teilen unseres Belohnungssystems „durch Informationszuwendung Dopamin ausgeschüttet“. Ein Vorteil, als die Menge der Informationen noch übersichtlich war. Heute ist es die Steilvorlage für Überlastung, wenn wir uns „sofort und impulshaft“ jedem neuen Reiz zuwenden. Und uns dabei entsprechend auch leicht ablenken lassen, weil es neu ist. Es könnte ja wichtiger sein als das, was wir vor fünf Sekunden noch interessant fanden. Und dann hat unser Gehirn außerdem noch einen Hang zur Abkürzung. Wir suchen instinktiv nach dem bequemsten Weg durch den Informationsdschungel, neigen dazu, uns eher in die Breite, als in die Tiefe zu informieren. Zumal, wenn uns Medien so freundlich entgegenkommen, uns einfache Lösungen für komplexe Probleme in kleinen Info-Appetithappen zu servieren. So spart das Gehirn Energie und erlaubt uns trotzdem, uns auf dem Laufenden zu fühlen.
Weniger bleibt länger im Gedächtnis
Man könnte auch sagen: Wir sind overnewsed but underinformed. Denn wir nehmen uns kaum mehr die Zeit, uns so intensiv mit einem Thema zu befassen, dass es sich für unser Langzeitgedächtnis qualifiziert. Dazu braucht es nämlich Aufmerksamkeit, Ruhe, Fokussierung und eine deutliche Reduzierung der Datenmenge. Und das ist die gute Nachricht, über die wir auch länger nachdenken sollten, damit sie uns in Erinnerung bleibt. Denn wenn wir sowieso nicht alles aufnehmen können, was uns täglich so angetragen wird. Wenn im Gegenteil der „Dauerkonsum von digitalen Informationen uns bloß zunehmend geistig verstopft“, wie Volker Busch in seinem Buch schreibt, dann können wir auch auf das Meiste verzichten. Uns die Zeit und Aufmerksamkeit einräumen, die Volker Busch uns als Notausgang aus der Informationsflut anrät: „Beginnen Sie damit, dass Sie sich eine Stunde des Tages nehmen, in der Sie etwas tun, was Ihnen ganz besonders wichtig ist. Konzentrieren Sie sich voll auf die Sache.“
Schongang fürs Gehirn: achtsames Ignorieren
Wir sollten aufhören, auf jedes Hölzchen zu springen, das man uns hinhält und stattdessen unsere Konzentration wieder auf das lenken, was wir für uns als wesentlich und wichtig definiert haben. Also etwa nur einen großen Leitartikel pro Tag – anstatt alle Schlagzeilen, die im Netz aufpoppen. Lieber zehn Seiten konzentriert in einem Roman lesen, anstatt auf Instagram eine Stunde herumdaddeln. Genau sortieren: Was ist für mein Leben, für mein Weiterkommen in der Welt wirklich wichtig. Und was völlig belanglos. Und immer auch wieder etwas auswendig lernen: Telefonnummern, kleine Gedichte, Rezepte, Vokabeln. So bleibt das Gehirn wach und fit und zieht sich nicht völlig ausgebrannt aus dem aktiven Denken und Merken zurück.
Volker Busch zieht für einen achtsameren Umgang mit Informationen den Vergleich mit einem Glas Wasser, in dem man Sand verrührt. „Es braucht Zeit und Ruhe bis sich der Sand gesetzt hat und man klarsieht.“ Nehmen wir uns beides. Es gibt am Ende kein besseres Board – um auf den Informationsfluten souverän in Richtung Horizonterweiterung zu surfen.
Buch-Tipp
Volker Busch,
Kopf frei! Wie Sie Klarheit, Konzentration und Kreativität gewinnen.
Droemer HC, 288 Seiten, 18 Euro
3 Konzentrationsübungen
Reine Kopfsache
- Selektive Aufmerksamkeit:
Wählen Sie sorgfältig aus, worauf Sie sich fokussieren wollen und was Sie ignorieren. - Eintauchen statt überfliegen:
Nehmen Sie sich täglich ein paar Minuten, um genau wahrzunehmen, was Sie sehen und hören. - Zuwendung schenken:
Blicken Sie ihre Gegenüber an, hören Sie ihm aufmerksam zu, vertiefen Sie sich ins Gespräch.