HauptnavigationKategorienavigationHauptinhalt

Geschichte, ganz nah

Foto von Luke Schaaf vor der Erinnerungsstele Familie Wertheim in Londorf

Eine Stele in Londorf erinnert an Familie Wertheim, von der nur Ruth Auschwitz überlebte. © Yvonne Witt

Willi Weitzels Mutmachgeschichte ĂĽber Luke Schaaf

Ein Frauenschicksal hat sein Leben verändert: Der SchĂĽler Luke Schaaf hält in Vorträgen und einem geplanten Buch das Andenken an die Holocaust-Ăśberlebende Ruth Wertheim wach. 

Heute möchte ich euch Luke vorstellen. Ich habe ihn bei der Verleihung des Ehrenamtspreises der BĂĽrgerstiftung Mittelhessen kennengelernt. Als Luke von seinem Projekt erzählte, hat es alle bewegt, und genauso bewegend war die Applauswoge, die durchs Publikum ging. 

Luke besucht die 12. Klasse der Theo-Koch-Schule im hessischen GrĂĽnberg. Sie gehört zum Netzwerk „Schule ohne Rassismus“, fĂĽr das ich Pate bin. An Lukes Schule gibt es ein Forschungsprojekt, in dem Jugendliche das Leben von JĂĽdinnen und Juden aufarbeiten, die diese Schule einmal besucht hatten. Lehrerin Christina MĂĽller konnte Luke dafĂĽr gewinnen – und dann ist etwas Tolles passiert: Luke hat im Projekt quasi seine Bestimmung gefunden. 

Ruth lebte in Lukes Nähe

„Ich wusste noch nichts vom Nationalsozialismus und der Judenverfolgung, als ich zu diesem Projekt kam“, erzählt Luke im Video-Chat. Am Anfang seiner Recherche in geschichtlichen Quellen war er 15 Jahre und stieß auf Ruth Wertheim. Sie hatte im Nachbarort Londorf gelebt und wurde am 14.9.1942 mit ebenfalls 15 Jahren erst ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert, später nach Auschwitz. Ihre Eltern und Schwester starben dort, sie überlebte und wurde mit 18 Jahren befreit.

Luke Schaaf steht vor einer Leinwand, auf der drei historische Fotos von Ruth Wertheim projiziert werden.

Luke besucht Schulen und erzählt die Geschichte der jungen Ruth Wertheim. © Luke Schaaf/privat

„Luke, du machst Geschichte erlebbar, begreifbar und bewirkst, dass sie einen ganz persönlich berührt.“ – Willi Weitzel

Luke liest ihre Briefe

Ruths Vater hatte die Theo-Koch-Schule noch besucht, Ruth nicht – ihre Kindheit war vom Nationalsozialismus bestimmt, der JĂĽdinnen und Juden vom gesellschaftlichen Leben ausschloss. Luke hat ihr Leben mit seinem verglichen. „Das hat mich unglaublich nachdenklich gemacht. Was Ruth passiert ist, darf wirklich nie wieder passieren!“ Er erklärt mir: „Ich denke das nicht, weil ich Deutscher bin, sondern als Mensch, der auf dieser Welt mit anderen lebt, ob christlich, muslimisch, jĂĽdisch.“ 

Luke bekommt einen Brief zu lesen, den die 18-jährige Ruth nach ihrer Befreiung an Verwandte in den USA geschrieben hat. „An einigen Stellen hat er Wasserflecken, vielleicht von Tränen. Er ist in sehr säuberlicher SchĂĽlerschrift geschrieben und darin erzählt sie wirklich, wie alles war“, sagt Luke. „Ich bin jetzt auch 18, gehe zur Schule, habe Freunde, genug zu essen und zu trinken, ein groĂźes Zimmer. Und Ruth war mit 18 unglaublich dĂĽrr und musste dem KZ-Arzt Dr. Mengele dabei zusehen, wie er ihre Eltern und Schwester in die Gaskammern geschickt hat.“ 

Bei Ruths Familie in den USA

Er erfährt: Ruth Wertheim ging in die USA, nachdem sie an der Schweizer Grenze abgewiesen wurde, fand Arbeit in einer Textilfabrik, heiratete, bekam zwei Kinder und starb 1994 in Florida. Es gelingt ihm, Kontakt zur Familie aufzunehmen, und er wird von ihnen in die USA eingeladen. 

Lawrence S. Bacow war bis 2023 Präsident der Harvard University. Er berichtet Luke von seiner sehr liebevollen, resilienten Mutter Ruth, die nichts mehr erschüttern und aufhalten konnte. Auch ihren Nachkommen zuliebe hält Luke heute vor allem in Schulen Vorträge über Ruths Schicksal. Für ihn ist seit dem Projekt klar: Er möchte Politik studieren und Diplomat werden. Die Überzeugungskraft dafür hat er. Bald wird Luke auch ein Buch über Ruth Wertheim veröffentlichen.
 
Näheres dazu gibt es unter: ruthwertheim.com