Wenn der Moment Regie fĂŒhrt

Ăbung fĂŒr Impro-AnfĂ€nger: das bewegte Bild. Jeder sucht sich zu einem Thema etwas aus, das er darstellt. ÂčâŸ
alverde-Autorin Constanze Kleis im Improvisationstheater
âErwarte das Unerwarteteâ lautet der Slogan des Improvisationstheaters. Es ist die Antithese zu unseren BemĂŒhungen, immer alles im Griff zu haben. alverde-Autorin Constanze Kleis hat sich auf einen Workshop voller Ăberraschungsmomente eingelassen.
Ich habe einen Pinguin in den 35. Stock eines Hochhauses begleitet. Ich war eine Gallionsfigur auf einem Piratenschiff, eine Kaffeekanne, eine BankrĂ€uberin und ein Metzger auf der Suche nach der groĂen Liebe bei einem Date im Zoo. Was so klingt, als sollte man mit dem Alkohol deutlich vorsichtiger sein, ist nur ein kleiner Auszug von dem, was man in nur zwei Stunden bei einem Improvisationstheater-Workshop fĂŒr AnfĂ€nger sein und erleben kann.
Wenn man also etwas tut, was ich â wie vermutlich die meisten â gewöhnlich meide: dem Ungewissen das Ruder zu ĂŒberlassen. Ohne Plan, ohne Drehbuch jeweils nur auf den Moment reagieren zu können. Gemeinsam mit neun anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern will ich mich einfach mal ĂŒberraschen lassen. Vielleicht sogar auch von mir. Nicht ganz einfach. Ich bin nĂ€mlich eher der Backstage-Typ, lieber zweite Reihe als Frontfrau. Durchgeplant, vorsichtig, kontrolliert.
Erst mal rutscht mir deshalb ein âOje!â raus, als jeder von uns in die Mitte des Kreises gehen soll, um laut und deutlich ein GerĂ€usch zu machen. Dann schiebe ich noch ein flaues âTiktakâ nach. Mir fĂ€llt einfach nichts Besseres ein. âDein âOjeâ war doch schon super!â, freut sich Tram Pham, unsere Workshop-Leiterin.

Tram Pham, Leiterin des Basic-Workshops und selbst Impro-Begeisterte, ebnet den Weg zu neuen Ausdrucksformen. ÂčâŸ
Es klappt nur mit Teamgeist
Die Grafik-Designerin ist eines von acht Mitgliedern von âImproglycerinâ. Die Gruppe von Improvisationstheater-Profis gibt blutigen AnfĂ€ngern wie mir jeden ersten Mittwoch im Monat in Frankfurt die Gelegenheit, einmal reinzuschnuppern in diese besondere Theaterform.
Hier gibt es nichts, an dem man sich festhalten könnte. Kein Skript, kein BĂŒhnenbild, und es wird nicht geprobt. Die Szenen entstehen spontan auf Zuruf. Man schlĂŒpft in zig Rollen, spielt sich Worte und Ideen zu und reagiert jeweils auf die Vorlage des anderen. DafĂŒr braucht es Teamgeist statt Selbstbezogenheit. Gruppenzusammenhalt statt EinzelkĂ€mpfertum. Das trainieren wir zehn einander völlig Fremde an diesem Abend unter anderem mit der âJa, genau und dann âŠâ-Ăbung:
Man steht sich gegenĂŒber und einer beginnt eine Geschichte. âIch will unbedingt eine Clown-Ausbildung machen!â, sage ich. âJa genau, und dann solltest du dir eine Kollektion roter Nasen anschaffenâ, sagt mein Mitspieler Nico. âJa, genau! Und dann könnte ich noch ein paar davon abgeben an Menschen, die dringend mal eine rote Nase brauchenâ, sage ich. So geht es weiter. Bis wir schlieĂlich auf dem Mars sind und dort eine Clown-Kolonie angesiedelt haben.
Ganz nebenbei erfahren wir, wie wichtig die Phrase âJa, genau! Und dann âŠâ ist. Es geht auch darum, ein sogenanntes konstruktives âYes-Settingâ zu entwickeln: neue Impulse von anderen aufzunehmen, anstatt sie gleich abzuwĂŒrgen, um eigene nach vorne zu bringen.
Nur eines von vielen Elementen aus dem Impro-Theater-Kosmos, die auch im wirklichen Leben sehr nĂŒtzlich sein können. Das sagt auch Tram Pham. Die 38-JĂ€hrige hat vor mehr als zehn Jahren mit dem Improvisationstheater begonnen. âDamals habe ich mir davon versprochen, dass es mir dabei hilft, bessere VortrĂ€ge zu halten und sicherer zu werden. Das hat tatsĂ€chlich funktioniert.â Was sie aber vor allem beim Impro festgehalten habe, sei die Spielfreude, die Offenheit, mit der man dabei auf Menschen zugeht. âSich trauen, aus der Komfortzone herauszugehen und sich zu entfalten.â
So wie sie es jetzt auch uns Laien ermöglicht. Wir sind eine Standuhr, ein Baum, eine Schatzkiste, eine Leine, Polizist, Nachbar, Kollege, Chef. Wir absolvieren einen enorm windigen Segeltörn auf den Malediven. Gehen wie ein Bauarbeiter und eine Prinzessin und wir lachen viel. Besonders, als ein Angsthase, eine schwer Verliebte und eine Zwanghafte jeweils ihre Interpretation ein- und desselben KennenlerngesprĂ€chs vorfĂŒhren.
