Virtual Reality in der Reha
VR-Reha bietet Patientinnen und Patienten einen geschützten Raum. ¹⁾
Ein Interview mit Wirtschaftspsychologe Julian Specht
Alles auf Anfang: Nach einer Gehirnoperation oder einem Schlaganfall müssen Patienten alltägliche Dinge wieder erlernen. Computergenerierte Welten bieten sich als ideale Übungsumgebung an und sind erwiesenermaßen effektiver als klassische Therapiemethoden mit Stift und Papier.
Kaffee einschenken in einer virtuellen Küche – in Virtual Reality (VR) trainieren Patienten mit kognitiven Einschränkungen alltagsnahe Bewegungsabläufe wie diesen. Therapeuten nutzen VR-Software zunehmend als innovatives Werkzeug in der Reha. Mit einer VR-Brille und einem Hand-Controller ausgestattet, bewegen sich die Patienten durch virtuelle Umgebungen und steuern dabei mithilfe einfacher Armbewegungen verschiedene Objekte – zum Beispiel beim Bedienen eines Kaffeeautomaten.
Learning by Doing
„Fahrradfahren lernen wir auch nicht, indem wir ein Buch lesen. Wir probieren es aus und fallen dabei auch mal hin. In VR haben Patienten einen geschützten Raum, in dem sie Fehler machen können, ohne sich zu verletzen“, erklärt Wirtschaftspsychologe Julian Specht.
Klassische Therapieübungen beschränken sich auf das Auswendiglernen von Autokennzeichen oder das Aufschreiben von Zahlenreihen. Vieles davon wirkt monoton und hat wenig mit dem echten Leben zu tun. Damit Reha alltagsnah wird, entwickelt Julian Specht mit seinem Unternehmen living brain GmbH VR-Software, die Übungen in virtuellen Umgebungen wie Küche, Garten oder Imbissstand ermöglicht. Eine begleitende Studie zeigt: VR stimuliert das Gehirn deutlich stärker als herkömmliche Methoden mit Stift und Papier oder am Computer.
Übungssimulation: Kaffeeautomaten bedienen mit der Software „teora mind“ von living brain. © Julian Specht/living brain GmbH
Reha, die überall funktioniert
Nach einem Schlaganfall oder einer Hirnoperation ist das Gehirn besonders aufnahmefähig, doch gerade in dieser wichtigen Phase fehlt vielen Betroffenen ein Reha-Platz. „Es gibt den Grundsatz: Reha vor Pflege. Je früher wir beginnen, desto besser die Chance auf Rückkehr in den Alltag“, betont Julian Specht.
Die Software von living brain wird bereits in Kliniken und Praxen eingesetzt. Sie ergänzt die Therapie flexibel: Therapeuten stellen individuelle Trainingspläne zusammen und begleiten die Übungen vor Ort oder digital. So lassen sich gezielt kognitive Fähigkeiten wie Aufmerksamkeit, Erinnerungsvermögen und Orientierung fördern.
Motivation durch Gamification
Der Einsatz von VR-Brillen in der Reha kommt bei Patienten jeden Alters gut an. „Die älteste Nutzerin war 97 Jahre alt“, berichtet der Psychologe. Die Szenarien orientieren sich an alltäglichen Aufgaben – und enthalten spielerische Elemente.
Auch in der Physiotherapie kann VR gezielt unterstützen: Durch Übungen mit Spiel-Charakter lassen sich Bewegungsabläufe vielfach wiederholen, ohne dass Langeweile aufkommt. Julian Specht weiß, dass Gamification-Elemente die Patienten motivieren: „Wer freut sich nicht, wenn es nach einer herausfordernden Aufgabe Applaus gibt und Konfetti regnet?“
Julian Specht, Wirtschaftspsychologe, Mitgründer und CEO – living brain GmbH
© Julian Specht/living brain GmbH
Die Mission des Psychologen ist es, authentische, wissenschaftsbasierte und spielerisch gestaltete Rehabilitation jederzeit und überall für alle zugänglich zu machen. Zehn Jahre lang litt der heute 29-Jährige an Temporallappen-Epilepsie, mit bis zu vier Anfällen täglich. Eine Hirnoperation im Jahr 2015 war seine letzte Hoffnung – mit Erfolg: Seitdem ist er anfallsfrei.
Unzufrieden mit den begrenzten Reha-Angeboten gründete er 2019 gemeinsam mit einer Kommilitonin die living brain GmbH. Das Unternehmen entwickelt VR-basierte Therapieanwendungen wie „teora mind“ für kognitive und „teora body“ für motorische Rehabilitation. Als zertifizierter Medizinprodukthersteller führt living brain regelmäßig klinische Studien zur Wirksamkeit der Software durch.
Weitere Informationen unter: livingbrain.de