Stell dir vor, du hast ein Date mit einem austrainierten Pessimisten ⊠Volle Aufmerksamkeit und Spielfreude sind immer inbegriffen. ÂčâŸ
Aus dem Alltag ausbrechen
âEs macht immer SpaĂ!â, versichert Katja LĂŒke, fĂŒr die das schon der dritte Impro-Basic-Abend ist. Die Referentin Diversity beim Deutschen Olympischen Sportbund sagt, sie genieĂe es besonders, âeinfach Freude zu haben, ohne ein bestimmtes Ziel wie einen Sieg oder eine Bestzeit. Nicht planen zu können, sondern erst mit dem letzten Stichwort zu entscheiden, wie es weitergeht.â
Beim Impro sei man immer in der Gegenwart. Maya Wieder, Projekt- und Eventmanagerin, ist â wie ich â das erste Mal dabei. Sie lockte der Gedanke, âspielerisch aus dem Alltag auszubrechen und einfach mal ins Unbekannte zu springenâ. Sie sei in ihrem Wesen eher ein âstrukturierter, gut vorbereiteter Menschâ, den ungeplante Wendungen manchmal aus dem Takt brĂ€chten. Im Kurs habe sie nun erfahren, dass genau das Ungeplante mit viel Leichtigkeit, neuen Impulsen und viel guter Energie verbunden sei. âIch habe entdeckt, dass ich spontan, mutig, laut und albern sein kann. Das fĂŒhlt sich richtig gut an.â Wir alle finden es auĂerdem enorm entspannend, dass es kein ârichtigâ oder âfalschâ gibt. Alles kann raus. Eben auch ein âOjeâ.
Und die Learnings sind ...
SpontaneitĂ€t, KontaktfĂ€higkeit, KreativitĂ€t, Teamkompetenz, eine ausgewogene Balance zwischen Reden und Zuhören und ganz im Hier und Jetzt sein zu können â alles QualitĂ€ten, die auch den Alltag leichter und schöner machen können. Das Improvisationstheater ruft sie uns wieder ins GedĂ€chtnis, inklusive praktischer Tools. In der nĂ€chsten Gehaltsverhandlung könne man sich in die Rolle einer selbstbewussten Arbeitnehmerin denken, empfiehlt Tram Pham etwa: âEine, die sich den Raum nimmt, den sie braucht und fĂŒr ihre Interessen einsteht.â
Und was bringt es in Sachen Schlagfertigkeit? Eine Menge. Allerdings nicht im Sinne einer verbalen Eskalation, bei der man am Ende anderer Leute Selbstbewusstsein in TrĂŒmmer legt. Beim Improvisationstheater ist die positive Energie das gestalterische Element. Das vorauseilende Wohlwollen. Und die Ăberzeugung, dass nichts albern oder peinlich ist und man einfach mal etwas raushauen kann. Und souverĂ€ner ist es sowieso, eine Spitze nicht persönlich zu nehmen und schmallippig zu kontern, sondern einfach als einen Teil einer â wenn auch unabgesprochenen â âJa, genau! Und âŠâ-Ăbung zu sehen.
Am Morgen nach dem Kurs treffe ich meine Nachbarin im Treppenhaus. âEs hat dir wohl sehr geschmeckt in letzter Zeit!â, sagt sie mit Blick auf meine etwas stramm sitzende Lieblingshose. âJa, genau!â, antworte ich. âUnd besonders die Clowns zum FrĂŒhstĂŒck waren lecker. Die kann ich dir nur wĂ€rmstens empfehlen!â
Oberstes Prinzip beim Impro-Theater: Jedem seinen groĂen Auftritt. ÂčâŸ
Improvisationstheater â Wer hatâs erfunden?
Obwohl es schon frĂŒhere Belege fĂŒr improvisiertes Theater gibt â etwa aus Italien und Frankreich â, gilt der britische PĂ€dagoge und Theaterregisseur Keith Johnstone als Erfinder des âTheatersportsâ â wie sich die populĂ€rste Form des Improvisationstheaters auch nennt. 1971 grĂŒndete er in Calgary, Kanada, das bekannteste Impro-Theater der Welt, das Loose Moose Theatre.
Kurios: Johnstone stand nie selbst als Impro-Spieler auf der BĂŒhne, soll aber erstaunliche FĂ€higkeiten besessen haben, seine SchĂŒler anzuleiten und die Ăbungen zu entwickeln, die das Spiel und die TeamfĂ€higkeit voranbringen. Bei klassischen Impro-Theater-AuffĂŒhrungen gibt das Publikum die Impulse, macht thematische VorschlĂ€ge. Es gibt mittlerweile auch Impro-Theater mit Musik oder auch Abende, an denen durchgĂ€ngig aus dem Stegreif gereimt wird.
Web-Tipp: Improvisationstheater mit Mitmachmöglichkeiten gibt es in vielen StÀdten. Infos zu den Angeboten von Improglycerin findet man unter: improglycerin.de